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Mit dem sogenannten Versorgungsstärkungsgesetz hat der Bundestag ein wichtiges gesundheitspolitisches Reformvorhaben beschlossen. Für die Vorlage stimmten am Donnerstag, 11. Juni 2015, die Koalitionsfraktionen von Union und SPD. Die Linke enthielt sich, die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen votierte dagegen. Mit dem Gesetz (18/4095, 18/5123) soll die medizinische Versorgung auch in strukturschwachen Regionen verbessert werden.
Ärzteverbände befürchten durch die geplanten Regelungen eine Einschränkung ihrer Berufsfreiheit und mehr Bürokratie. Die Opposition hält vor allem die ärztliche Bedarfsplanung für veraltet. Bei den Beratungen im Gesundheitsausschuss wurde die Kabinettsvorlage noch an zahlreichen Stellen verändert.
Mit neuen Regelungen für die Zu- und Niederlassung von Ärzten und Psychotherapeuten sollen unterversorgte ländliche Gebiete gezielt gestärkt und die teilweise Überversorgung in Ballungszentren reduziert werden. So werden künftig Arztpraxen in überversorgten Regionen nur dann nachbesetzt, wenn dies unter Versorgungsaspekten auch sinnvoll ist. Allerdings wurde diese Regelung von den Koalitionsfraktionen deutlich entschärft, auch zugunsten der Psychotherapeuten.
Um die hausärztliche Versorgung zu verbessern, wird die Zahl der mindestens zu fördernden Weiterbildungsstellen von 5.000 auf 7.500 erhöht. Hinzu kommen 1.000 Weiterbildungsstellen bei Fachärzten. Auch bei der ärztlichen Vergütung soll der Versorgungsaspekt künftig eine stärkere Rolle spielen.
Mit Terminservicestellen, die von den Kassenärztlichen Vereinigungen eingerichtet werden müssen, soll sichergestellt werden, dass Versicherte innerhalb von vier Wochen einen Facharzttermin erhalten. Mit einer überarbeiteten Psychotherapie-Richtlinie soll zudem die Versorgung auf diesem Gebiet verbessert werden. Vereinfacht wird die Bildung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), in denen zumeist Ärzte unterschiedlicher Fachrichtung zusammen arbeiten. Die Kommunen sollen mit der möglichen Gründung solcher Zentren aktiv in die verbesserte Versorgung einbezogen werden.
Vor bestimmten Operationen, die besonders häufig empfohlen werden, dürfen Patienten künftig eine ärztliche Zweitmeinung einholen und abrechnen. So sollen teure und unnötige Eingriffe effektiver verhindert werden. Krankenhäuser sollen außerdem stärker in die ambulante Betreuung der Patienten einbezogen werden.
Beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) wird ein Fonds zur Förderung innovativer sektorenübergreifender Versorgungsformen geschaffen. Für den Fonds werden zwischen 2016 und 2019 jährlich jeweils 300 Millionen Euro jeweils zur Hälfte von den Krankenkassen und aus dem Gesundheitsfonds zur Verfügung gestellt.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wie auch Sprecher von Union und SPD würdigten das Gesetzespaket in der Schlussdebatte als wichtige Weichenstellung für eine zukunftsfeste medizinische Versorgung. Gröhe betonte, es würden die Patientenrechte gestärkt und Innovationen in Gang gesetzt. Um junge Mediziner für eine Niederlassung auf dem Land zu gewinnen, seien diverse Anreize vorgesehen und konkrete Hilfen. Die Bedarfsplanung werde überprüft.
Der Minister versicherte, über die Fortführung jedes frei werdenden Arztsitzes werde einzeln im Zulassungsausschuss entschieden. Das Ziel sei ein moderater Abbau der Überversorgung in bestimmten Regionen. Der CDU-Politiker hob die Terminservicestellen und das Recht auf eine ärztliche Zweitmeinung als wichtige Änderungen zugunsten der Patienten hervor.
Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach (SPD) ergänzte, mit dem Gesetz werde an vielen Stellschrauben gleichzeitig angesetzt. So könne der Ärztebedarf künftig in kleinräumigen Versorgungsbereichen genauer gemessen werden. Dass Patienten, die schnell einen Facharzt brauchen, künftig auch in eine Klinik vermittelt werden könnten, sei ein Schritt zum Abbau der Zwei-Klassen-Medizin.
