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Drei Wochen nach dem Flüchtlingsgipfel vom Bund und Ländern hat der Bundestag am Donnerstag, 15. Oktober 2015, ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Bewältigung des Flüchtlingsandrangs beschlossen. In namentlicher Abstimmung votierten 475 Abgeordnete für das von der schwarz-roten Regierungskoalition vorgelegte „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ (18/6185) in der vom Innenausschuss modifizierten Fassung (18/6386). Dagegen stimmten 68 Parlamentarier; 56 enthielten sich. Das Gesetz tritt am 1. November in Kraft.
Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière (CDU) wertete den Gesetzentwurf in der Debatte als „größte und umfassendste Veränderung des Asylrechts seit Anfang der neunziger Jahre“. Damit würden Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt und Asylverfahren beschleunigt. Auch würden die Flüchtlinge zur Unterbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung verpflichtet, was die Kommunen entlaste. Zudem setze man auf eine konsequente Rückführung der Menschen ohne Bleibeperspektive. Wer Deutschland „nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel verlassen muss, wer seinen Pass wegwirft, um einer Abschiebung zu entgehen, dem streichen wir die bisherigen Leistungen“.
Zugleich bekenne man sich zur Aufnahme und Integration der schutzbedürftigen Flüchtlinge, fügte de Maizière hinzu. So öffne man früher die Integrationskurse für Menschen mit Bleibeperspektive. Wer für die nächsten Jahre in Deutschland bleibe, solle früher in Arbeit kommen. Auch werde eine „rasche und vernünftige Unterbringung“ erleichtert. Hinzu kämen „umfangreiche finanzielle Milliardenhilfen für Länder und Kommunen, auch beim sozialen Wohnungsbau“.
Damit gehe man „neue Wege“, um der „großen Herausforderung“ der Flüchtlingskrise gerecht zu werden, sagte der Ressortchef und betonte: „Die ganze Flüchtlingskrise betrifft uns alle.“ Die Zahl derer, die in diesem Jahr nach Deutschland kommen, sei „einfach zu hoch“. Man arbeite „international, europäisch und national“ mit Hochdruck daran, sie zu verringern. Dazu leiste das Gesetzespaket einen wichtigen Beitrag.
Als „erschreckend und beschämend“ kritisierte der Minister die steigende Zahl von Angriffen auf Asylbewerber und Flüchtlingsunterkünfte. „Menschen, die Flüchtlinge hassen, hassen in Wahrheit auch unser Land“, sagte er und machte deutlich, jeder Art von Gewalt entschieden entgegenzutreten. Zugleich mahnte er, die Flüchtlinge müssten „unsere Gesetze und Gewohnheiten akzeptieren und einhalten“.
Für die Fraktion Die Linke äußerte ihr stellvertretender Vorsitzender Jan Korte scharfe Kritik an der Gesetzesvorlage. Die Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrichtung sechs statt drei Monate zu leben, nannte Korte ebenso „inakzeptabel“ wie den Wechsel von Bargeld- zu Sachleistungen für Flüchtlinge. Dieser „entmündigt Menschen, und es geht um Menschen“, sagte Korte.
Zugleich warf er der Koalition einen „offenen Verstoß gegen ein klares Urteil des Bundesverfassungsgerichtes mit Blick auf die Leistungskürzungen“ vor. Auch wandte er sich gegen die Einstufung der drei Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten. Während der Bundestag jährlich einen Bundeswehreinsatz im Kosovo beschließe, weil es dort so unsicher sei, solle das Land nun ein sicherer Herkunftsstaat sein.
Grünen-Fraktionsvize Dr. Konstantin von Notz sah in dem Gesetzespaket „gute Instrumente“, aber auch „zahlreiche schlechte, verfassungsrechtlich problematische und vielfach einfach untaugliche“. Seine Fraktion bejahe eine strukturelle und dauerhafte finanzielle Entlastung der Länder und Kommunen sowie ein einfacheres Planungsrecht, „das möglichst viele Flüchtlinge vor dem kommenden Winter hoffentlich aus den Zelten holt“. Gleiches gelte für die „fällige Verbesserung im Asylrecht“, 16- und 17-Jährige „nicht einfach wie Erwachsene zu behandeln“.
Ablehnen würden die Grünen aber das „verfassungsrechtlich problematische Konstrukt der sicheren Herkunftsstaaten“. Auch sei es unpraktikabel, Asylsuchende „länger in Erstaufnahmeeinrichtungen festzusetzen“. Ebenso wandte er sich gegen die vorgesehenen Leistungskürzungen sowie den Wechsel von Geld- zu Sachleistungen und kündigte an, dass sich seine Fraktion bei der Abstimmung über das Gesetzespaket enthalten werde.
