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Der von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) vorgelegte Gesetzentwurf „zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf“ (18/1324) wird von Koalition und Opposition höchst unterschiedlich bewertet. Während die CDU/CSU- als auch die SPD-Fraktion die Gesetzesinitiative als deutliche Verbesserung gegenüber den derzeit geltenden Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetzen bewerteten, kritisierten es Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen es als „lebensfremd“ und als „Luftnummer“. Der Bundestag debattierte über den Gesetzentwurf am Freitag, 13. November 2014, in erster Lesung.
„Die Familie ist der Pflegedienst der Nation“, sagte Ministerin Schwesig. Von den derzeit 2,62 Millionen pflegebedürftigen Menschen würden 1,85 Millionen daheim versorgt, zwei Drittel von ihnen ausschließlich durch Angehörige. Das Gesetz sei ein Beitrag, um die Situation von Pflegenden und Pflegebedürftigen zu verbessern. Meist würden Frauen die Pflege übernehmen. Dies führe zu einem geringeren Einkommen und in der Folge zu einer niedrigeren Rente. Das Gesetz setzte im Sinne einer modernen Familienpolitik auf mehr Partnerschaftlichkeit bei der Pflege von Angehörigen.
Mit dem Gesetz sollen das bereits geltende Pflegezeitgesetz aus dem Jahr 2008 und das Familienpflegezeitgesetz von 2012 weiterentwickelt entwickelt werden. Konkret sieht es die Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine zehntägige Berufsauszeit vor, um die Pflege eines nahen Angehörigen zu organisieren. Dem Arbeitnehmer soll in dieser Zeit ein Pflegeunterstützungsgeld von etwa 90 Prozent des Nettogehaltes als Lohnersatzleistung gezahlt werden. Zudem soll ein Rechtsanspruch auf die bereits existierende Familienpflegezeit von bis zu 24 Monaten eingeführt werden. In dieser Zeit können Beschäftigte ihre Wochenarbeitszeit auf mindestens 15 Stunden reduzieren, wenn sie einen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen.
Der Rechtsanspruch soll allerdings nicht in Betrieben mit 15 oder weniger Beschäftigten gelten. Zur Absicherung des Lebensunterhaltes sollen die Beschäftigten vom Bund ein zinsloses Darlehen erhalten. Mit diesem Darlehen sollen zukünftig auch jene Beschäftigte gefördert werden, die eine sechsmonatige Pflegezeit in Anspruch nehmen, auf die bereits ein Rechtsanspruch besteht. In dieser Zeit können sich Beschäftigte teilweise oder ganz von ihrem Arbeitgeber freistellen lassen, um einen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung zu pflegen. Für die Pflege eines minderjährigen Kindes soll der Rechtsanspruch auf Pflege- und Familienpflegezeit auch dann gelten, wenn diese im außerhäuslich erfolgt. Während der zehntägigen Auszeit, der Familienpflegezeit und der Pflegezeit gilt Kündigungsschutz.
Mit der Gesetzesnovelle soll zudem der Kreis der „nahen Angehörigen“ erweitert werden. Neben Eltern, Großeltern, Kindern, Geschwistern und Ehepartnern sollen dazu in Zukunft sollen Stiefeltern, lebenspartnerschaftliche Gemeinschaften sowie Schwägerinnen und Schwager zählen.
Die Abgeordneten Pia Zimmermann (Die Linke) und Elisabeth Scharfenberg (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierten übereinstimmend, der Gesetzentwurf gehe an der Lebenswirklichkeit von Pflegenden und Pflegebedürftigen vorbei. Es sei völlig illusorisch, die Pflege eines Angehörigen innerhalb von zehn Tagen zu organisieren.
Die beiden Oppositionspolitikerinnen bemängelten, es würden lediglich minimale Verbesserungen gegenüber dem Familienpflegezeitgesetz der ehemaligen Familienministerin Dr. Kristina Schröder (CDU) aus dem Jahr 2012 eingeführt. Die Familienpflegezeit sei seitdem von gerade mal 135 Menschen im gesamten Bundesgebiet in Anspruch genommen worden, rechnete Scharfenberg vor.
Das Gesetz sei ein „Voll-Flop“ gewesen, beschied Zimmermann. Sie bemängelte, dass der Rechtsanspruch auf die Familienpflegezeit für Arbeitnehmer in Betrieben mit bis zu 15 Beschäftigten nicht gelte. Dies bedeute, dass 5,6 Millionen Beschäftigte, die in solchen kleinen Betrieben arbeiten, der Rechtsanspruch nicht zustehe. Dies sei nicht hinnehmbar. Scharfenberg monierte, dass die Familienpflegezeit auf zwei Jahre beschränkt sei. Auch dies gehe an der Lebenswirklichkeit vorbei, da viele Menschen deutlich länger pflegebedürftig seien.
Für die Unionsfraktion wies deren familienpolitischer Sprecher Marcus Weinberg (CDU/CSU) die Kritik der Opposition zurück. Mit dem Gesetz werde „der Mensch in den Mittelpunkt der Politik gerückt“. Die meisten Pflegebedürftigen wollten lieber daheim im familiären Umfeld betreut werden als in einem Heim. Diesem Wunsch trage die Koalition Rechnung.
Zudem helfe das Gesetz, die Beiträge zur Pflegeversicherung stabil zu halten. Er begrüßte es ausdrücklich, dass der Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit auch für die Pflege von minderjährigen Kindern gelte, wenn diese in einem Heim betreut würden, da sie so zusätzlich in den Genuss einer professionellen Pflege kämen ohne auf die Betreuung durch ein Elternteil verzichten zu müssen.
Auch die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Carola Reimann verteidigte den Gesetzentwurf. Er bringe gegenüber dem „gut gemeinten, aber schlecht gemachten“ Gesetz von Ministerin Dr. Kristina Schröder deutliche Verbesserungen, etwa durch die Einführung des Rechtsanspruchs, der mit der schwarz-gelben Koalition nicht habe ausgehandelt werden können.
Mit dem Gesetz verabschiede man sich wie beim Elterngeld Plus vom Alleinverdienermodell. Die Frauen in Deutschland wünschten sich „mehr als Kinder, Küche, Kanüle“. Reimann warb dafür, das Gesetz auch auf den Freundeskreis von Pflegebedürftigen und Pflegenden auszuweiten. In vielen Fällen würden enge Freunde unverzichtbare Dienste bei der Pflege übernehmen. (aw/14.11.2014)