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Das neue Gesundheitsreformgesetz sorgt für heftigen Streit zwischen Regierung und Opposition. Bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (18/1307) am Freitag, 9. Mai 2014, im Bundestag zeichneten Redner beide Seiten ein streckenweise gegensätzliches Bild, was die Perspektiven des solidarischen Gesundheitswesens im Allgemeinen und die Beitragsentwicklung im Besonderen betrifft.
Während die Regierung davon ausgeht, dass viele Beitragszahler ab 2015 entlastet werden, rechnet die Opposition mit steigenden Belastungen für die Versicherten. In scharfer Form rügten Gesundheitsexperten der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen insbesondere den Verzicht auf die paritätische Finanzierung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
Der Entwurf für das "GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz" sieht vor, dass der Beitragssatz ab 2015 von jetzt 15,5 auf 14,6 Prozent sinkt, wobei der hälftige Arbeitgeberanteil von 7,3 Prozent gesetzlich festgeschrieben wird. Der bisher allein von den Versicherten gezahlte Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Prozent des Einkommens fällt ebenso weg wie die möglichen pauschalen Zusatzbeiträge.
Dafür können die Krankenkassen künftig einkommensabhängige Zusatzbeiträge erheben. Somit werden die Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) künftig wieder variieren. Die Novelle sieht zudem die Gründung eines unabhängigen Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen vor.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) versicherte, mit dem Gesetz werde die solidarische Finanzierung im Gesundheitswesen zukunftsfest gemacht. Der Wettbewerb der Kassen untereinander werde gestärkt. Schon jetzt zeichne sich ab, dass mindestens 20 Millionen GKV-Mitglieder ab dem kommenden Jahr entlastet würden. Und auch in den folgenden Jahren rechne er damit, dass die Kassen im Wettbewerb bestrebt sein werden, die Beiträge niedrig zu halten.
Als wesentlichen Bestandteil des neuen Gesetzes nannte Gröhe die Qualitätssicherung über das neu zu gründende Qualitätsinstitut. Mit dem Demografiewandel stellten gerade mehr ältere Menschen höhere Anforderungen an die Behandlungsqualität.
Das Institut solle Optimierungsvorschläge unterbreiten sowohl für den stationären wie für den ambulanten Bereich. Speziell in den Kliniken solle eine hohe Behandlungsqualität gesichert werden. Ferner solle das Institut dafür sorgen, dass die Vorzüge oder Nachteile der Kliniken für die Verbraucher sichtbar würden. Dazu müssten unter anderem die Qualitätsberichte verständlicher werden.
Die Opposition rügte neben der geplanten vorübergehenden Senkung des Bundeszuschusses an den Gesundheitsfonds vor allem den Verzicht auf die paritätische Gesundheitsfinanzierung als schweren Fehler. Harald Weinberg (Die Linke) sagte, die Parität sei ein wesentliches Merkmal des solidarischen Systems, das jetzt beschnitten werde.
Er erinnerte zugleich daran, dass die Arbeitnehmer allein seit 2005 schon neun bis zehn Milliarden Euro mehr pro Jahr an Beiträgen in die Krankenkassen eingezahlt hätten als die Arbeitgeber. Dies sei völlig inakzeptabel. Linke und Grüne zweifeln auch an der Beitragssenkung. Weinberg sagte, bisher hätten erst sieben Kassen dies angekündigt, zugleich fielen die Bonuszahlungen weg. Es könne somit für alle Versicherten "recht schnell" teurer werden.
Maria Klein-Schmeink von der Grünen-Fraktion sprach von einem "zutiefst ungerechten" Systemwechsel, wenn künftig nur die Versicherten den Kostenanstieg im Gesundheitswesen zahlten. Sie warf der SPD vor, bei den Koalitionsverhandlungen in dem Punkt "grandios" gescheitert zu sein.
Die Kassen würden künftig im Wettbewerb "auf jeden Cent schauen" und Leistungen für die Versicherten begrenzen, wo immer sie dies könnten. Dies sei "ein Vergehen" an den Versicherten und ein "Raubbau an der Solidarität im gesetzlichen Gesundheitswesen".
Die Gesundheitsexperten von SPD und Union, Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach (SPD) und Jens Spahn (CDU/CSU), sprachen hingegen von einem guten, finanziell nachhaltigen und solidarischen Gesetz. Lauterbach gab zu bedenken, dass die "kleine Kopfpauschale" wegfalle, was auch die Grünen immer gefordert hätten und Arbeitslose keinen Zusatzbeitrag in der neuen Form zahlten.
Auch der geplante Finanzausgleich unter den Kassen stärke das solidarische System. Was vorgesehene Qualitätsinstitut wertete Lauterbach gar als "Quantensprung". Künftig werde es beispielsweise möglich sein, genau zu analysieren und darzustellen, wie gut welches Krankenhaus auf welchem Gebiet arbeite. Auf der Grundlage dieser Daten könne auch die Vergütung gesteuert werden.
Spahn rechnet damit, dass die Verbraucher vom Wettbewerb und der Vielfalt der Kassen profitieren werden. Die Versicherten können selbst entscheiden, ob aus ihrer Sicht das Preis-Leistungs-Verhältnis bei den Kassen stimme. Der bisherige Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Prozent werde nunmehr "in den Preiswettbewerb" gestellt.
Spahn verteidigte auch den festgeschriebenen Beitragssatz für die Arbeitgeber. Die stetig steigenden Gesundheitskosten müssen gerade in einer alternden Gesellschaft von den Arbeitskosten entkoppelt werden. Der Gesetzentwurf wurde zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen. (pk/09.05.2014)