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Vor Kurzem hat das Parlament die Konsequenzen noch einmal bekräftigt, die aus den Ermittlungspannen bei der Aufklärung der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) zugeschriebenen Mordserie zu ziehen sind. Jetzt hat der Bundestag einen Film über die parlamentarische Aufarbeitung dieser Ermittlungen im sogenannten NSU-Untersuchungsausschuss mit dem Medienpreis Politik 2013 gewürdigt. Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert ehrte die Autoren Matthias Deiß, Jochen Graebert und Robin Lautenbach von der ARD am Mittwoch, 19. März 2014, vor zahlreichen Gästen im Berliner Haus der Kulturen der Welt mit dem mit 5.000 Euro dotierten Preis, den der Bundestag seit 1993 vergibt.
"Staatsversagen. Der NSU-Ausschuss und die schwierige Aufarbeitung" lautete der Titel der TV-Dokumentation, die am Mittwoch, 21. August 2013, im ersten Programm gesendet wurde. Die drei ARD-Hauptstadtstudio-Korrespondenten hatten hinter die Kulissen geschaut und gezeigt, wie die Abgeordneten im Ausschuss immer wieder mit plötzlich verschwundenen Akten, Zeugen, die sich nicht erinnern wollen, und unwilligen Verfassungsschutzbehörden kämpfen mussten.
Wie die Abgeordneten, so hatten sich auch die Filmautoren auf die Suche nach Antworten gemacht. Sie fuhren zu den Tatorten, sichteten geheime Akten und standen mit Tülin Özüdoğru, der Tochter eines NSU-Mordopfers, am Grab ihres ermordeten Vaters. "Emotional berührend wird die Geschichte aus der Perspektive der Opfer und ihrer Angehörigen erzählt", sagte Thomas Kröter (Kölner Stadtanzeiger/Mitteldeutsche Zeitung) als Vertreter der siebenköpfigen Medienpreis-Jury in seiner Laudatio.
Hauptpersonen sind die "politischen Antipoden" des Untersuchungsausschusses, der ehemalige Polizist und heutige CDU-Abgeordnete Clemens Binninger, sowie Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau als Vertreterin der Linken, die bis vor Kurzem vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, wie Kröter hinzufügte. "Pau und Binninger verkörpern das kollektive Entsetzen aller politischen Kräfte im Bundestag." Die Autoren des Beitrags seien mit einer "schmalen halben Stunde" ausgekommen, ohne nur an der Oberfläche zu kratzen: "Das ist hohe Dokumentationskunst."
Am Ende bleibe im Film die Frage unbeantwortet: Wie konnte das passieren? Der Film lege nahe, so Kröter, dass es eine Ursache gibt, "die in den Köpfen der Fahnder steckt". Welchen Schluss soll der Zuschauer ziehen? Die Autoren vertrauten auf dessen Urteilskraft, sagte Kröter. Norbert Lammert ergänzte, an einem besonders bedrückenden Beispiel werde gezeigt, wozu man Parlamente braucht und wozu sie in der Lage sind.
Kurz vor der Fertigstellung des Films sei aufgefallen, dass die Abgeordneten in einem "außerordentlich guten Licht" dargestellt würden, erinnerte sich Preisträger Robin Lautenbach. Auf der Suche nach "kritischer Distanz" sei man aber nicht fündig geworden, sodass so etwas wie "Lobhudelei" herausgekommen sei. Es sei der Tatsache der Verbrechen und der Tatsache des Versagens der Ermittlungsbehörden geschuldet, dass die Abgeordneten sich gefunden und zusammengearbeitet hätten: "Das war die Stärke dieses Ausschusses", sagte Lautenbach mit Respekt vor der Arbeit der Parlamentarier.
"Unsere Abgeordneten können, wenn es darauf ankommt, eine gute Arbeit leisten." Deshalb hätten sie auf eine kritische Distanz verzichtet", betonte der Fernsehjournalist. "Tülin Özüdoğru hat uns ihre Gedanken mitgeteilt, dass man ihr den Vater genommen und als Rauschgifthändler dargestellt habe, der aus dem Milieu heraus ermordet worden sei." Lautenbach: "Der Preis ist Ansporn für uns, Politik lebendig darzustellen, aber immer seriös und sachlich zu bleiben."
