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Die geplanten Änderungen im Sexualstrafrecht stoßen bei Experten auf ein unterschiedliches Echo. Dies wurde am Montag, 13. Oktober 2014, in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz unter Vorsitz von Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) deutlich. Grundlage war der Gesetzentwurf von CDU/CSU und der SPD zur Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht (18/2601). Die Koalition will Regelungen zur Strafbarkeit von Kinderpornografie und zum Internetzugang zu Kinderpornografie verschärfen.
Die Dortmunder Oberstaatsanwältin Birgit Cirullies sprach einige der größten Bedenken der Sachverständigen an. Allgemein begrüßte sie die neuen Vorschriften, viele Änderungen seien nötig. An manchen Stellen habe sie aber Bedenken. Besonders fragwürdig ist ihrer Aussage nach die Neufassung des Paragrafen 184b des Strafgesetzbuches, nachdem zukünftig die Herstellung und Verbreitung von Bildern von „ganz oder teilweise unbekleideten Personen unter vierzehn Jahren in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ strafbar sein soll.
„Diese Formulierung ist zu unbestimmt und nicht bestimmt genug zugleich“, sagte sie. Besser sei es, direkt die Formulierung der Lanzarote-Konvention zu übernehmen, welche mit dem Gesetzentwurf umgesetzt werden soll. Deren Formulierung enthalte den Hinweis auf die entblößten Geschlechtsteile der Kinder, was eine größere Bestimmtheit zur Folge habe, argumentierte Cirullies.
Andere Sachverständige sahen das genauso und wiesen darauf hin, die Formulierung „in aufreizender Pose“ hinzuzufügen oder explizit zu nennen, was auf den Bildern nicht zu sehen sein darf. Weiter sagte Cirullies, dass nicht, wie geplant, das unbefugte Herstellen von Bildern nackter Personen im öffentlichen Raum bestraft werden solle, sondern nur die unbefugte Weitergabe beziehungsweise das unbefugte Herstellen solcher Bilder, sollten diese in einem besonders geschützten Raum aufgenommen worden sein, beispielsweise im Schlafzimmer.
Prof. Dr. Jörg Eisele von der Universität Tübingen teilte die Auffassungen von Cirullies und kritisierte weiterhin, dass künftig die Herstellung und Verbreitung von Bildern strafbar sein soll, welche „dem Ansehen der Person schaden“, so die Formulierung des Gesetzestexts. Diese Formulierung sei vollkommen unbestimmt und führe nur zu einer zusätzlichen Belastung der Gerichte. Dadurch würden zum Beispiel auch Fotos betrunkener Menschen auf einer Party strafbar werden.
Die Folgen der Neuregelungen für die Praxis waren auch Thema der Ausführungen von Rainer Franosch von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Er begrüßte die Klarstellung, die durch die Verwendung des Wortes „Daten“ anstatt „Schrift“ erfolge. Das erleichtere die Strafverfolgung.
Außerdem riet Franosch dazu, beim sogenannten Cybergrooming eine Versuchsstrafbarkeit einzuführen. Beim Cybergrooming nähern sich erwachsene Personen über das Internet Kindern und fordern diese zu sexuellen Handlungen auf.
Robert Grain, Richter am Amtsgericht München, kritisierte die Übernahme der Definition von Kinderpornografie für Jugendpornografie. Hier bestehe ein Wertungswiderspruch, da die sexuelle Entwicklung von Jugendlichen doch erlaubt sei. Vielmehr solle Jugendpornografie wie Erwachsenenpornografie behandelt werden.
Die neue Regelung würde „sämtliche Posingbilder vom Strand beinhalten“. Jugendliche machten nun einmal Fotos vom ersten Freund oder der ersten Freundin und da könne auch „ein Oben-ohne-Foto dabei“ sein. Selbst er müsste nach dieser Regelung nachsehen, ob er nicht das ein oder andere „strafbare“ Foto seiner ersten Freundin besitze. Überwiegend abgelehnt wurde von den Sachverständigen die Verlängerung der Verjährungsfrist von Kindesmissbrauch bis zum 30. Lebensjahr des Opfers.
Dr. Rüdiger Deckers, Strafverteidiger aus Berlin, sagte, nach einer so langen Zeit seien solche Verfahren „im Prinzip injustiziabel“. Die Zeugen oder Opfer könnten sich schwer erinnern, was sowohl den Angeklagten als auch den Opfern schade. Durch die geringere Qualität der Aussagen werde gegen das Rechtsschutzgebot der Angeklagten verstoßen. Zudem liefen die Opfer Gefahr, durch andere Quellen beeinflusst zu werden. So hätten Studien nachgewiesen, dass es beispielsweise durch „gutgemeinte Therapien“, Autosuggestion oder externe Personen „durchaus zu einem Einfluss auf die Rezeption der Wirklichkeit“ kommen könne, sagte Deckers.
Hier widersprach Prof. Dr. Tatjana Hörnle von der Humboldt-Universität Berlin. Es seien zwar nur wenige Fälle, die nach so langer Zeit noch gelöst und bestraft würden, aber es gebe sie. Außerdem sei es immerhin noch die Entscheidung der Opfer, ob diese Misshandlungen anzeigten oder nicht. Allerdings forderte Hörnle eine kostenfreie Rechtsberatung für die Opfer vor der Anzeige, damit diese über die Folgen und Erfolgsaussichten des Verfahrens Bescheid wüssten. (jbb/13.10.2014)