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Bei der Debatte zur anstehenden BAföG-Reform am Donnerstag, 9. Oktober 2014, waren sich zwar alle Fraktionen einig, dass die Reform mehrere „Baustellen“ bedient, wie es der Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Kai Gehring, formulierte, aber über die grundsätzliche und strukturellen Kraft dieser Reform gingen die Meinung zwischen der großen Koalition und der Opposition weit auseinander.
Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU), lobte die Reform als „gutes Gesetz“ und betonte während der Debatte, der neben dem Gesetzentwurf (18/2663) und der Unterrichtung durch die Bundesregierung (18/460) der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/2745) zugrunde lag, dass es ein großer Schritt sei, dass der Bund ab 1. Januar 2015 allein zu hundert Prozent für das BAföG zuständig sei. Die Länder würden dadurch mit 1,17 Milliarden jährlich dauerhaft entlastet.
Wanka zählte auf, dass die Bedarfssätze ab 1. August 2016 um sieben Prozent steigen werden und auch die Freibetragsgrenzen um sieben Prozent erhöht werden. Ihr sei es sehr wichtig gewesen, dass mit der Reform der Kreis der BAföG-Berechtigten erweitert werde. In Zukunft könnten rund 110.000 mehr junge Menschen BAföG beziehen als bisher.
Zudem ging die Ministerin auf den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ein, und warf der Opposition vor, einfach nur mehr Geld zu fordern, statt eigene, konkrete Vorschläge zu machen. Wanka sagte: „Opposition kann man unterschiedlich auffassen. Man kann versuchen mitzugestalten oder aber summiert einfach Forderungen und Wünsche auf. Und dass Sie sich in diese letzte Richtung begeben haben, finde ich für die Grünen schade.“
Johanna Wanka ging auch auf den Vorwurf ein, dass die Erhöhungen durch die Bafög-Reform erst ab 2016 greifen würden. Dieser Tadel sei aus Sicht von Studenten und deren Eltern verständlich, aber nicht von Seiten der Grünen. „Die Grünen sind mittlerweile in sieben Landesregierungen. Ihr Pech! Diese Länderregierungen haben über Jahre nicht zugestimmt, das wir an einer BAföG-Novelle arbeiten“, spielte die Ministerin den Ball an die Opposition zurück.
Nicole Gohlke (Die Linke) kritisierte die Reform als „kurzsichtig und planlos“. In ihrem Redebeitrag umriss sie das gesamte Bildungsdilemma für Studenten, Eltern, Schüler und Kleinkinder. „Tausende Studenten warten auf eine BAföG-Erhöhung, Tausende warten, dass sie die Mieten in den Uni-Städten besser bezahlen können, zahllose Schulen warten darauf, saniert zu werden, Eltern warten auf Kita-Plätze und Ganztagsschulen, und Lehrer warten auf kleinere Klassen.“
Statt einer schnellen und unkomplizierten Lösung, feile die Bundesregierung an einem Deal aus BAöG-Novellierung und Neuregelung des Kooperationsverbotes. Am Ende würde keines der beiden Probleme gelöst werden. Was die Bundesregierung mache, sei Schadensbegrenzung der von der damaligen Großen Koalition vorangetriebenen Föderalismusreform von 2006. Danach war es dem Bund verboten worden, in der Bildung die Länder finanziell zu unterstützen.
Anschließend sei noch die Schuldenbremse eingeführt worden. Die Folge sei, empörte sich Gohlke: „Bildung wird kaputtgespart.“ Mit dieser Reform würden Stellschrauben lediglich gelockert, aber es werde nicht an ihnen gedreht. Denn es sei jetzt schon deutlich, dass viele Bundesländer die nun frei werdenden Mittel nicht nur in die Hochschulen stecken würden, sondern auch für vieles andere ausgeben, wie etwa klamme Landeshaushalte, Schulen oder den Kita-Ausbau. „So ein Gegeneinanderausspielen von Bildung ist unerträglich“, sagte Gohlke.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Thomas Oppermann, ging in seinem Beitrag vor allem auf die lange, erfolgreiche Historie des BAföGs ein. Das Gesetz, das 1971 von der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) verabschiedet worden sei, sei eines der besten Instrumente, um Aufstieg zu ermöglichen. Damit habe man „das zentrale Versprechen der sozialen Marktwirtschaft eingelöst, dass alle unabhängig von ihrer Herkunft die gleichen Chancen für Bildung und Ausbildung“ bekommen.
