Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Das von der schwarz-roten Regierungskoalition vorgelegte Maßnahmenpaket zur Bewältigung der Flüchtlingskrise sorgt für Kontroversen im Bundestag. Während sich der Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Dr. Gregor Gysi, am Donnerstag, 1. Oktober 2015, bei der ersten Lesung des von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurf eines „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes“ (18/6185) gegen eine Unterscheidung von „guten“ und „schlechten“ Flüchtlingen wandte, kritisierte für Bündnis 90/Die Grünen ihre Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt einzelne der vorgesehenen Verschärfungen im Asylrecht. Dagegen warb Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière (CDU) ebenso wie Vertreter der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion nachdrücklich für die angestrebten Regelungen.
Ebenfalls in erster Lesung lagen dem Parlament zu der Debatte ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur schnelleren Entlastung der Länder und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern (18/6172) sowie der Regierungsentwurf eines zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes (18/6090) vor.
Auf der Tagesordnung stand daneben auch ein Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel "Alle Flüchtlinge willkommen heißen - Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung" (18/6190). Darin fordert die Fraktion die Bundesregierung auf, ihren "Gesetzentwurf zur Verschärfung des Aufenthalts- und Asylrechts nicht weiter zu verfolgen".
De Maizière nannte den Gesetzentwurf „Teil eines großen politischen Pakets, das Bund und Länder in der vergangenen Woche beschlossen haben“. Dieses Paket enthalte als zentrale Botschaften eine „zügige Ordnung und Beschleunigung der Asylverfahren“ sowie die Integration der schutzbedürftigen Flüchtlinge und den „Abbau von Fehlanreizen und konsequente Rückführung derjenigen, die kein Bleiberecht haben“. Ferner gehören dazu nach den Worten des Ministers der Abbau von Regelungen, die eine zügige winterfeste Unterbringung der Flüchtlinge erschweren, sowie Hilfen des Bundes für Länder und Kommunen.
Damit treffe man auch harte Entscheidungen, fügte der Minister hinzu. Dazu zähle die Verpflichtung der Flüchtlinge zur Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen, die Verringerung von Geldleistungen sowie die Streichung des Anspruchs auf Asylbewerberleistungen für vollziehbar Ausreisepflichtige, die nicht ausreisen.
Mit Blick auf die geplante Einstufung von Albanien, Kosovo und Montenegro als asylrechtlich sichere Herkunftsländer sagte der Ressortchef, dass diese Länder selbst darum gebeten hätten. Dort lägen die Voraussetzungen für Asyl nur in wenigen Einzelfällen vor. Auch Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung seien von diesem Schritt überzeugt worden. Dafür schaffe man legale Zuwanderungsmöglichkeiten aus den Balkan-Staaten. Dies sei ein fairer Kompromiss.
Mit dem Gesetzespaket bekenne man sich auch zur Aufnahme und Integration der Flüchtlinge, die schutzbedürftig seien und dauerhaft in Deutschland bleiben werden, sagte de Maizière weiter und betonte: „Das werden viele sein, sehr viele.“ Zugleich mahnte er, sie müssten auch die Rechts- und Werteordnung in Deutschland akzeptieren und einhalten. Ebenso gelte, dass jeder Zuwanderer das Recht habe, menschenwürdig und respektvoll behandelt zu werden. „Den rechtsextremen Pöbeleien und den stark gestiegenen Straftaten bis hin zum Mordversuch treten wir politisch und mit aller Härte des Rechtsstaats entgegen“, unterstrich der Minister.
Gysi sagte, das Maßnahmenpaket enthalte „Schritte in die richtige Richtung, allerdings auch Schritte in die falsche Richtung“. Er mahnte zugleich, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Dazu müsse man auch Hunger, Not und Armut wirksam bekämpfen. Viele Flüchtlinge kämen aus Lagern in verschiedenen Ländern. Dabei hätten auch Deutschland und die EU die Mittel für diese Lager reduziert und erst jetzt wieder aufgestockt.
Diese Aufstockung müsse verstetigt werden. Sonst dürfe man sich nicht wundern, dass die Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Scharf wandte sich Gysi gegen „Rechtsextremismus und Rechtspopulismus von AfD bis Nazis“, die versuchten, Ängste in Deutschland zu schüren und zu radikalisieren. Mehr als 60 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte seien „beschämend“.
Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Christine Lambrecht, begrüßte, dass nun für Flüchtlinge mit einer „guten Bleibeperspektive“ ein schnellerer Zugang zu Sprach- und Integrationskursen geschaffen werde. Auch sollten Flüchtlinge nach einem möglichst kurzen Verfahren wissen können, ob sie in ihre Heimat zurückkehren müssen oder eine Perspektive in Deutschland haben. Dafür müsse man auch Maßnahmen ergreifen, „die schwerfallen“.
Dazu gehöre die vorgesehene Einstufung von sicheren Herkunftsländern und die konsequente Rückführung von Menschen ohne Bleiberecht. Notwendig sei, die Balance zu halten zwischen der humanitären Verpflichtung, Menschen aus Not eine Perspektive zu bieten, und der „klaren Ansage“, dass Menschen ohne Bleiberecht hier nicht bleiben können.
Göring-Eckardt zählte zu den „positiven Punkten“ des Gesetzesvorhaben, dass ein „Beschäftigungskorridor“ für Menschen vom Westbalkan geschaffen werden solle. Dies öffne „die Tür für ein Einwanderungsgesetz, jedenfalls ein kleines Stück“. Ihre Fraktion werde „den Fuß in dieser Tür lassen“. Aus dem „Einwanderungskorridor“, der nur ein „erster kleiner Schritt“ sei, müsse ein modernes Einwanderungsgesetz werden.
Die Grünen-Fraktionschefin warf zugleich der Koalition vor, sie versuche das Asylrecht an verschiedenen Stellen auf Kosten der Flüchtlinge zu schwächen. Der vorgesehene Wechsel von Geld- zu Sachleistungen für Flüchtlinge sei eine „Schikane“ und erschwere die Arbeit der Helfer vor Ort. Kritik äußerte Göring-Eckardt auch an dem verlängerten Verbleib der Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen die Situation meist drückend und Konflikte unvermeidlich seien.
Unionsfraktionsvize Thomas Strobl (CDU/CSU) nannte die angestrebten Neuregelungen die „bedeutendste Reform des deutschen Asylrechts seit den 1990er Jahren“. Erstmals werde dabei in den Asylverfahren zwischen schutzbedürftigen Flüchtlingen und offensichtlich nicht schutzbedürftigen unterschieden. Richtungsweisend sei, dass künftig eine Reihe von Einschränkungen mit dem Status sicherer Herkunftsländer verbunden werden.
Flüchtlinge aus diesen Staaten blieben künftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen es kein Bargeld geben solle, und aus denen sie nach dem Asylverfahren direkt in ihrer Heimatland zurückgeführt würden. Dies sei ein Signal an Flüchtlinge vom Westbalkan, dass ein Asylantrag für sie keinen Sinn mache und es für sie andere Möglichkeiten gebe, nach Deutschland zu kommen. Weil man den Schutzbedürftigen heute und in Zukunft helfen wolle, müsse man Hunderttausende abweisen, die nicht schutzbedürftig sind. „Nicht aus Hartherzigkeit, sondern aus der Einsicht in die Grenzen unserer Möglichkeiten“, fügte Strobl hinzu. (sto/01.10.2010)