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01.04.1893 | Standardzeit |
Der Deutschen Schrittmacher | |
...aus M., dem Zentrum der Provinz, pulsiert das Maß der Pünktlichkeit. Entgegen all den Wirren selbsterfundener Zeit, tickt hier, genormt, das Tugendherz der deutschen Seele... ...brav sendet DCF77 das Signal für deutsche Pünktlichkeit. Jahre nach Einführung der Standardzeit in Deutschland, bestimmt ein Mast den atomar geteilten Takt des Lebens... | |
01.04.1933 | Judenboykott |
Amtliche Anordnung | |
...Herr Nathan hat ein großes Geschäft. Er handelt mit Wollwaren und allem, was dazu gehört. Obwohl nur wenige Auslagen bewundert werden können, sind die Fenster großzügig verglast und immer blitzblank geputzt. Aber die Kunden, die doch gestern noch so zufrieden mit seinem Angebot waren, bleiben heute Morgen aus. Nur Wenige, seltsam Unentschlossene, bleiben vor seinem Geschäft stehen und schauen neugierig hinein... | |
01.05.1831 | Heinrich Heine |
Die Götter gehen ins Exil | |
...Herr H. ist müde. Seit Tagen schon sorgt sich die Familie um seine Gesundheit. Spät erst kommt er aus den Federn. Am Frühstückstisch spricht er von der Sonne, die eine preußische Kokarde sei, von Geiern, die schwarz und hässlich ihm die Leber aus dem Leibe fressen... - ...nur im Westen, im Herzen Europas, sei es besser. Alle sprechen dort französisch, wie bei uns der Adel, meinte er. Die Männer seien höflich und die Frauen lächeln so schön... - ... aber kurz darauf fiel er wieder schlaff zurück in seinen Stuhl und wurde melancholisch... ...Es ist Mai. Der Frühling will nicht kommen. Herr H. muss raus. Er macht sich auf den Weg aus diesem Mief... | |
01.06.1860 | Robert Wilhelm Bunsen gemeinsam mit Herrn Gustav Robert Kirchhoff sehen über Heidelberg Spektralien |
...Herr B. und Herr K. stehen gemeinsam am Fenster und schauen in den Heidelberger Himmel. Es ist Nacht und der Himmel klar. Ein Feuerwerk ist angekündigt und beide sind äußerst aufgeregt ob der bunten Lichter... ...später im Labor stellen beide das Lichtereignis nach und entwickeln so die Spektralanalyse... | |
01.08.1989 | Liese Meitner |
Der Problemtisch | |
..."der Tisch ist nicht original", sagte Prof. H., zu den Mitarbeitern des Museums und blickte etwas abschätzig auf das Möbel. "Ich kann aber einen besorgen, der dem Original ähnlich ist. Drauf ordnen wir dann einige Stücke aus meiner Sammlung und zaubern, na ja annähernd, den Moment der ersten Kernspaltung zurück." Alle blickten begeistert, aber auch gerührt dem alten Herrn über die Schulter, der sich setzte und gleich noch einen Vorschlag für die Beschriftung der Hinweistafel auf einen kleinen Zettel notierte... ...als auf dem Weltkongress für Wissenschaftsgeschichte 1989, die Sache mit dem Tisch und der männlichen Beschriftung zur Sprache kam, ging ein Raunen durch den Saal. Frau S. provozierte einen Eklat, an dessen Ende die Hinweistafel am falschen Hahn-Straßmann-Tisch geändert werden musste... | |
02.04.1968 | Andreas Baader |
Herr B. erwidert das Feuer | |
...unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh heraus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen... Sie zünden ein Kaufhaus an ...dreihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben, und Brüssel wird Hanoi... wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit,... seid bitte nicht überrascht... Herr B in einem Briefing | |
02.07.1505 | Martin Luthers |
Blitzentscheidung am Wegesrand | |
...in ihm war Angst und neben ihm der dräuende Gott, unbußfertig drohte der Tod. Ein Blitz schlug ein in nächster Nähe und zwang Herrn L. zu Boden. Im Stoßgebet gelobte er ein Mönch zu werden, blickte auf und sah sich von Himmel und Schrecken berufen... ...durch Gewalt, so meinte L. später, sei er an diesem Tage Mönch geworden... | |
02.11.1525 | Adam Ries |
Bürgereid von Annaberg | |
...Herr R. wurde gerade als Bürger von A. vereidigt. R. hat es im Leben zu etwas gebracht. Er hat ein Rechenbuch geschrieben und eine Rechenschule gegründet, weil er die Zahlen so liebt. Herr R. genießt es, durch den schmalen Türspalt zu beobachten, wie die kleinen Buben die Ordnung seiner Zahlen involvieren... ..."zum multipliziren gehörn zwo zalen", sagt Herr R. den Buben, "eine die multipliziert würdt, die ander dadurch mann multiplicirt"... ...am 2. wird Herr R. als Bürger von Annaberg vereidigt... | |
03.05.1096 | Speyer |
im zweifelhaften Schutz des Kaisers - ein Juden Pogrom | |
...doch wieso sollte P., der Eremit, erst bis ins Heilige Land reisen, wenn doch diejenigen, die Schuld am Tode von J. hatten mitten, unter ihnen wohnten ? P. und sein Mob erreichten am 3. Speyer und metzelten gleich hier... | |
03.05.1647 | Hans Rogler |
Kartoffelkampf in Pilgramsreuth | |