SPD-Fraktionsvize Dr. Eva Högl betonte, Deutschland sei ein starkes, weltoffenes und reiches Land, das die Menschen willkommen heiße und hilfsbereit sei. Auch brauche die Bundesrepublik Einwanderung. Notwendig sei aber ein handlungsfähiger Staat, „damit wir das schaffen“. Dazu sei das Asylpaket ein wichtiger Beitrag.
Um indes auch helfen zu können, könnten aber nicht dauerhaft 10.000 Flüchtlinge täglich nach Deutschland kommen. Daher müsse man die Zuflucht begrenzen. Mit Blick auf die EU-Asylpolitik forderte sie „gleiche Standards, einheitliche Verfahren“ sowie eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge, eine solidarische Finanzierung und „besser gesicherte Außengrenzen“.
Die CDU-Abgeordnete Nina Warken konstatierte, seit Anfang September befinde man sich „bei der Asylfrage im Ausnahmezustand“ und erlebe den Zustrom von bis zu 10.000 Asylbewerbern pro Tag. Mit dem jetzigen Gesetzespaket gebe man auch ein Signal an die Bürger, dass man ihre Sorgen ernst nehme. Mit dem Gesetz werde eine konsequente Trennung eingehalten „zwischen den Schutzbedürftigen und denen, die keinen Anspruch auf Asyl haben“.
Das Paket sei ein „großer Schritt in die richtige Richtung“, dem weitere Maßnahmen folgen müssten, „wenn der Flüchtlingsstrom weiter anhält“. Zu solchen weiteren Maßnahmen, über die man nachdenken müsse, zählte Warken „die Möglichkeit, Asylverfahren auch direkt an der Grenze durchzuführen“.
Bundesbauministerin Dr. Barbara Hendricks (SPD) verwies auf die Notwendigkeit, sicherzustellen, dass für alle Menschen Unterkünfte zur Verfügung stehen, zumal der Winter „unmittelbar vor der Tür“ stehe. Notwendig seien daher kurzfristige Lösungen für neue Unterkünfte und Erstaufnahmeeinrichtungen. Dazu gebe es weitgehende Änderungen im Bauplanungsrecht, um insbesondere die Situation in den Kommunen zu verbessern.
Das Parlament verabschiedete zudem bei Enthaltung der Grünen und Ablehnung der Linksfraktion einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Unterbringung ausländischer Kinder und Jugendlicher (18/5921) in der Fassung des Familienausschusses (18/6392). Danach sollen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge künftig bundesweit auf alle Jugendämter verteilt werden. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) sagte in der Debatte, es sei „eine Frage der Solidarität, aber vor allem eine Frage des Kindeswohls, dass zukünftig überall in Deutschland die Kapazitäten der Kinder- und Jugendhilfe genutzt werden, um diesen Kindern und Jugendlichen, die ohne Familie hier ankommen, ein gutes Zuhause zu geben“. Bislang ist für die Inobhutnahme von unbegleiteten Flüchtlingskindern stets jenes Jugendamt zuständig, bei dem das Kind nach seiner Einreise nach Deutschland erstmals registriert wird.
Keine Mehrheit fanden Anträge der Linken für einen grundlegenden Wandel in der Asylpolitik (18/3839) und "gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung" (18/6190) sowie der Grünen für eine faire finanzielle Verantwortungsteilung bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen" (18/4694). Auf Empfehlung des Familienausschusses (18/6392) scheiterten die Linke auch mit einem Antrag, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit einer starken Jugendhilfe aufzunehmen (18/4185), und die Grünen mit dem Antrag, das Kindeswohl bei der Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge abzusichern (18/5932).
Abgelhnt wurde auch ein Entschließungsantrag der Grünen (18/6393) zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz. Darin hatte die Fraktion gefordert, dass sich die Bundesregierung mit Ländern, Kommunen und der Zivilgesellschaft auf einen Pakt zum Aufbau einer Willkommensinfrastruktur zur Integration und gesellschaftlichen Teilhabe verständigen soll. Einvernehmlich erklärte das Plenum den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur schnelleren Entlastung der Länder und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern (18/6172) auf Empfehlung des Haushaltsausschusses (18/6381) für erledigt. (sto/15.10.2015)