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Das Streikrecht von Gewerkschaften, garantiert in Artikel 9 des Grundgesetzes, darf nicht angetastet werden. Das bekräftigten alle Fraktionen des Bundestages in der Debatte über einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen am Donnerstag, 16. Oktober 2014. In dem Antrag (18/2875) fordert die Fraktion die Bundesregierung auf, ihre Pläne für eine gesetzlich geregelte Tarifeinheit zu begraben. Wie schwierig die Ausarbeitung dieses Gesetzesprojektes ist, um verfassungsrechtlich Bestand zu haben – auch das wurde in der Diskussion deutlich.
„Heute ist der richtige Tag, um über dieses Thema zu sprechen“, befand Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, vor dem Hintergrund der aktuellen Streiks von Lokführern und Piloten. Bei der Diskussion über ein Gesetz zur Tarifeinheit gehe es doch eigentlich gar nicht um die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) oder die Vereinigung Cockpit (VC), sondern um die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit. Diese dürfe nicht in Frage gestellt werden, weshalb die „seit vier Jahren andauernde unsäglich Diskussion“ endlich ein Ende haben müsse, so Müller-Gemmeke.
Die Tarifpolitik der Gewerkschaften lebe von Solidarität, aber die könne man nicht gesetzlich verordnen. Es sei auch schlicht nicht nötig, denn vier Jahre nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von 2010, mit dem kleine Spartengewerkschaften gestärkt wurden, zeigt sich, dass die damals prognostizierte Flut von Arbeitskämpfen ausgeblieben ist, sagte die Grünen-Politikerin.
Der Arbeitsmarktexperte der Unionsfraktion, Karl Schiewerling, verwies darauf, dass das Prinzip der Tarifeinheit vor dem BAG-Urteil 56 Jahre lang gegolten habe und man nun sehen müsse, wie dieses wieder etabliert wird. Es gehe bei dem Gesetzesprojekt der Bundesregierung darum, zwischen den beiden Polen des verfassungsrechtlich geschützten Streikrechts und des nicht gesetzlich geregelten Prinzips des Betriebsfriedens einen Ausgleich zu finden. Denn dem Betriebsfrieden hätten wir den Wohlstand zu verdanken und auch dem Umstand, dass in Deutschland statistisch gesehen wenig gestreikt werde, betonte Schiewerling.
Ein Gesetz zur Tarifeinheit solle keiner Gewerkschaft den Streik verbieten, könne aber wohl versuchen, die Verhältnismäßigkeit von Streiks zu definieren. „Auch kleine Gewerkschaften müssen sich überlegen, ob ihr Streik verhältnismäßig ist“, so Schiewerling. Er stellte aber zugleich klar, dass die derzeitigen Tarifkonflikte zwar „ärgerlich“ für viele Menschen seien, aber „keinesfalls das Ende der Prosperität unseres Landes“ bedeuteten, wie es in der Öffentlichkeit teilweise dargestellt werde.
Auch die Fraktion Die Linke verwies darauf, dass Deutschland bei internationalen Streik-Statistiken nur auf den hinteren Rängen liege. „Hier wird nicht zu viel gestreikt“, sagte Klaus Ernst. Wenn die Regierung tatsächlich festschreiben wolle, dass nur der Tarifvertrag der größten Gewerkschaft innerhalb eines Betriebes gelten darf, hebele sie dadurch das Streikrecht aus, warnte der Arbeitsmarktexperte. Im Übrigen seien nicht nur die Gewerkschaften für Streiks verantwortlich, sondern auch die Arbeitgeber. Denn jedem Streik gingen tarifliche Auseinandersetzungen voraus, für die beide Seiten Verantwortung tragen, erläuterte Ernst.
Außerdem liege die derzeit oft beklagte Zersplitterung der Tarifbindung nicht an den Spartengewerkschaften, sondern an arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer Unternehmen immer mehr Bereiche in Tochterfirmen auslagern oder Subunternehmer mit Leiharbeitern beschäftigen. „Wir brauchen eine faire Betrachtung dessen, was Streik eigentlich ist“, appellierte er an seine Kollegen im Hinblick auf das zu erwartende Gesetzesvorhaben.
„Als Gewerkschafter will man das Beste für seine Interessengruppe herausholen, das ist überhaupt nicht verwerflich“, stellte Bernd Rützel für die SPD-Fraktion klar. Deshalb bewege man sich bei dem angestrebten Gesetz zur Tarifeinheit auf dem „schmalen Grat“ zwischen der Festschreibung des Mehrheitsprinzips und der Unantastbarkeit des Streikrechts. Rützel versicherte aber: „Wir gehen an das Grundgesetz nicht ran, wir werden das Streikrecht nicht antasten.“
Er verwies jedoch, wie sein Fraktionskollege Schiewerling, auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das auch kleine Gewerkschaften beachten sollten. Der Kuchen könne nur einmal geteilt werden, und deshalb müssten sich Gewerkschafter bewusst sein, dass die Durchsetzung von Partikularinteressen nur zulasten der Interessen der Gesamtheit einer Belegschaft geschehe. „Große Unternehmen funktionieren nur, wenn viele Zahnräder zusammenwirken.“ Das müsse sich auch in der Tarifpolitik, also im Prinzip der Tarifeinheit, widerspiegeln, denn „darauf haben wir uns in den Betrieben jahrzehntelang verlassen“, sagte Rützel. (che/16.10.2014)