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Der künftige Generalsekretär des Europarates müsse den Staatenbund auf der internationalen Bühne sichtbarer machen, fordert Christoph Strässer (SPD) im Interview. Aus Sicht des stellvertretenden Leiters der Bundestagsdelegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarats kann Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) beim Rennen um den Chefposten mit ihrem rechtsstaatlichen und bürgerrechtlichen Profil punkten. Schon ein halbes Jahr vor der im Juni 2014 anstehenden Kür des neuen Generalsekretärs durch die Parlamentarische Versammlung ist im Straßburger Palais de l’Europe der Wahlkampf entbrannt. In Straßburg tritt die FDP-Politikerin gegen den sozialdemokratischen Amtsinhaber Thorbjörn Jagland (Norwegen) und gegen den konservativen Franzosen Jean-Claude Mignon an, den Präsidenten des Europaratsparlaments. Das Interview im Wortlaut:
Herr Strässer, ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger politisch und fachlich prädestiniert für das Amt des Generalsekretärs?
Auf jeden Fall. Sie war vor 2009 viele Jahre im Europaratsparlament aktiv und hat sich dort durch mehrere qualifizierte Berichte hervorgetan, zu denken ist vor allem an ihre kritische Aufarbeitung der fragwürdigen Prozesse gegen Michail Chodorkowski in Russland. Die FDP-Politikerin steht für eine Politik im Sinne von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Bürgerrechten, und ein solches Profil passt genau zum Auftrag des Staatenbunds. So dürfte beispielsweise ihr hartnäckiger Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung beim Europarat als Pluspunkt zählen.
Wie stehen die Chancen der liberalen Politikerin im Straßburger Abgeordnetenhaus? Immerhin muss sie sich gegen Amtsinhaber Jagland und Parlamentspräsident Mignon durchsetzen. Wird die Bundestagsdelegation die deutsche Kandidatin fraktionsübergreifend unterstützen?
Ich bin froh, dass drei profilierte Persönlichkeiten antreten, die allesamt dem Europarat gut zu Gesicht stehen. Die Wahl selbst dürfte sehr spannend werden, die Perspektiven der Bewerber bei diesem offenen Rennen sind schwer einzuschätzen. Natürlich verfügt Jagland als Amtsinhaber über einen gewissen Bonus. Ich denke indes, dass Leutheusser-Schnarrenberger mehr als nur eine Außenseiterchance hat. Wie sich die neue Straßburger Bundestagsdelegation, die im Januar zu bilden ist, entscheiden wird, lässt sich nicht beurteilen. Vielleicht spielt es eine Rolle, dass die Freidemokratin die offizielle Kandidatin der Bundesregierung ist. Möglicherweise kommen aber auch parteipolitische Präferenzen zum Zug.
Das Ministerkomitee als Organ der 47 Regierungen prüft die Bewerbungen und legt dann den Abgeordneten für die Abstimmung eine Liste vor, auf der alle drei Namen stehen können, vielleicht wird jedoch ein Kandidat gestrichen. 2009 gab es bei der Wahl des Generalsekretärs einen Aufstand der Volksvertreter gegen das Ministerkomitee, das zwei Bewerber aus den Reihen des Parlaments ausgebootet hatte. Haben die Abgeordneten inzwischen mehr zu sagen?
Das hoffe ich sehr. Die Regierungen müssen uns ernst nehmen und eine echte parlamentarische Mitbestimmung bei der Zusammenstellung der Kandidatenliste gewährleisten. Diese Mitsprache müssen wir auch unsererseits massiv einfordern. Sollte das Ministerkomitee dieses Mal erneut versuchen, die Volksvertreter außen vor zu lassen, dann wird es zu einem Konflikt kommen, der den Streit von 2009 in den Schatten stellt. Erste Gespräche zwischen Delegationen der Parlamentarier und des Ministerkomitees bei der Sitzung der Abgeordneten Ende Januar werden zeigen, wohin die Reise geht.
Jagland hatte nicht zuletzt die Aufgabe, dem Europarat gegenüber der EU mehr Geltung zu verschaffen. Hat das geklappt?
Leider lässt sich das so nicht sagen. Der norwegische Ex-Premier hat zwar einige Fortschritte erreicht, aktuell zu erwähnen sind etwa seine Vermittlungsbemühungen in der Ukraine. Insgesamt ist es Jagland mit seinem berühmten Namen als Vorsitzender des Friedensnobelpreis-Komitees indes nicht gelungen, den Europarat auf der internationalen Bühne wirklich sichtbar zu machen. Dies gilt besonders im komplizierten Verhältnis mit der EU, das immer noch stark von Konkurrenz geprägt ist, und dies zulasten Straßburgs.
Was erwartet das Parlament vom neuen Generalsekretär?
Er muss dringend die Kommunikation mit den Abgeordneten verbessern. Es reicht nicht aus, zwei Mal jährlich im Plenum aufzutauchen. Innerhalb des Europarats herrscht ein großes Ungleichgewicht. Das Parlament hat gegenüber Generalsekretär und Ministerkomitee zu wenig Strahlkraft. Das darf nicht so bleiben. Der Generalsekretär sollte stärker in der internationalen Politik mitmischen. Er ist nun mal das Gesicht des Staatenbunds, und dessen Profil hat er zu schärfen.
Gefordert sind aber wohl auch die Abgeordneten.
Ohne Zweifel. Das Parlament verzettelt sich in vielen, allzu vielen Themen, das tut uns nicht gut. Wir sollten uns auf unseren Kernauftrag konzentrieren, auf das Engagement für freiheitliche Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte. Dies verschafft dem Europarat Konturen. (kos/06.01.2014)