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Mit der Pflegereform steht am Freitag, 17. Oktober 2014, eines der wichtigsten gesundheitspolitischen Vorhaben der Großen Koalition im Bundestag zur Beschlussfassung an. Das erste von zwei geplanten Pflegereformgesetzen (18/1798, 18/2379) sieht Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige, Angehörige und Pflegekräfte vor. Zudem greift ab 2015 ein Inflationsausgleich in Höhe von vier Prozent. Die Debatte beginnt um 9 Uhr und ist auf 105 Minuten angesetzt. Der Gesundheitsausschuss hat eine Beschlussempfehlung zu dem Gesetzentwurf vorgelegt (18/2909). Über je einen Änderungsantrag (18/2912) und einen Entschließungsantrag (18/2916) der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen (18/2915, 18/2917) wird namentlich abgestimmt. Die Linke hat darüber hinaus zwei weitere Änderungsanträge eingebracht (18/2913, 18/2914).
Die Debatte wird live im Parlamentsfernsehen, im Internet auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen.
Um die höheren Ausgaben zu finanzieren, wird der Beitrag zur gesetzlichen Pflegeversicherung Anfang nächsten Jahres um 0,3 Prozentpunkte auf dann 2,35 Prozent (2,6 Prozent für Kinderlose) erhöht. Mit dem zweiten Reformgesetz soll der Beitrag nochmals um 0,2 Punkte steigen. Dadurch stehen dann rund sechs Milliarden Euro mehr pro Jahr für die Pflege zur Verfügung.
Zunächst werden ab 2015 mit 2,4 Milliarden Euro jährlich (0,2 Prozentpunkte) die ausgeweiteten Pflegeleistungen finanziert. Davon gehen 1,4 Milliarden Euro in die häusliche und eine Milliarde Euro in die stationäre Pflege. Vorgesehen sind Verbesserungen bei der sogenannten Verhinderungs- und Kurzzeitpflege wie auch bei der teilstationären Tages- und Nachtpflege.
In der stationären Pflege soll den Angaben zufolge die Zahl der zusätzlichen Betreuungskräfte von bisher rund 25.000 auf bis zu 45.000 erhöht werden. Demenzkranke sollen dann auch die Leistungen der Tages- und Nachtpflege, der Kurzzeitpflege oder den Zuschlag für Mitglieder ambulant betreuter Wohngruppen erhalten.
Weitere 1,2 Milliarden Euro (0,1 Prozentpunkt) sind für einen Vorsorgefonds zugunsten der Baby-Boomer-Generation reserviert. Ab 2015 sollen 20 Jahre lang Beitragsgelder in den Fonds eingespeist und ab 2035 erneut 20 Jahre lang zur Stabilisierung der Beiträge von dort wieder entnommen werden.
Aufgrund der demografischen Entwicklung wird nach Berechnungen der Bundesregierung die Zahl der Pflegebedürftigen von derzeit rund 2,5 Millionen über etwa 3,5 Millionen im Jahr 2030 auf mehr als vier Millionen im Jahr 2050 ansteigen. Nach 2055 soll die Zahl der Pflegefälle dann wieder sinken. Das maximale Kapitalvolumen des Fonds wird auf 37 bis 42 Milliarden Euro geschätzt.
Noch in dieser Wahlperiode soll schließlich mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz auch ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt werden. Künftig soll es statt drei Pflegestufen fünf Pflegegrade geben, um die Pflegebedürftigkeit genauer zuordnen zu können. Dabei wird nicht mehr zwischen körperlichen, geistigen und psychischen Beeinträchtigungen unterschieden. Vielmehr soll der Grad der Selbstständigkeit im Alltag entscheidend sein. Das soll den Demenzkranken nachhaltig zugute kommen.
Derzeit wird der neue Pflegebegriff in der Praxis erprobt, um eine Fehlsteuerung auszuschließen. Erst anschließend wird die neue Systematik offiziell eingeführt. Zu den Zielen gehört auch, die Bürokratie einzudämmen, Pfleger besser zu bezahlen und die Pflegeausbildung zu reformieren.
Über einen je einen Änderungsantrag und einen Entschließungsantrag der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen zum Pflegereformgesetzn wird namentlich abgestimmt.
Die Linke verlangt in einem Antrag (18/1953) eine Abkehr vom ,,Teilkostenprinzip" und die Einführung einer ,,solidarischen Gesundheitsversicherung" (Bürgerversicherung), um auch die Pflegekosten langfristig abzusichern. Über diesen Antrag wird ebenso abgestimmt wie über einen weiteren Antrag der Linksfraktion (18/591) mit dem Ziel, die staatlich geförderte, private Pflegezusatzversicherung, den sogenannten Pflege-Bahr, wieder abzuschaffen. Der Gesundheitsausschuss hat in beiden Fällen (18/2909, 18/2901) die Ablehnung der Anträge empfohlen.
Dass eine große Pflegereform auch angesichts der alternden Gesellschaft überfällig ist, wird weder von der Opposition noch von Experten und Sozialverbänden infrage gestellt. Allerdings gehen die Meinungen darüber, wie das System verändert werden soll, weit auseinander. So stört sich die Opposition an dem Vorsorgefonds und argumentiert, es werde alles verfügbare Geld sofort benötigt. Kritisiert wird zudem, dass der wichtige Pflegebegriff erst später kommen soll.
Bei einer Anhörung machten Gesundheitsexperten deutlich, dass sie die Pflegereform im Grundsatz für richtig und unverzichtbar halten, sehen aber Probleme in einigen wichtigen Detailregelungen. So wiesen die Fachleute darauf hin, dass sehr viel Geld gebraucht werde, um Tausende zusätzliche Pflegekräfte angemessen zu bezahlen und eine regelmäßige und ausreichende Dynamisierung der Pflegeleistungen einzuplanen.
Mit dem Vorsorgefonds werde überdies mit viel Geld wenig Wirkung erzielt. Kritisch äußerten sich Experten in der Anhörung auch über den Pflege-Bahr. Ein Gutachter sagte, diese Zusatzversicherung könne die Versorgungslücke in der Pflege nicht schließen. (pk/16.10.2014)