Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Henning Otte, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, hält den Einsatz der Staatengemeinschaft seit 2001 in Afghanistan für erfolgreich. „Die größten Erfolge liegen darin, dass wir den internationalen Terrorismus, der 2001 von Afghanistan aus die Welt und auch Deutschland bedroht hat, zerschlagen konnten und dass das Land gleichzeitig einen Weg der zivilen Entwicklung gehen konnte“, sagte Otte in einem am Montag, 8. Dezember 2014, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Das Interview im Wortlaut:
Herr Otte, zum Jahreswechsel endet mit dem Isaf-Mandat in Afghanistan der längste und umfangreichste Kampfeinsatz der Bundeswehr. Mit welcher Bilanz verlässt die Truppe das Land?
Der Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft in Afghanistan zum Aufbau einer Sicherheitsstruktur war erfolgreich. Es liegt jetzt an Afghanistan selbst, diesen Weg weiter zu beschreiten. Hiermit werden wir die Afghanen aber nicht allein lassen. Die größten Erfolge liegen darin, dass wir den internationalen Terrorismus, der 2001 von Afghanistan aus die Welt und auch Deutschland bedroht hat, zerschlagen konnten und dass das Land damit einen Weg der zivilen Entwicklung gehen konnte. Die Infrastruktur konnte wesentlich ausgebaut, Bildungseinrichtungen aufgebaut werden, Frauen und Kinder können heute wieder an Bildung teilhaben. Und es ist gelungen, eine afghanische Armee und Polizei aufzubauen, die bis zu 350.000 Sicherheitskräfte umfassen und die nun selbst in der Lage sein sollten, das Land zu befrieden.
Immer wieder gibt es Anschläge in Afghanistan, auch die Bundesregierung räumt in ihrem Fortschrittsbericht ein, dass die Lage nicht in allen Teilen des Landes wirklich kontrollierbar ist. Kommt der Abzug der Isaf-Truppen zu früh?
Es ist ja kein vollständiger Abzug. Wir werden mit der Bundeswehr im Rahmen der Isaf-Nachfolgemission „Resolute Support Mission“ ab Januar nächsten Jahres den afghanischen Partnern weiterhin zur Seite stehen. Allerdings liegt der Fokus klar auf Beratung und Ausbildung. Die Verantwortung für die Sicherheit im eigenen Lande liegt nun bei der afghanischen Seite.
Welche konkreten Aufgaben soll die Bundeswehr übernehmen?
Deutschland soll mit bis zu 850 Soldaten im Rahmen einer international aufgestellten Mission von insgesamt 12.000 Soldaten die afghanischen Sicherheitskräfte beraten, unterstützen und ausbilden – und zwar in Nordafghanistan und in der Hauptstadt Kabul. Ziel ist es, die Erfolge bei der Schaffung effektiver Sicherheitsstrukturen zu verstetigen. Im Mittelpunkt sollen Führungsunterstützung, das militärische Nachrichtenwesen und Lagebilderstellungen, Logistik und die sanitätsdienstliche Versorgung stehen.
In seiner Zwischenbilanz deutet der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan, Michael Koch, an, dass die afghanische Luftwaffe zu schwach aufgestellt sein könnte, um regierungsfeindliche Kräfte in Schach zu halten. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass das Land in Teilen oder sogar ganz in die Hände der Taliban zurückfallen könnte?
Das muss natürlich verhindert werden. Aber nochmals: Afghanistan und die internationale Gemeinschaft sind gegenseitige Verpflichtungen eingegangen. Und zu diesen zählt, dass Afghanistan selbst für die Sicherheit sorgt und die Staatengemeinschaft das Land auf diesem Wege unterstützt. Die Sicherheitslage ist weiterhin nicht stabil, aber dieses Problem lässt sich nicht allein militärisch lösen. Die Regierung in Kabul muss konsequent den Weg der Versöhnung und inneren Einheit gehen. Das ist sicherlich noch ein langer Weg, der aber alle Mühen wert sein sollte.
Das neue Mandat hat durchaus auch einen „robusten“ Anteil. Ist es denn richtig, vom Ende des Kampfeinsatzes in Afghanistan zu sprechen?
Die „Resolute Support Mission“ ist definitiv kein Kampfeinsatz. Aber in einem nach wie vor auch gefährlichen Umfeld müssen unsere Soldaten in der Lage sein, sich selbst verteidigen zu können. In gewissen Gefährdungslagen können sie auch einen Beitrag leisten zur Sicherung und zum Schutz und gegebenenfalls zur Evakuierung von militärischen und zivilen Kräften. Das soll aber die Ausnahme sein.
