Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2011
Bei der Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten mittels des sogenannten Fracking-Verfahrens gibt es nach Meinung von Experten noch eine Reihe ungelöster Fragen und unkalkulierbarer Risiken für das Trinkwasser. Bei einer öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses am Montag, 21. November 2011, unter Vorsitz von Eva Bulling-Schröter (Die Linke) wurde deutlich, dass nach Meinung der Mehrzahl der Sachverständigen die gesetzlichen Regelungen für das Fracking-Verfahren nicht ausreichen und das Bergrecht entsprechend geändert werden sollte.
Grundlage der Anhörung waren jeweils ein Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Sozialdemokraten sprechen sich in ihrem Antrag (17/7612) für mehr Transparenz und eine bessere Umweltverträglichkeit aus. Das Bundesbergrecht müsse entsprechend geändert werden. Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag (17/5573), das Fracking-Verfahren so lange nicht anzuwenden, bevor nicht gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse über die Risiken der Technologie vorliegen.
In Deutschland erkunden derzeit eine Reihe von Unternehmen die Förderung von unkonventionellem Erdgas mit der Fracking-Technologie. Dabei werden unter hohem Druck Wasser und Chemikalien durch ein Bohrloch in den Untergrund verpresst, um Gas zu gewinnen. "Unkonventionelle Lagerstätten" bedeuten, dass dort das Gas so im Gestein gebunden ist, dass es nicht von alleine zum Bohrloch strömen kann, sondern herausgepresst werden muss. Dabei werden Stoffe eingesetzt, die nach Meinung von Experten das Grund- und Trinkwasser gefährden könnten.
"Wie kann man die Umwelteinflüsse beurteilen?", fragte Prof. Dr. Dietrich Borchardt vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung zu Beginn der Anhörung. Genaue Prognosen der zu erwartenden Umweltbelastungen sind seiner Meinung nach nicht genau zu treffen, man könne jedoch die Risiken bewerten. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die bestehenden Regelungen nicht ausreichend seien. "Die Wasserbehörden werden zwar informiert, aber nicht beteiligt", kritisierte er. Auch sei die Öffentlichkeit bislang nur "bedingt" informiert worden.
Dr. Michael Kosinowski von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe erläuterte, welche Maßnahmen am Bohrloch durchgeführt werden, bevor das Fracking-Verfahren überhaupt angewandt werden kann. Es gebe "gute technische Voraussetzungen, bevor man den Frack in einer Bohrung ausführt", sagte er.
Der Vertreter des Wirtschaftsverbandes Erdöl- und Erdgasgewinnung, Dr. Hartmut Pick, verwies auf die Bedeutung der Gasförderung – gerade auch im Zeichen der Energiewende: 14 Prozent des in Deutschland benötigten Erdgases würden im Inland gefördert, womit 20.000 Arbeitsplätze und sieben Milliarden Euro an Förderabgaben verbunden seien. In seiner Branche, betonte Pick, gebe es eine jahrzehntelange Erfahrung, die eine gute Voraussetzung für die Erforschung des Verfahrens biete. Seiner Meinung bestehe ein Rechtssystem, "das hervorragend funktioniert", allerdings brauche seine Branche Rechtssicherheit für kommende Projekte.
Der Sachverständige Dr. Manfred Scholle, der bis vor kurzem Vorstandsvorsitzender der Gelsenwasser AG war, erklärte, dass es derzeit keine Notwendigkeit gebe, das umstrittenen Fracking-Verfahren anzuwenden. Das Fracking-Gas entspreche zudem nicht dem Standard. "Die Ökobilanz stimmt an dieser Stelle überhaupt nicht", sagte er. Überall dort, wo es Wasser gebe, dürfe nicht gefrackt werden. Einen "Gau“ dürfe sich niemand erlauben. Daher solle man sich mehr Zeit nehmen, um die Risiken abzuschätzen. Als ein "Kernproblem“ des Verfahrens nannte er die Abwasserentsorgung, die bislang überhaupt noch nicht geklärt sei.
Auch Martin Weyand vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft forderte, dass es Fracking in bestimmten Wasserschutzzonen nicht geben dürfe. "Die Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten muss grundsätzlich möglich sein", sagte er. Die Sicherheit des Trinkwassers dürfe aber nicht gefährdet werden. Rechtlich sprach er sich dafür aus, dass es künftig eine Vorprüfung geben solle und eine Genehmigung für das Fracking nur "im Vernehmen" mit den zuständigen Wasserbehörden erteilt werden dürfe.
Für Volker Milk von der Bezirksregierung Arnsberg in Nordrhein-Westfalen gibt es gerade bei den Genehmigungsverfahren "Defizite“. "Das gesamte Instrumentarium ist nicht mehr zeitgemäß“, gab Milk zu bedenken. Zwar habe sich das Bergrecht grundsätzlich bewährt, es müsse aber eine "Verstärkung des Umweltgedankens" und eine größere Beteiligung der Bevölkerung geben, forderte er. Es solle daher für das Fracking-Verfahren generell eine Umweltverträglichkeitsprüfung eingeführt werden.
Für eine bessere Beteiligung der Bürger sprach sich auch Jan Krüger aus, der als Vertreter der Bürgerinitiative "Gegen Gasbohren" im westfälischen Nordwalde eingeladen worden war. Er berichtete über seine Erfahrungen und kritisierte, dass bei einem Genehmigungsverfahren für geplante Gasbohrungen "weder Gemeinde noch Kreis" die Fragen der Bürger hätten beantworten können. "Von Seiten der Industrie gab es unvollständige und verharmlosende Darstellungen", berichtete er.
Der Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung, einer Reform des Bergrechts und einer Umweltverträglichkeitsprüfung für alle Verfahren schloss sich auch der Vertreter des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland, Dirk Jansen, an. Es dürfe keine Erdgasförderung um jeden Preis geben, sagt er, denn es herrschten dabei "unkalkulierbare und unbeherrschbare Risiken". Für ihn gibt es daher keine Alternative "als Fracking zu verbieten". (as)