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Der Vorsitzende des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Gunther Krichbaum (CDU/CSU), ist sich sicher, dass die Sanktionen gegen Russland wirksam sind. „Der Rubel hat seit Jahresbeginn dramatisch an Wert verloren, die ausländischen Direktinvestitionen brechen weg, die russischen Banken geraten in immer größere Schwierigkeiten und nun wurde auch noch das Pipelineprojekt South Stream abgebrochen“, sagt der Unionsabgeordnete im Interview im Anschluss an die Tagung der "Konferenz der Ausschüsse für Gemeinschafts- und Europaangelegenheiten der nationalen Parlamente in der Europäischen Union" (COSAC) vom 30. November bis 2. Dezember 2014 in Rom. Krichbaum macht zugleich deutlich, dass es der russische Präsident Wladimir Putin selbst in der Hand habe, die Sanktionen zu beenden. „Ein erstes Signal wäre sicher, endlich die Verpflichtungen aus den Minsker Vereinbarungen umzusetzen“, sagt Krichbaum. Die Festschreibung des völkerrechtlichen Status der Krim mit dem Status quo hält der 50-Jährige für „nicht zu überbietenden Unfug“. Dies wäre brandgefährlich, da somit eine Politik gutgeheißen würde, „die völkerrechtlich anerkannte Grenzen gewaltsam verändert hat“. Das Interview im Wortlaut:
Herr Krichbaum, Sie kommen gerade von der COSAC-Tagung in Rom. Worüber haben Sie mit den Vertretern der Europaausschüsse anderer Parlamente diskutiert?
Wir haben zum einen darüber gesprochen, wie die Rolle der Parlamente fünf Jahre nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages aussieht. Außerdem galt es auch eine Zwischenbilanz zu ziehen zu Europa 2020, der Wachstumsstrategie der Europäischen Union. Und schließlich haben wir das Thema östliche Partnerschaft und Mittelmeer-Union erörtert.
Stichwort östliche Partnerschaft. Dabei ging es ja sicherlich auch um die Situation in der Ukraine…
Ja, selbstverständlich. Ein so eklatanter Bruch des Völkerrechts lässt doch keinen kalt.
Nun war im Vorfeld vereinzelt zu lesen, es gebe Stimmen in der EU, die die deutsche Politik speziell für die Verhärtungen im Russland-Ukraine-Streit verantwortlich machen. Haben Sie derartige Vorwürfe im Kreise der Europaausschüsse vernommen?
Nein, absolut nicht. Ganz im Gegenteil: Es herrschte auf der COSAC eine große Geschlossenheit, dass wir noch entschiedener auf die russische Aggression reagieren müssen.
Steht der Westen tatsächlich so eng zusammen, dass Putin unter Druck geraten könnte?
Ja, und die Sanktionen zeigen immer mehr Wirkung. Der Rubel hat seit Jahresbeginn dramatisch an Wert verloren, die ausländischen Direktinvestitionen brechen weg, die russischen Banken geraten in immer größere Schwierigkeiten und nun wurde auch noch das Pipelineprojekt South Stream abgebrochen. Zudem hat Putin auch noch mit dem Verfall des Ölpreises zu kämpfen, der den russischen Staatshaushalt empfindlich trifft. All diese Entwicklungen üben einen immensen Druck auf Putin aus. Aber er hat es selbst in der Hand, die Sanktionen zu beenden. Ein erstes Signal wäre sicher, endlich die Verpflichtungen aus den Minsker Vereinbarungen umzusetzen.
Was halten Sie von Plänen, den völkerrechtlichen Status der Krim mit dem Status quo festzuschreiben?
Das halte ich für einen nicht zu überbietenden Unfug. Manche Leute sollten sich nur zu den Themen äußern, von denen sie etwas verstehen. Ob dazu auch der Flughafen Berlin Brandenburg International gehört, mag ein jeder selbst entscheiden. Im Übrigen spielt jede Debatte darüber Russland in die Hände. Eine solche dauerhafte Festschreibung oder gar Akzeptanz wäre brandgefährlich, weil sie eine Politik gutheißen würde, die völkerrechtlich anerkannte Grenzen gewaltsam verändert hat. Genau diese Politik hat aber in Europa über Jahrhunderte hinweg zu Kriegen und Millionen Toten geführt. Angela Merkel hat vollkommen Recht: In Europa gilt nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts.
Wie stehen Sie zu der Frage einer zeitnahen Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato?
Im Augenblick stellen sich ganz andere Fragen, nämlich, wie wir die Ukraine sicherheitspolitisch und wirtschaftlich stabilisieren können. Das Land steht am Abgrund und ist auf unsere Solidarität angewiesen.
Sie kommen gerade aus Italien. Dort spekulieren Zeitungen über angebliche Geheimpläne der deutschen Regierung, aus dem Euro auszusteigen und zur D-Mark zurückzukehren…
Das sind doch krude Diskussionen. Einige Journalisten sind offenbar der Auffassung, dass sich weiß belassenes Papier schlecht verkauft. Wildeste Spekulationen sind dann offenbar als Textfüller willkommen.
Aber auch hierzulande wird über einen eventuellen Ausstieg Italiens aus dem Währungsverbund geschrieben. Was ist da dran?
Weder Deutschland noch Italien werden aus dem Euro aussteigen, weil das fatale Folgen hätte. Im Übrigen braucht Italien keine Währungsreform, sondern Reformen in Verwaltung und Wirtschaft, um wieder wettbewerbsfähig zu werden und um das enorme Nord-Süd-Gefälle im eigenen Land abzubauen. Das ist völlig unabhängig davon, ob nun mit Euro oder Lira bezahlt wird. Wenn Italien nicht endlich die dringend gebotenen Veränderungen umsetzt, die auch die EU-Kommission in ihren sogenannten „länderspezifischen Empfehlungen“ anmahnt, wird sich die Situation nicht verbessern. Dazu gehören beispielsweise Reformmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt, bei der Effizienz der Verwaltung und im Schul- und Universitätswesen. Doch nicht nur Italien hat Reformbedarf. Auch in anderen Staaten der Eurozone laufen wir wieder Gefahr, unsere selbst auferlegten Spielregeln – zum Beispiel bei der Staatsverschuldung – nicht einzuhalten. So kann aber kein neues Vertrauen entstehen. Das habe ich auch auf der COSAC sehr deutlich gemacht.
(hau/02.12.2014)