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Politiker der Koalition haben in der Wirtschaftsdebatte des Deutschen Bundestages am Donnerstag, 30. Januar 2014, ein klares Bekenntnis zum Industriestandort Deutschland abgelegt. Zugleich wurde die Weiterführung und Neuausrichtung der Energiewende betont. Von der Opposition gab es Warnungen, im Rahmen der Energiewende den Atomstrom durch Strom aus Braunkohle zu ersetzen.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) legte in der Debatte ein klares Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft ab. Wenn man Mindestlöhne und Verbesserungen bei der Rente und Pflege einführe, dann "stärkt das das Soziale in der Marktwirtschaft".
Die damit verbundenen Belastungen für die Wirtschaft seien angemessen und vertretbar. Trotzdem dürfe man nicht verkennen, dass es sich um Belastungen handele. Daher müsse an anderer Stelle nach Entlastungen gesucht und in der Energiepolitik für "Planbarkeit, Berechenbarkeit und Kostendämpfung" gesorgt werden.
Die gute wirtschaftliche Entwicklung dürfe nicht allzu sehr beruhigen. Deutschland habe eine zu geringe Investitionsquote. Lohn- und Sozialkosten würden nicht mehr den internationalen Wettbewerb bestimmen, sondern es seien heute Rohstoff- und Energiekosten.
Zudem müsse es ein gesellschaftliches Klima geben, in dem "industrielle Produktion als das begriffen wird, was sie ist: nämlich die Grundlage für unseren Wohlstand und nicht als lästiges Anhängsel einer Dienstleistungsgesellschaft, das man möglichst schnell loswerden will." Die Ergebnisse von Forschung und Entwicklung müssten zu Produktion in Deutschland führen.
Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und des Emissionhandels in Europa und damit verbunden ein besserer Klimaschutzes seien ebenso wichtige Aufgaben wie die Sicherung der Stromversorgung sowie der Ausbau der Netze, sagte Gabriel.
Er warnte aber auch: "Das was bei uns unter der Überschrift Energiewende debattiert wird, hat nach wie vor das Potenzial zu einem großen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Erfolg. Aber es birgt auch das Risiko einer dramatischen Deindustrialisierung, wenn wir die Kosten für Wirtschaft und Industrie nicht deutlich verändern."
Gabriel hob hervor, dass die erneuerbaren Energien von einer Nischentechnologie zur bestimmenden Technologie geworden seien. Es gebe 300.000 Arbeitsplätze – zehnmal so viel wie seinerzeit in der Atomenergie. Die Förderung der erneuerbaren Energien entziehe Verbrauchern und Wirtschaft jedes Jahr zwischen 22 und 24 Milliarden Euro. Das sei richtig und notwendig, "aber es ist auch eine Belastung, die kein anderes Land in Europa zu tragen bereit wäre".
Wenn es nicht gelinge, die Kostendynamik zu brechen, werde auch kein anderes Land folgen. "Ich werde niemandem sinkende Strompreise versprechen, aber wir können die Kostendynamik drastisch brechen", versicherte der Wirtschaftsminister.
Noch deutlicher als Gabriel warnte Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) vor den Gefahren einer Deindustrialisierung. Auch wenn es Deutschland gut gehe, gebe es keine Zeit, "uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen", weil man eine Reihe von dicken Problemen habe – wie Fachkräftemangel, Überalterung und zunehmenden Wettbewerb. Es dürfe in Deutschland keine Deindustrialisierung geben, während die USA die Schiefergasförderung zu einer Reindustrialisierung nutzen würden.
In der Energiepolitik setzte Fuchs eigene Akzente, in dem er vor zu hohen Ausbauzielen bei der Bioenergie warnte: "Es muss Schluss sein mit der Übermaisung des Landes. Die einzigen, die daran Spaß haben, sind die Wildschweine." Durch die EEG-Ausgaben von 24 Milliarden Euro entstehe ein gewaltiger Kaufkraftverlust. Eine vierköpfige Familie zahle bis zu 500 Euro im Jahr für die EEG-Umlage. Die Gesamtausgaben seien so hoch wie der Verkehrsetat: "So können wir nicht weiter machen."
Fuchs warnte davor, die Eigenstromproduktion der Industrie mit der EEG-Umlage zu belasten. "Massive Sorgen" bereite ihm auch das Beihilfeverfahren der EU gegen die Strompreisvergünstigungen für die energieintensiven Industrien. Wenn es nicht gelinge, die Ausgleichsregelung in Brüssel zu retten, "werden wir wesentliche industrielle Zweige verlieren". Davor hatte auch Gabriel gewarnt.
Wie Fuchs hob Hubertus Heil (SPD-Fraktion) hervor, dass es Deutschland gut gehe. Wer morgen sicher leben wolle, müsse aber heute für Reformen sorgen, verlangte Heil, der sich für eine Erhöhung der Investitionsquote stark machte.
Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete die von der Koalition geplante Drosselung des Ausbautempos bei den erneuerbaren Energien als "fundamentalen Irrtum". Über eine Ausbaubremse könne geredet werden bei einem Anteil der erneuerbaren Energien von 75 bis 80 Prozent: "Wir sind aber erst bei 25 Prozent." Da sei es "großer Fehler", die erneuerbaren Energien zu deckeln.
Selbst Gabriels Ministerium bezeichne die Windenergie an Land als preiswerter als Strom aus Kohle- und Gaskraftwerken. Diese erneuerbaren Energien zu deckeln, habe nichts mit Kosteneffizienz zu tun, sondern werde den Strompreis noch treiben.
Krischer warf der Koalition vor, "Ammenmärchen" über zu hohe Industriestrompreise zu verbreiten. Wenn Thyssen-Krupp Probleme habe, habe das mit Missmanagement und nicht mit den Strompreisen zu tun. Krischer warnte davor, Atomstrom durch Braunkohle zu ersetzen: "Sie machen damit aus der Energiewende eine Braunkohlenwende. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen."
Klaus Ernst (Die Linke) übte grundsätzliche Kritik an der Wirtschaftspolitik, deren Verlierer Arbeitnehmer und Rentner seien. Deutschland gehe es gar nicht so gut, wie Kanzlerin Angela Merkel behauptet habe: "Die Realität sieht anders aus." Tatsächlich sei das Bruttoinlandsprodukt von 2000 bis 2013 um knapp 15 Prozent gewachsen. Im selben Zeitraum seien die Löhne nur um ein Prozent gestiegen und damit von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt worden. Dazu gebe die Regierung keine Antworten.
Die realen Renten langjährig Versicherter seien im Westen um 19 und im Osten um 23 Prozent gesunken. Die Wirtschaft wachse zwar, aber die Mehrheit der Bürger habe nichts davon. Profitiert hätten mit einem Zuwachs von 32 Prozent die Bezieher von Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen.
Von den angekündigten höheren Steuern auf Vermögen und für hohe Einkommen höre man aber nichts mehr. Diese Entwicklung passe nicht in eine soziale Marktwirtschaft, kritisierte Ernst, der höhere Löhne und eine Steigerung der Binnennachfrage forderte. Das würde auch angesichts der hohen deutschen Außenhandelsüberschüsse ein Beitrag zur Stabilität in Europa sein. (hle/30.01.2014)