Nominiert für den Medienpreis Politik, der in diesem Jahr zum 15. Mal verliehen wurde, waren darüber hinaus das Team des "#ZDFcheck", vertreten durch Dr. Eckart Gaddum, Imke Pässler-Strauß und Sonja Schünemann, sowie Reinhard Bingener und Timo Frasch von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit einem am 30. Juni 2013 erschienenen Text über den "besten Bundestagsabgeordneten der Welt".
Der "#ZDFcheck" überprüfte Aussagen von Politikern im Bundestagswahlkampf 2013 auf ihren Wahrheitsgehalt. Ziel sollte es sein, für die Leser und Nutzer der Internetseite "zdfcheck.zdf.de" mehr Transparenz über den Wahrheitsgehalt von politischen Aussagen sowie über taktische und rhetorische Kalküle politischer Akteure zu schaffen.
Gecheckt wurden nur Aussagen, die belegbar oder widerlegbar sein, also Fakten, nicht Meinungen. Der Checkprozess ließ sich live auf zdfcheck.de verfolgen. Zunächst wurde definiert, was gecheckt werden sollte, und es wurden Recherchefragen formuliert, die zusammen mit den Nutzern abgeprüft und als wahr oder falsch bewertet werden konnten.
Am Schluss stand das Fazit des #ZDFcheck-Teams, das sich aus Journalisten, Research-Experten, Social-Media-Redakteuren und Grafikredakteuren zusammensetzte. Der ZDF-Faktencheck habe sich von der Konkurrenz dadurch unterschieden, dass er seinen Namen "zu Recht trägt", erläuterte Juror Kröter. Dazu hätten die Autoren eine hinreichend differenzierte fünfstufige Skala entwickelt, um die Behauptungen der Politiker an der Wirklichkeit zu messen.
Die Autoren Reinhard Bingener und Timo Frasch hatten den "besten Abgeordneten der Welt" in seiner niederbayerischen Heimat im Wahlkreis Straubing besucht. Ernst Hinsken, mittlerweile 71, vertrat den Wahlkreis von 1980 bis 2013 im Bundestag. Zwei Mal erreichte er das beste Erststimmen-Ergebnis aller Bundestagsabgeordneten.
Bingener und Frasch fahndeten nach den Gründen für den Erfolg dieses Abgeordneten, der Parlamentarischer Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Tourismusbeauftragter der Bundesregierung und Vorsitzender des Tourismusausschusses und des Wirtschaftsausschusses war. Kröter: "Keine ,Niedermach’-Geschichte, sondern ein liebevolles Porträt." Der Leser lerne auf vergnügliche Weise, "wie Politik so funktioniert, auch außerhalb des Wahlkreises".
Dass der Medienpreis Politik des Bundestages weder der einzige noch der höchstdotierte ist, stellte Norbert Lammert zu Beginn gleich klar. Im vergangenen Jahr, das ein Wahljahr war, sei er auf breitere Resonanz gestoßen als manches Jahr zuvor.
Der Medienpreis würdigt hervorragende publizistische Arbeiten, die zu einem vertieften Verständnis parlamentarischer Praxis beitragen und zur Beschäftigung mit Fragen des Parlamentarismus anregen. Ausgezeichnet werden können Beiträge aller Medienformen, regionalen wie überregionalen Zuschnitts. 24 Journalistinnen und Journalisten haben den Preis bislang erhalten.
Der Schauplatz der Preisverleihung, das Haus der Kulturen der Welt, die frühere Kongresshalle, hat eine parlamentarische Vorgeschichte. Bei zwei von neun Sitzungen, die vor der deutschen Vereinigung in Berlin stattfanden, tagte der Bundestag in diesen Räumen. Das erste Mal am 15. Oktober 1957 zur konstituierenden Sitzung des dritten Deutschen Bundestages, bei der Marie-Elisabeth-Lüders (FDP) als Alterspräsidentin fungierte und Eugen Gerstenmaier (CDU) erneut als Bundestagspräsident gewählt wurde.
Die zweite Plenarsitzung fand am 7. April 1965 in der Kongresshalle statt. Lammert erinnerte sich an die Medienberichterstattung über diese Sitzung, die damals von der Sowjetunion und der DDR massiv durch Düsenflugzeuge über dem Gebäude gestört worden war. (vom/19.03.2014)