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Die Einführung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene scheitert nach wie vor an der Unionsfraktion. Das ist das Ergebnis einer Debatte am Freitag, 23. Mai 2014, über einen von der Linksfraktion eingebrachten Gesetzentwurf (18/825) mit dem Ziel der Verankerung einer dreistufigen „Volksgesetzgebung“ im Grundgesetz, um Plebiszite verfassungsrechtlich abzusichern.
Der Entwurf sei ein Angebot, um zu dem Thema ins Gespräch zu kommen, sagte Halina Wawzyniak (Die Linke). Prof. Dr. Lars Castellucci und Özcan Mutlu (Bündnis 90/Die Grünen) äußerten zwar Kritik an Details des Vorschlags der Linksfraktion. Zeigten sich jedoch für die Einführung von Elementen der direkten Demokratie auch auf Bundesebene offen. Die Union lehnt dies hingegen ab. Die Deutschen stünden mehrheitlich hinter der repräsentativen Demokratie, die einen Stabilitätsanker darstelle, sagte Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU).
Der von ihrer Fraktion vorgelegte Gesetzentwurf regle das Verfahren der direkten Demokratie auf Bundesebene, sagte Halina Wawzyniak. So sei geplant, dass 100.000 Wahlberechtigte Gesetzesvorlagen und andere politische Themen in den Bundestag als Volksinitiativen einbringen könnten.
Werde dies abgelehnt, solle in einem zweiten Schritt ein Volksbegehren eingeleitet werden können, das dann erfolgreich wäre, wenn es von einer Million Wahlberechtigten befürwortet wird. Volksbegehren zur Änderung des Grundgesetzes sollen nach Aussage Wawzyniaks die Unterstützung von zwei Millionen Bürgern benötigen.
„Wir kleben nicht an Kommas“, sagte die Linken-Abgeordnete, die den Gesetzentwurf als Vorschlag an die anderen Fraktionen bezeichnete. Wawzyniak ging zugleich auf schon in früheren Debatten vorgebrachte Argumente gegen Volksentscheide auf Bundesebene ein. Insbesondere der Verweis auf das Scheitern der Weimarer Republik, der von Gegner direkter Demokratie gerne angebracht würde, sei nicht tragfähig. „Die Weimarer Republik ist daran gescheitert, dass es zu wenig Demokraten gab, die bereit waren, sie zu verteidigen“, sagte sie.
Auch den Verweis darauf, dass bei Volksbegehren nicht nach Sachargumenten entschieden würde, sondern danach, „welche Interessegruppe die beste Lobbyarbeit macht“, ließ sie nicht gelten. Auch das Parlament sei kein Raum, „der frei von Interessengruppen und Lobbyarbeit ist“, sagte sie.
Das wollte der Unionsabgeordnete Ostermann so nicht stehen lassen. Das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag sei in der Lage, unterschiedliche Interessen aufzufangen. Es sei ein lernendes System, bei dem es nicht nur die Abstimmung mit Ja oder Nein gebe. Vielmehr würden in Ausschüssen, bei Anhörungen oder Berichterstattergesprächen Gesetzentwürfe weiterentwickelt.
„Es gilt das Strucksche Gesetz, wonach kein Gesetz aus dem Bundestag so kommt, wie es eingebracht wurde“, bemühte Ostermann den ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Peter Struck. Dies könne keine Volksabstimmung bieten, bei der es nur um ein Ja oder Nein gehe. „Ein Ja, aber… gibt es nicht“, kritisierte der Unionsabgeordnete. Außerdem bestehe die Möglichkeit, dass die unangemessene Verkürzung vieler Sachthemen leicht zu populistisch beeinflussten Ergebnissen führen könne. „Es bestehe die Gefahr, dass sich Tür und Tor öffnet für Emotionen“, sagte Ostermann.
Özcan Mutlu (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, seine Fraktion nehme das Angebot der Linksfraktion gerne an. Es seien schließlich die Grünen gewesen, die sich seit ihrer Gründung konsequent für die Stärkung und Erweiterung der direkten Demokratie eingesetzt hätten.
Mutlu verwies darauf, dass die Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch die direkte Demokratie auf Landesebene ein Erfolgsmodell sei. „Bei der richtigen Ausgestaltung wäre das auch auf Bundesebene möglich“, gab er sich optimistisch. Das Stichwort Stimmungsmache seines Vorredners aufgreifend, sagte der Grünenabgeordnete: „Schaut nach Bayern.“
Lars Castellucci (SPD) bekräftigte, dass seine Fraktion für Volksentscheide auf Bundesebene sei. „Leider ist das mit der Union nicht zu machen“, sagte er. Es sei auch nicht gelungen, das Thema in den Koalitionsvertrag einzuarbeiten. Castellucci verwies auf Umfragen, die deutlich machten, dass sich die deutsche Bevölkerung durchaus mehr Beteiligungsmöglichkeiten wünsche. „Das wünschen sich im Übrigen auch die Unionswähler“, betonte er.
Völlig unstrittig sei, dass sich die repräsentative Demokratie bewährt habe. Aber: „Wir bangen alle, was es bei der Europawahl für eine Wahlbeteiligung geben wird.“ Zugleich würden die Mitgliederzahlen der Parteien weiter sinken. „Wir sind deshalb gut beraten, darüber nachzudenken, wie wir unsere Demokratie lebendig halten und wie wir mehr Menschen für sie begeistern können“, sagte der SPD-Politiker. (hau/23.05.2014)