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Die Oppositionsfraktionen haben die traditionelle Generalaussprache über den Etat des Bundeskanzleramtes am Mittwoch, 26. November 2014, zu scharfen Attacken gegen die Große Koalition genutzt. Statt Problemlösungen liefere Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) Taschenspielertricks, empörte sich Sahra Wagenknecht (Die Linke). Und Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) fragte Merkel: „Was ist Ihre Vision für unser Land?“ Redner der Koalition feierten dagegen den ersten schuldenfreien Haushalt seit 46 Jahren als Eintritt in eine historische Dimension.
Wagenknecht sagte, Deutschland sei ein reiches, „aber ein zutiefst gespaltenes Land. Es ist ein Land, wo selbst fleißige Arbeit nicht mehr vor Armut schützt.“ Straßen und Brücken würden verrotten, viele Kinder würden in verwahrlosten Wohngebieten aufwachsen, Bildung werde ihnen vorenthalten.
Statt Wirtschaftspolitik biete Merkel nur „okkulte Opferrituale vor ihrer neuen Göttin, der schwarzen Null“. Doch dieser Haushaltsausgleich werde im nächsten Jahr nicht gelingen, erwartet die Linken-Politikerin. Denn solide öffentliche Finanzen gebe es nicht ohne eine dynamische Wirtschaft und Konsumenten, die Geld ausgeben könnten. Und es werde keine soliden öffentlichen Finanzen geben, „wenn gerade die reichsten Familien und die größten Konzerne kaum noch einen müden Euro zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen und der Staat dabei wegschaut“.
Andererseits habe ein Durchschnittsverdiener nach einem langen Arbeitsleben einen Lebensabend auf Hartz 4-Niveau: „Das ist einfach schändlich. Das ist Altersarmut per Gesetz“, kritisierte die Linken-Abgeordnete. Zugleich subventioniere der Bund mit der Riester-Rente „Betrugsprodukte“, die nur der Finanzbranche nutzten, während die Sparer nicht einmal das herausbekommen würden, was sie eingezahlt hätten.
Der Dreiklang der Politik der Kanzlerin bestehe in „weggucken, wegducken, wegreden“. Die Investitionsausgaben würden sinken statt steigen. Das sei „wirtschaftspolitische Ignoranz“. Wagenknecht wandte sich auch gegen die geplanten europäischen Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) und USA (TTIP). Sondergerichte für große Konzerne lehnte sie ab. Mit den Abkommen solle der „Kapitalismus vor den Zumutungen der Demokratie“ geschützt werden.
Hofreiter warf Merkel vor, keine Visionen zu haben: „Wenn ich Ihnen zuhöre, dann sehe ich nur diffusen grauen Nebel vor mir.“ Aber ohne gute Ideen habe Deutschland schlechte Aussichten. Deutschland müsse beim Klimaschutz und der Elektromobilität vorangehen sowie die Frauen anständig bezahlen. Banken und Finanzsystem müssten reguliert werden, sonst würden wieder Milliardenbeträge zur Rettung fällig.
„Glauben Sie denn im Ernst, dass sie mit Rentengeschenken an Ihre Stammwähler, mit Kohlekraftwerken aus der Zeit Konrad Adenauers und der Ausländermaut wirklich die Zukunft sichern? Das ist doch aberwitzig“, stellte Hofreiter fest und sagte: „Ihre Maximalkoalition macht doch nichts anderes als Miniaturpolitik.“ Der Koalitionsvertrag enthalte keine Ideen für die Zukunft und könne weggeworfen werden. In der Energiepolitik warf Hofreiter Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) vor, sich für eine nur geringe Absenkung von Kohlendioxidemissionen feiern zu lassen.
Genauso wie zuvor Wagenknecht kritisierte auch Hofreiter das TTIP-Abkommen. Man brauche kein Abkommen für Konzern-Privilegien und für Standard-Dumping. Vielmehr müsse es fairen Handel für alle geben. In der Steuerpolitik warf er der Regierung vor, keine Vorschläge gegen Steuertricksereien der Konzerne vorzulegen. Deutschland brauche einen Investitionsschub, aber Merkel betreibe Schönfärberei. Die OECD habe ihre Wachstumsprognose für Deutschland halbiert und die Eurozone als „den kranken Wirtschaftsraum des Globus identifiziert“. Das sei das „bittere Urteil“ über die fehlgeleitete Politik der Regierung.
