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Die von der Bundesregierung geplante Neuregelung der sogenannten Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht stößt bei Experten auf ein gemischtes Echo. Dies wurde am Montag, 23. Juni 2014, bei einer Sachverständigen-Anhörung des Innenausschusses unter Vorsitz von Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/1312) deutlich. Der Expertenrunde lag zugleich je ein Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke (18/1092) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/185 neu) zur Aufhebung der Optionspflicht sowie einen Antrag der Linksfraktion „für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht“ (18/286) vor.
Wie die Regierung in ihrer Vorlage ausführt, sollen „in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern“ in Zukunft nicht mehr die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren können. Nach der bisher geltenden Optionspflicht
müssen sich in Deutschland geborene Kinder von Ausländern bis zum 23. Lebensjahr zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der ihrer Eltern entscheiden.
Dem Gesetzentwurf zufolge ist in der Bundesrepublik aufgewachsen, wer sich bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres „acht Jahre gewöhnlich in Deutschland aufgehalten hat, sechs Jahre in Deutschland eine Schule besucht hat oder über einen in Deutschland erworbenen Schulabschluss oder eine in Deutschland abgeschlossene Berufsausbildung verfügt“.
Der Leiter der Stuttgarter Staatsangehörigkeits- und Einbürgerungsbehörde, Andreas Deuschle, verwies in der Anhörung darauf, dass sich nach der derzeit geltenden Rechtslage die Zahl der Optionspflichtigen ab dem Jahr 2018 gegenüber den jetzigen Zahlen verzehnfachen werde. Vor diesem Hintergrund stelle der Regierungsentwurf „aus der Sicht des Praktikers eine wesentliche Verbesserung gegenüber der alten Regelung dar“. Deshalb begrüße er diese Vorlage grundsätzlich. Dabei sehe er, dass ein vollständiger Wegfall der Optionspflicht „politisch derzeit nicht im Raum steht“.
Martin Jungnickel vom Regierungspräsidium Darmstadt betonte, die Verwaltung sei natürlich froh, dass es den Regierungsentwurf gebe. Die darin vorgesehene Regelung bedeute im Verhältnis zum jetzt geltenden Recht eine große Entlastung. Gleichwohl müssten auch bei dem geringeren Aufwand „alle Ius-soli-Deutschen durch ein – wenn auch reduziertes – Verwaltungsverfahren“. Daher stelle sich „die Frage nach Verhältnis und Ertrag“ nach wie vor, wenn auch auf einem geringeren Niveau als vorher.
Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Safter Çinar, sprach sich dafür aus, das Optionsmodell zu streichen. Mehrstaatigkeit sollte zum Regelfall werden. Viele Menschen wollten ihre ursprüngliche, von den Eltern übertragene Staatsbürgerschaft beibehalten und sich zugleich gerne einbürgern lassen.
Insbesondere die „türkeistämmigen Bewohner der Bundesrepublik“ sähen „immer mehr in der Ablehnung der Mehrstaatigkeit die Ablehnung ihrer ethnischen Herkunft“. Für die Ablehnung der Mehrstaatigkeit sehe er keine zeitgemäßen Argumente.
Prof. Dr. Bernd Grzeszick von der Universität Heidelberg sagte demgegenüber, Mehrstaatigkeit könne zu Komplikationen „rechtlicher, tatsächlicher und politischer Art“ führen. Mehrstaatigkeit sei nicht immer zwingend abzulehnen, doch gebe es gute Gründe, „zu verlangen, dass begründungslastig wird, Mehrstaatigkeit auf Dauer (...) hinzunehmen“.
Der Gesetzgeber könne sich indes „vertretbar dafür entscheiden, diesen Personenkreis der hier Geborenen und hier Aufgewachsenen aus dem Bereich der Optionsobliegenheit hinauszunehmen“.
Prof. Dr. Christian Hillgruber von der Universität Bonn sagte, wer über eine doppelte Staatsangehörigkeit verfüge, habe dadurch „erhebliche Vorteile“. Es gebe aber auch „Lasten und Probleme“. So seien Loyalitätskonflikte nicht gänzlich
auszuschließen. Auch könne es „zu einem doppelten Wahlrecht kommen“.
So sehe die Türkei seit 2012 auch das Wahlrecht für im Ausland lebende Türken bei Parlaments- und Präsidentenwahlen vor. Die Bundesrepublik könne zwar das
Wahlrecht in anderen Staaten nicht beeinflussen, aber indem sie eine doppelte Staatsangehörigkeit erlaube, übernehme sie „Mitverantwortung für eine damit einhergehende Privilegierung des Doppelstaatlers“.
Prof. Dr. Astrid Wallrabenstein von der Goethe-Universität Frankfurt am Main kritisierte „die Regelung, die den Aufenthalt im Inland (...) verlangt“, als „unionsrechtswidrig“. Schließlich handele es sich bei den Betroffenen „um mindestens deutsche Staatsangehörige, die auch Unionsbürger sind und auch ein
Interesse daran haben können, von ihrer Unionsbürger-Freizügigkeit Gebrauch zu machen“. Daran würden sie aber durch die vorgesehene Regelung in bestimmten Konstellationen gehindert.
Unionsrechtlich müsse der Aufenthalt in einem EU-Staat dem Aufenthalt im Inland gleichgestellt werden. Das führe aber zu einem verfassungsrechtlichen Problem, weil man dann erklären müsse, warum die Optionspflicht greife, wenn man sich in einem Drittstaat aufgehalten habe, aber nicht, wenn man in einem anderen EU-Staat lebt. (sto/23.06.2014)