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Das Ende Oktober von der Umweltministerkonferenz verabschiedete nationale Hochwasserschutzprogramm ist am Mittwoch, 5. November 2014, im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit unter Vorsitz von Bärbel Höhn (Bündnis 90/Die Grünen) von Experten auf überwiegend positive Resonanz gestoßen. Allerdings mahnten besonders die Umweltverbände weitergehende Maßnahmen, insbesondere beim ökologischen Hochwasserschutz, an.
So bezeichnete Winfried Lücking vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) das Programm als „gutes Signal für ein grundsätzliches Umdenken im Hochwasserschutz“. Es könne aber nur ein „erster Aufschlag“ sein. Er forderte das Programm stärker ökologisch auszurichten, statt die Prioritäten auf den technischen Hochwasserschutz zu legen.
Beispielhaft nannte er die im Programm genannten Pläne, bundesweit 57 Flutungspolder zu errichten, die ab einem bestimmten Wasserstand im Fluss geflutet würden. Demgegenüber seien aber nur 29 Projekte zur Rückverlegung von Deichen geplant. Natürliche Wasserrückhalteräume für die Flüsse zu schaffen sei jedoch ökologisch sinnvoller und oft sogar kostengünstiger als der Bau von Poldern, betonte Lücking.
Nachhaltiger Hochwasserschutz sollte nach Ansicht des BUND das gesamte Flusssystem umfassen. So mahnte Lücking: „Wir müssen den Flüssen mehr Raum geben.“ Flächen müssten entsiegelt und die landwirtschaftliche Praxis überdacht werden.
Insbesondere der großflächige Maisanbau in vielen Regionen Deutschlands begünstige die Entstehung von Hochwasser. Darüber hinaus forderte Lücking ein sofortiges Verkaufsmoratorium für öffentliche Flächen an Gewässern, um sie für die Umsetzung der ökologischen Maßnahmen zu sichern.
Der Vorsitzende der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser, Dietmar Wienholdt, wies demgegenüber auf Konflikte zwischen Bodennutzung und Überflutungsflächen hin. Für eine Rückverlagerung der Deiche müssten landwirtschaftliche Flächen aus der Nutzung genommen werden. „Da muss man aber an die Eigentümer rankommen“, betonte Wienholdt.
Dabei gehe es um mögliche Enteignungen und die Bereitstellung von Ersatzflächen für Betriebe in den betroffenen Regionen. Bei Poldern fielen hingegen nur Entschädigungszahlungen für Ertragsausfälle an, wenn sie im Falle eines Hochwassers tatsächlich geflutet würden.
Wie Lücking sprach Wienholdt sich aber gegen einen massiven Anbau von Mais in Hochwassergebieten aus. „Mais ist für den Hochwasserabfluss mindestens so schädlich wie eine Mauer“, stellte er klar.
Michael Bender von der Grünen Liga warb wie BUND-Vertreter Lücking für die Rückgewinnung von Flussauen. Zudem forderte Bender ebenfalls die Reduzierung des Anbaus von Biomasse zur Energiegewinnung, insbesondere von Mais, sowie eine aktivere Steuerung der Siedlungsentwicklung.
Außerdem empfahl er, Feuerwehr- und Polizeistationen sowie Hochwasserzentralen möglichst nicht in hochwassergefährdeten Lagen anzusiedeln.
Georg Rast vom WWF Deutschland lobte, Hochwasserschutz und Hochwasservorsorge hätten in Deutschland eine neue Bedeutung erlangt. Mit dem nationalen Hochwasserschutzprogramm werde ein neuer Anstoß gegeben, das Thema länderübergreifend anzugehen. Aber damit seien auch „hohe Erwartungen“ verknüpft.
Landwirtschaft, Regionalplanung und eine langfristig abgestimmte Raumordnung müssten künftig viel stärker in den Blick genommen werden. So müssten die Kommunen intensiver mit den Landwirten zusammenarbeiten, um Möglichkeiten an einer hochwasserangepassten Landwirtschaft auszuloten.
Prof. Dr. Robert Jüpner von der Technischen Universität Kaiserslautern bezeichnete das Nationale Hochwasserschutzprogramm als „gute Nachricht“. Hochwasserschutz sei eindeutig eine nationale Aufgabe, da sich Wasser nicht durch Ländergrenzen aufhalten lasse.
Mit der vorgesehenen finanziellen Unterstützung der Bundesländer in Höhe von 5,4 Milliarden Euro werde ein wichtiger Beitrag zur Realisierung von Einzelmaßnahmen geleistet. Allerdings könne es einen absoluten Schutz nie geben, betonte Jüpner, weil auch technische Schutzanlagen, wie Deiche oder Pegel, versagen könnten. Eine Minderung des Risikos sei nur das Zusammenwirken der verschiedenen Elemente des Hochwasserrisikomanagements möglich.
Jüpner regte darüber hinaus an, das Programm durch ein nationales Hochwasser-Forschungsinstitut zu begleiten, um Informationen über die komplexen Vorgänge in der Hochwasservorsorge zu sammeln, Hochwasserkatastrophen zu analysieren und aus ihnen zu lernen. In diesem Bereich zeige sich bisher noch eine „bemerkenswerte Leere“, kritisierte der Professor. (joh/05.11.2014)