Ende der sechziger Jahre habe es lediglich 300.000 Studenten gegeben, zehn Jahre später seien es schon fast 600.000 gewesen und heute studierten 2,6 Millionen Menschen. Das BAföG habe kulturelle Barrieren niedergerissen, denn es sei zuvor in Arbeiterkreisen nicht statthaft gewesen, an die Universität zu gehen. Die gesellschaftspolitische Botschaft des BAföG habe dem entgegengewirkt. Sie hieß: „Ihr seid an den Universitäten willkommen.“ Auch heute sei BAföG eine gute Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Lediglich 2,5 Prozent der Akademiker seien arbeitslos, fünf Prozent Menschen mit einer Ausbildung und 19 Prozent der ungelernten Menschen.
Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) sagte: „Die Koalition ist selbstzufrieden. Studierende, Schüler und Eltern können es aber nicht sein.“ Es sei enttäuschend, dass alle Änderungen erst Ende 2016 greifen würden. Bis dahin würden noch mal 60.000 Studenten aus der BAföG-Förderung herausrutschen, bekräftigte Gehring in seinem Debattenbeitrag. Diese Zahl hatte Wanka in ihrem Beitrag schon vorab thematisiert und als Rechenfehler der Grünen dargestellt.
Gehring forderte die Erhöhung der Mittel um zehn Prozent und rechnete in seinem Debattenbeitrag vor, dass die Studenten von 2010 bis 2016 keine BAföG-Erhöhung erhalten hätten. Mit der geplanten Erhöhung werde die Preis- und Einkommensentwicklung ignoriert. Die Erhöhung klinge gut, halte mit der Inflation aber nicht Schritt. Gehring sagte: „Das heißt: 2010 war BAföG mehr wert als es 2016 wert sein wird.“
Grundsätzlich sagte er: „Es darf nicht sein, dass nach der teure Rentenreform die junge Genration das Nachsehen hat. Bei der Rente zügig geklotzt, beim BAföG langsam gekleckert, das ist weder chancen- noch generationengerecht.“
Stefan Kaufmann (CDU/CSU) lobte die Reform des BAföG als „großen Aufschlag“, der einen großen Teil der Forderungen der CDU/CSU enthalte. Das BAföG erhöhe Bildungsgerechtigkeit und Bildungschancen. Man wolle auch weiterhin den Anteil der Arbeiterkinder unter den Studenten erhöhen, betonte Kaufmann. Zudem wies Kaufmann wie es zuvor schon Thomas Oppermann getan hatte, auf den Wert der beruflichen Bildung hin, der nicht gegen den Wert der akademischen Bildung ausgespielt werden dürfe.
Zudem ging Kaufmann auf den Vorwurf der Opposition ein, dass die BAföG-Reform spät komme. „Das ist allein auf die Blockadehaltung der Länder zurückzuführen.“ Grundsätzlich liege in der künftigen Alleinzuständigkeit durch den Bund eine große Chance, da es keine Zustimmungspflicht der Länder mehr geben werde und die Länder dadurch auch keine Blockadehaltung mehr einnehmen können. „Der Bund kann künftig diese wichtige Säule der Studierendenförderung in Eigenregie weiterentwickeln.“ Diese Entflechtung von Zuständigkeit sei ein enormer Gewinn und vorbildhaft für manches verschränkte Politikfeld „in unserer föderalen Ordnung". (rol/09.10.2014)