Lauterbach verwies auch auf neue Chronikerprogramme für Rückenleiden und Depression sowie die Förderung der Hochschulambulanzen, die bei komplizierten Fällen eine große Bedeutung hätten. Das Gesetz, befand der Mediziner, beinhalte nicht eine einzige spektakuläre Maßnahme, sondern viele wichtige Einzelpunkte.
Die Opposition hält Teile des Gesetzes für vertretbar, moniert aber vor allem die aus ihrer Sicht verfehlte Bedarfsplanung. Linke und Grüne nutzten die Debatte über das Gesetz zugleich, um vor steigenden Beiträgen in der gesetzlichen Krankenversicherung zu warnen.
Birgit Wöllert (Linke) mahnte, höhere Zusatzbeiträge seien schon absehbar. Da der Arbeitgeberanteil an den Beitragskosten unlängst gesetzlich festgeschrieben worden sei, gingen künftige Strukturveränderungen voll zulasten der Versicherten. Ähnlich argumentierten auch die Grünen.
Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) stellte zu dem Gesetz fest: "Viel hilft nicht immer viel." So habe die Koalition mit ihren 180 Einzeländerungen den Weg verloren. Die zentrale Herausforderung sei der demografische Wandel. Mit diesem Gesetz und dieser Bedarfsplanung würden nicht die nötigen Antworten gegeben, um das gute deutsche Gesundheitssystem zukunftsfest zu machen.
Weiter schlecht versorgt seien vor allem die Menschen mit Behinderung. Nur fünf der 180 Regelungen bezögen sich auf Behinderte. Immerhin bestünden mit den neuen Richtlinien für Psychotherapeuten Chancen, die langen Wartezeiten in dem Bereich zu reduzieren.
Der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn hielt der Opposition im Gegenzug vor, das Haar in der Suppe zu suchen. Mit dem verlässlichen Angebot für eine zeitnahe Terminvergabe sei "das größte Aufregerthema im deutschen Gesundheitswesen" abgeräumt worden. Die Möglichkeiten für ein vernetztes Zusammenarbeiten der Ärzte, die Verbindung von ambulanten und stationären Angeboten, die Kooperation mit Pflegern: Das ganze Bündel an Maßnahmen mache den Wert dieses Gesetzes aus.
Spahn erinnerte daran, dass schon in wenigen Jahren viele Hausärzte auf dem Land ihre Praxen aufgeben werden. Den potenziellen jungen Nachrückern gehe es nicht nur ums Geld, sondern auch um die Arbeitsbedingungen. Spahn räumte ein, dass mit mehr Leistungen auch die Finanzierungsfrage im Gesundheitswesen wieder in den Vordergrund rücke.
Abgeordnete der SPD machten im Zusammenhang mit der Beitragsdebatte klar, dass sie weiterhin eine paritätische Finanzierung der Beiträge durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer anstreben. Der Bundestag lehnte bei Enthaltung der Linken einen Änderungsantrag der Grünen (18/5125) ab, der die Betriebskostenpauschale für freiberufliche Hebammen zum Gegenstand hatte. Ein Entschließungsantrag der Linken (18/5126) wurde mit dem gleichen Stimmenverhältnis ebenfalls abgelehnt. Die Linke hatte darin wirksame Schritte hin zu einer bedarfsorientierten Planung und Steuerung der gesundheitlichen Versorgung verlangt.
Der Bundestag lehnte zugleich Anträge der Opposition ab, darunter zwei Alternativvorschläge für eine verbesserte Gesundheitsversorgung. So verlangte Die Linke (18/4187) eine erneuerte Bedarfsplanung in der medizinischen Versorgung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wollte den Kommunen und Regionen eine stärkere Rolle bei der Planung, Steuerung und Gestaltung der gesundheitlichen Versorgung ermöglichen sowie Anreize für sektorenübergreifende Versorgungsmodelle schaffen (18/4153). In einem weiteren Antrag der Grünen (18/1462) ging es um eine verbesserte Transparenz der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. (pk/11.06.2015)