Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Der Bundestag hat am Donnerstag, 4. Dezember 2014, das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf (18/3124) in der Fassung des Familienausschusses (18/3449) mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen verabschiedet. Mit dem Gesetz wird eine Lohnersatzleistung in Höhe von 90 Prozent des Nettogehaltes eingeführt. Sie wird an Beschäftigte gezahlt, wenn diese eine zehntägige Berufsauszeit nehmen, um die Pflege eines nahen Angehörigen zu organisieren. Ab kommendem Jahr gibt es zudem einen Rechtsanspruch auf eine bis zu 24-monatige Familienpflegezeit. In dieser Zeit können Beschäftigte ihre Arbeitszeit auf bis zu 15 Wochenstunden reduzieren, um einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen zu betreuen.
Um den Verdienstausfall zu kompensieren, soll ein zinsloses Darlehen durch den Staat gezahlt werden. Der Rechtsanspruch auf die Familienpflegezeit soll jedoch nur für Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 25 Beschäftigten gelten. In der Regierungsvorlage hatte der Rechtsanspruch bereits ab einer Betriebsgröße von 15 Beschäftigten gegolten. Der Familienausschuss veränderte die Gesetzesvorlage durch einen entsprechenden Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen.
Nicht zuletzt daran entzündete sich bei der Debatte die Kritik der Oppositionsfraktionen. Mit dieser Einschränkung würden mehr als sieben Millionen zu Beschäftigten zweiter Klasse degradiert, kritisierte Pia Zimmermann (Die Linke). Von „blindem Aktionismus“, der den Betroffenen nicht helfen würde, sprach Elisabeth Scharfenberg (Bündnis 90/Die Grünen).
Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) sah hingegen einen guten Tag für Familien. Die ohnehin stark ausgeprägte Bereitschaft, innerhalb der Familie zu pflegen, werde durch ganz konkrete staatliche materielle Leistungen gestärkt, sagte Schwesig. Herzstück des Gesetzes sei die zehntägige Auszeit, um die Pflege zu organisieren. Dank der gezahlten Lohnersatzleistung „kann sich diese Zeit jeder leisten“, sagte die Ministerin und betonte: „Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.“
Mit Blick auf die Regelungen zu der 24-monatigen Familienpflegezeit sagte sie, die Möglichkeit dazu hätten alle Arbeitnehmer. Jene, die in Betrieben mit bis zu 25 Mitarbeitern arbeiten würden, „sollten das mit ihrem Arbeitgeber absprechen, statt es durchklagen zu können“. Aus gutem Grund, wie Schwesig fand. Kleinbetriebe würden eher Angebote an ihre Mitarbeiter richten und hätten zugleich mehr Schwierigkeiten, „für 24 Monate einen Ersatz zu finden“.
Pia Zimmermann bewertet das anders. Mehr als sieben Millionen Beschäftigte seien dadurch von dem Rechtsanspruch ausgenommen, kritisierte die Linke-Abgeordnete und urteilte: „Aus dem schlechten Gesetz der Vorgängerregierung haben sie ein noch schlechteres gemacht.“ Das gelte umso mehr, als das auch die zehntägige Auszeit nicht weiterhelfe.
„Glauben Sie im Ernst, dass sich eine plötzlich aufgetretene Notlage innerhalb von zehn Tagen regeln lässt?“, fragte sie und sprach sich für die Möglichkeit einer sechswöchigen Auszeit aus, wie es auch ein schlussendlich abgelehnter Entschließungsantrag der Fraktion (18/3454) vorsah. Der Koalition warf Zimmermann vor, mit dem Gesetz wieder einmal verdeutlicht zu haben, dass „Sie die Pflegepolitik als Stiefkind Ihrer Regierungspolitik betrachten“.
Die Pflege zu stärken sei ein großes Anliegen der Großen Koalition, sagte hingegen Astrid Timmermann-Fechter (CDU/CSU). Das Gesetz sei ein wichtiger Baustein auf diesem Weg. Ziel sei es, den Spagat vieler Beschäftigten zwischen Arbeit, Familie und Pflege zu erleichtern.
Da Pflegefälle oftmals ganz plötzlich aufträten, sei es richtig, eine zehntägige Pflegeauszeit mit Pflegeunterstützungsgeld zu gewähren. Im Gesetz sei dies so geregelt, dass die Zeit unter Familienangehörigen auch aufgeteilt werden könne. Zugleich sei der Kreis der „näheren Verwandten“ im Gesetz erweitert worden.
Elisabeth Scharfenberg warf Regierung und Großer Koalition vor, versagt zu haben. „Wir konnten Sie nur so einknicken?“, fragte die Grünen-Abgeordnete insbesondere an die SPD und Ministerin Schwesig gewandt. Durch die Anhebung des Schwellenwertes von 15 auf 25 Beschäftigte für den Rechtsanspruch sei dieser „nicht das Papier wert, auf dem er gedruckt wird“.
Schließlich würde er in 90 Prozent aller Betriebe nicht gelten. „Diese Verantwortung können Sie nicht nur auf die Union abwälzen“, sagte Scharfenberg in Richtung SPD. Als weiteres Problem benannte sie, dass es immer noch keinen neuen Pflegebegriff gebe, der auch Demenzerkrankte erfasst.
Das Gesetz der alten Regierung sei „gut gemeint, aber nicht gut gemacht gewesen“, sagte Dr. Carola Reimann (SPD). Lediglich 135 Beschäftigte hätten die darin enthaltenen Regelungen in Anspruch genommen. Das werde sich nun ändern, da genau an den Schwachstellen des alten Gesetzes angesetzt worden sei, zeigte sie sich zuversichtlich.
Reimann machte zugleich deutlich, dass man bei der Regelung die Interessen der Pflegebedürftigen, der pflegenden Angehörigen, aber auch der Wirtschaft im Blick habe. „Die bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf macht auch wirtschaftlich Sinn“, sagte sie. Zum einen volkswirtschaftlich, da man ohne die Familien die Pflege gar nicht bewältigen könne.„Betriebswirtschaftlich macht es Sinn, denn nur der Weg über eine gute Vereinbarkeit zwischen Pflege und Beruf führt zu mehr Fachkräften“, betonte Reimann. (hau/04.12.2014)