Wie widerstandsfähig ist die afghanische Gesellschaft gegenüber radikal-islamistischen Ideen?
Die demokratischen Präsidentschaftswahlen waren aus meiner Sicht ein sehr deutliches Zeichen für den Wunsch des größten Teils der Bevölkerung, dass das Land den guten Weg der vergangenen Jahre fortsetzen soll.
Wo sehen Sie denn die größten Herausforderungen für die neue Regierung?
Die wirtschaftliche Situation in Afghanistan ist angespannt, es müssen bessere Bedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze geschaffen werden. Außerdem ist durch das Tauziehen um das Präsidentenamt und die späte Regierungseinsetzung Vertrauen bei den Wählern verloren gegangen. Durch gutes Regierungshandeln können Präsident Ghani und sein Kabinett hier wieder Boden zurück gewinnen.
Welche Erfahrungen lehrt die Beteiligung der Bundeswehr an Isaf?
Der Einsatz in Afghanistan war eine Zäsur. Ursprünglich und - wie sich später zeigte - fälschlicherweise sind wir anfänglich von einer Friedensmission ausgegangen und mussten feststellen, dass wir uns zwischenzeitlich in einem Krieg befinden. Für die Politik galt es damals, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um unsere Soldaten bestmöglich auszustatten. Grundsätzlich ist in Afghanistan aber auch deutlich geworden, dass Deutschland mit der Bundeswehr als Teil der Verantwortungsgemeinschaft auf dieser Welt einen wesentlichen und erfolgreichen Beitrag leisten kann zur Stabilisierung eines Landes und zum Aufbau von zivilen und wirtschaftlichen Strukturen.
Soll sich die Bundeswehr im Rahmen engerer Zusammenarbeit mit den europäischen Partner auf bestimmte Fähigkeiten spezialisieren, etwa als Einsatzarmee wie in Afghanistan? Oder soll sie unter dem Stichwort „Breite vor Tiefe“ ein großes Spektrum an Fähigkeiten haben?
Die Neuausrichtung der Bundeswehr hat zum Ziel, dass wir ein breites Fähigkeitsspektrum vorhalten, um flexibel auf alle sicherheitspolitischen Herausforderungen reagieren zu können. Das können Kampfeinsätze wie in Afghanistan oder Ausbildungsmission wie gegenwärtig in Mali sein. Dort, wo es aber schon jetzt möglich ist, suchen wir Kooperationen mit unseren Partnern in Europa, um gemeinsam militärische Fähigkeiten zu stärken. Ein Beispiel ist die angestrebte Zusammenarbeit mit den niederländischen Streitkräften zum Aufbau eines gemeinsamen Panzerbataillons. Wir wollen gemeinsame europäische Fähigkeiten dort verstetigen und stärken, wo sie sich anbieten.
Was sind die größten Versäumnisse in den 13 Jahren Kampfeinsatz am Hindukusch?
Die Politik hat sich der wirklichen Situation in Afghanistan womöglich anfangs zu zaghaft gestellt. Und sie war womöglich zu zaghaft darin, der Bevölkerung in Deutschland ein klares Lagebild darzustellen. Meine persönliche Lehre aus dem Afghanistan-Einsatz ist, mit aller Offenheit und Transparenz zu schildern, wie die Lage vor Ort ist und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Mit der Nachlieferung von Schutzsystemen für die Soldaten, mit der Änderung der Taktik im Rahmen des „Partnerings“, also mit gemeinsamen Operationen von Bundeswehr und afghanischer Armee, wurden dann aber die richtigen Konsequenzen gezogen.
Die Taliban haben die Isaf-Truppen nicht besiegen können. Könnten sie über die Geduld der deutschen Öffentlichkeit siegen?
Es gilt der alte Satz: Die Deutschen haben die Uhr, Afghanistan hat die Zeit. Wir müssen uns immer deutlich machen, dass in Afghanistan eine eigene Mentalität herrscht, die es zu beachten gilt. Wir wollen all die guten Ansätze unterstützen und stärken, um langfristig diesem Land eine gute Perspektive zu geben, und auch, um den afghanischen Beitrag zur Sicherheit auf dieser Erde zu unterstützen.
(ahe/08.12.2014)