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Die Versorgungsstrukturen in der Psychiatrie und Psychosomatik müssen nach Ansicht aller Fraktionen des Bundestages systematisch weiterentwickelt und verbessert werden. Das machten Gesundheitsexperten von Union, SPD, der Linken und Grünen am Donnerstag, 9. Oktober 2014, in einer neuerlichen Debatte über das umstrittene Abrechnungssystem für psychiatrische Fachkliniken deutlich.
So dürfe bei der Behandlung psychischer Erkrankungen nicht am Personal gespart werden. Außerdem gelte es, die stationäre und ambulante Versorgung besser miteinander zu verzahnen. Ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/849) mit Forderungen nach systematischen Änderungen am Pauschalierenden Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) wurde von Rednern der Koalitionsfraktionen allerdings als überholt gewertet und mehrheitlich abgelehnt.
Die Fraktion Die Linke war im Juni bereits mit einem Antrag (18/557) gescheitert, PEPP gänzlich zu stoppen. Mit dem Gesundheitsreformgesetz (18/1657) wurde jedoch angesichts anhaltender Kritik aus Fachkreisen die Optionsphase zur Einführung der neuen Abrechnung um zwei Jahre verlängert. Kritisiert wurde konkret die fallbasierte Tageskostenkalkulation mit degressiven Vergütungsstufen. Dass die Pauschalen nach einer bestimmten Behandlungsdauer verringert werden sollten, hätte nach Ansicht von Experten dazu führen können, dass Patienten die Kliniken zu früh verlassen. Inzwischen wurde hier aber nachgebessert.
Gleichwohl sind Linke und Grüne mit der Situation in der psychiatrischen Versorgung weiter unzufrieden und fordern eine grundlegende Strukturreform. Harald Weinberg (Die Linke) monierte, das Prinzip der Fallpauschalen verschlechtere die Versorgung der Patienten, und PEPP lehne sich an dieses Prinzip an.
So entschieden ökonomische Gründe darüber, wie lange ein psychisch kranker Mensch behandelt werde. Die Linke sei aber "gegen Markt und Wettbewerb in Kliniken", insbesondere in der Psychiatrie. Weinberg kritisierte, die Union nehme PEPP als gegeben hin und wolle daran die Versorgung orientieren. Richtig wäre es aber, umgekehrt den Versorgungsbedarf in den Vordergrund zu stellen und dann die Vergütung zu klären.
Auch die Grünen-Abgeordnete Maria Klein-Schmeink forderte zunächst eine wirkliche Reform in der Psychiatrie mit einer Weiterentwicklung der Versorgung. So müsse geklärt werden, wo eigentlich der Bedarf für die Patienten liege.
Außerdem müsse der Übergang von der stationären Versorgung zurück in den Alltag organisiert werden. Die Chance zu einer grundlegenden Versorgungsstruktur sei nun verpasst worden.
Gesundheitsexperten von CDU, CSU und SPD gaben sich gesprächsbereit und räumten ein, dass PEPP noch Fragen aufwerfe. Die CDU-Abgeordnete Ute Bertram wies jedoch darauf hin, dass PEPP bereits "respektabel weiterentwickelt" worden sei. So könne nunmehr bei der Abrechnung der wechselnde Aufwand im Verlauf einer Behandlung berücksichtigt werden. Zu einer Unterversorgung werde es somit nicht kommen.
Mit der Verlängerung der Optionsphase um zwei Jahre werde PEPP mehr Zeit gegeben, um den hohen Ansprüchen an das Vergütungssystem besser gerecht zu werden. Die Koalition sei also "nicht mit der Brechstange gekommen". Es werde bewusst ein Zeichen gesetzt, um konstruktiver Kritik entgegenzukommen, sagte Bertram.
Der SPD-Abgeordnete Prof. Dr. Karl Lauterbach verwies auf den Prüfauftrag der Koalition, zu klären, ob PEPP weiter verfolgt werden solle und welche Veränderung nötig seien. PEPP selbst stehe nicht für eine Strukturreform, sondern sei ein Vergütungssystem.
An einer Strukturreform werde ebenso gearbeitet, denn die Leitlinien in der psychotherapeutischen Versorgung seien veraltet, nicht interdisziplinär und auch nicht sektorenübergreifend. Lauterbach betonte, betroffene Menschen seien auf eine gute Versorgung angewiesen, jede Ökonomisierung auf diesem Gebiet sei falsch.
Ähnlich äußerte sich die CSU-Abgeordnete Emmi Zeulner, die darauf hinwies, dass in den psychiatrischen Einrichtungen in Deutschland jährlich 1,1 Millionen Patienten behandelt würden mit steigender Tendenz. Den Betroffenen müsse die bestmögliche Versorgung zukommen und PEPP sei offen für Verbesserungen, wenn auch derzeit nicht der Weisheit letzter Schluss. Jedoch gebe es bereits Fortschritte, so etwa die verlängerte Optionsphase.
Zudem habe die Selbstverwaltung die umstrittene Degression weitgehend abgeschafft. Die weitere Entwicklung werde aufmerksam verfolgt. So sei eine ausreichende Personalausstattung in der Psychiatrie unabdingbar, vor allem in der Kinderpsychiatrie. (pk/09.10.2014)