Kanzlerin Merkel stellte dagegen die Erfolge im Inland und auf internationaler Ebene heraus und verteidigte zudem ihren strikten Kurs gegen Russland gegen Forderungen, die Wirtschaftssanktionen aufzuheben. Die Annexion der Krim durch Russland sei nicht zu rechtfertigen – auch nicht die direkte oder indirekte Beteiligung Russlands an den Kämpfen im Osten der Ukraine. Russland missachte die territoriale Integrität der Ukraine: „Das Vorgehen Russlands stellt die europäische Friedensordnung in Frage und bricht internationales Recht.“
Im wirtschaftspolitischen Teil ihrer Rede sagte Merkel, es sei manches erreicht worden, zum Beispiel bei der Bankenregulierung. Viel bleibe aber auch noch zu tun, etwa bei der Regulierung der international agierenden Schattenbanken. Merkel würdigte die Vereinbarung von über 50 Ländern beim internationalen Informationsaustausch in Steuerfragen. Fortschritte gebe es auch im Kampf gegen die Tricks multinationaler Konzerne, keine Steuern zu zahlen.
Die Kanzlerin bekannte sich ausdrücklich zum Freihandel. Im asiatisch-pazifischen Raum seien jetzt zwei Freihandelsabkommen geschlossen worden, sagte sie mit Blick und TTIP und CETA und stellte fest: „Die Welt wartet nicht auf Europa.“ Wenn TTIP nicht zügig verhandelt werde, drohten nicht nur Nachteile im Handel, „sondern wir werden auch Chancen verpassen, internationale Standards im globalen Handel im Blick auf Ökologie, Verbraucherschutz und rechtsstaatliche Mittel überhaupt nicht mitzubestimmen“.
Merkel lobte die europäische Stabilitätspolitik. Man sei „insgesamt auf richtigem Kus“. Das durchschnittliche Defizit im Euroraum habe mit 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erstmals seit 2008 wieder die Maastricht-Grenze unterschritten. Nachhaltiges Wachstum und solide Haushaltspolitik würden einander bedingen. Der beschrittene Weg in der Wirtschafts- und Währungsunion sei der richtige.
Sie bekannte sich zur Politik der „schwarzen Null“. Der ausgeglichene Haushalt 2015 sei eine „Wendepunkt“ nach 46 Jahren, in denen stets neue Schulden gemacht worden seien. Sie zeigte sich optimistisch, dass der Gesamtschuldenstand in den nächsten Jahren auf 70 Prozent reduziert werden könne. Deutschland habe jahrzehntelang über seine Verhältnisse gelebt: „Damit machen wir Schluss.“ Solide Haushaltspolitik und eine wachstumsfördernde Politik seien keine Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann erwartet wieder stärkeres Wirtschaftswachstum. Es werde im kommenden Jahr so hoch erwartet wie lange nicht. Wenn er die Kritik der Opposition höre, habe er das Gefühl, es sei von einer anderen Welt die Rede. Er versicherte auch, dass die Klimaziele eingehalten würden. Es müsse aber auf Sozialverträglichkeit, Bezahlbarkeit und Verlässlichkeit geachtet werden.
Die Energiewende bekomme man nicht mit der Brechstange, warnte Oppermann. Man könne nicht gleichzeitig aus Atom und Kohle aussteigen. Der Klimaschutz dürfe nicht gegen die Wirtschaft in Stellung gebracht werden. „Es gibt keinen Grund zum Alarmismus“, stellte Oppermann fest. Forderungen nach Abbruch der TTIP-Verhandlungen nannte Oppermann abstrus: „Entweder die Globalisierung gestaltet uns oder wir gestalten die Globalisierung.“
Oppermann sprach von einem „historischen Haushalt“ ohne Neuverschuldung. Das habe man geschafft trotz schlechterer Konjunkturentwicklung. Es habe keine sozialen Kürzungen gegeben. Dafür gebe es höhere Ausgaben für Bildung, Forschung, Kommunen und Infrastruktur. Das sei eine gute Botschaft für junge Menschen: „Wir wollen keine Politik mehr machen zu Lasten künftiger Generationen.“
Auch der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder sagte, der Bundeshaushalt nehme große Herausforderungen auf und komme trotzdem ohne neue Schulden aus. Er verlangte besseren Schutz der Bürger vor Kriminalität. Es gebe täglich 400 Einbrüche in Wohnungen. „Die Sicherheit des Einzelnen ist eine Kernaufgabe des Staates“, sagte Kauder. (hle/26.11.2014)