...R. ist oft zu Besuch bei seinen Verwandten hinter der Grenze in R.. Besonders gut schmecken ihm die dicken Ehrdepfl, die seine dicke Schwägerin ihm kocht. Die hatte sie von einem Offizier aus Niederlanden, der schnittig war und oft bei ihr verkehrte. Jedenfalls legte der im Frühjahr zwei große runde Dinger in die Erde. "Und siehe da", sagte die Schwägerin zu R., "kaum hundert Tage später da wurdens derer sieben"... ...Am 3. nahm sich R. zwei Epfl und drückte sie in sein Erdreich, einfach so... | |
04.01.1761 | Carsten Niebuhr |
Das Orientgeschenk | |
...alle Expeditionsteilnehmer starben an seltsamen Krankheiten, nur Herr N. blieb unversehrt. Im Auftrag eines Unsichtbaren schrieb N. alles, was er sah, roch und hörte, nieder. Jede Form aus Stein, die Landschaft, die Speisen und die Sprache wurden detailliert notiert... ...so schön, dass Napoleon auf seiner Fahrt nach Ägypten die "Reisebeschreibungen von Arabien und anderen umliegenden Ländern" ständig bei sich trug... ...am 4., Abfahrt... | |
04.06.1768 | Joachim Winckelmann |
Triester Elegien | |
...Herr W. ist wieder auf Reisen. Angekommen im Hafen von T. sucht W. ein Schiff, das ihn ans andere Ufer übersetzt. Dabei lernt W. einen interessierten Herrn kennen, der ebenfalls hinüber will. Flüsternd berichtet W. ihm von seinen Schätzen... ...W. vergöttert die Schönheit des Männlichen. Er sehnt sich nach marmorgleichen Gebilden griechischer Ideale. Am 4. begegnet er Ihm wieder, nur dieses Mal geleitet ihn der Geliebte endgültig an das andere Ufer... | |
04.06.1825 | Ernst Bandel |
Einsamer Bauherr des Hermannsdenkmal | |
...fünfundzwanzig ist Herr B., gesund und voller Tatendrang. Sein Held ist Hermann der Etrusker. Ihn hat er tausendmal gezeichnet. Jede Linie des Körpers seines Helden ist ihm nah. Auf einen Sockel aus Stein soll der Kämpfer stehen. Geschmiedet aus Kupfer, ein Koloss, für die Ewigkeit gewappnet. Dann, wenn sein Werk vollendet, wird B. dem Hermann nahe sein... ...4.6.1825...Liebe K. Wie Du weisst, will ich Künstler werden, denn nur als Künstler kann ich verachtend auf die Erbärmlichkeiten schauen, die der Menschen Glück immer zerstören. Kein Wille wird mich vom Weg drängen, kein bürgerliches Glück locken, kein Leben werd ich im Sklaventum für andre Pfuscher leben... | |
04.10.1582 | Zehn Tage Phantomzeit |
Der Kalenderclou | |
...Pünktlich zum Frühlingsanfang ist Herr G. im Turm der Winde. Er beobachtet aufmerksam den Boden und blickt immer wieder gespannt auf die kleine Öffnung in der Wand. Wie erwartet, quetscht sich ein Strahl göttlichen Lichts durch den engen Spalt und zeichnet ein Oval auf den Boden. "Knapp vorbei", murmelt Herr G., zückt sein Lineal und notiert die fehlenden Zentimeter. Spät am Abend rechnet er noch mal alles durch und beschließt, dass zehn Tage übersprungen werden müssen, um wieder Ordnung in das Chaos der Zeit zu bringen... ...als sich Herr K. am Abend des 4. zur Ruhe bettet und am Morgen des 15. wieder erwacht, wundert sich Herr K. etwas, aber er lässt es Gott geschehen... | |
04.12.1900 | Max Planck |
Herr P. gibt den Startschuss fürs Atomzeitalter | |
...Herr P. hat eine Hypothese, die er einen erlauchten Publikum zu Gehör bringen möchte. Die Atmosphäre im Saal ist geladen und alles wartet auf den Blitz, der sie entspannt. Herr P. wird seiner Aufgabe gerecht spricht und zerlegt die Energie in Quanten. Somit, sagen später alle, ist das Kontinuum der Natur beendet... ...Am 14. hält Herr P. einen Vortrag vor der Berliner Physikalischen Gesellschaft über seine "Quantentheorie"... - ...ein Genie - Blitz... | |
05.05.1972 | Friedrich Schiller |
Ganz Europa singt in Eintracht vom gelungenen großen Wurf | |
...Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein, wer ein holdes Weib errungen, mische seinen Jubel ein ! Ja - wer auch nur eine Seele sein nennt auf dem Erdenrund ! Und wer's nie gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem Bund !... ...am 5., Beschluss des Europarats zur Europahymne, Text: Herr S.... | |
06.11.1895 | Wilhelm Röntgen |
X Strahlen | |
...Frau R. ist sich nicht ganz sicher, ob es, wie ihr Mann sagt, ungefährlich sei, die Hand vor den Apparat zu legen. Sie vertraut ihm und wird mit einem Bild vom Innersten ihrer Welt belohnt. Nur der Ring, den hat sie vergessen abzunehmen. Der sieht plötzlich so plump aus, denkt sie... | |
06.12.1827 | Alexander von Humboldt |
Der Kosmos fürs Volk | |
...Der Du vom fernsten Nebelflecke Ein Schülergesang | |
07.06.1525 | Albrecht Dürer |
Traumgesicht | |
...der Traum ist die Wohnung Gottes, sagt Herr M.. D. ist schwernassgeträumt und sieht die Sinnflut im Abgrund seiner Seele. Kein Gesicht, nur Landschaft erscheint ihm. Säulen aus Wasser stürzten der Erde entgegen. Und er fühlt das Herz von M... ...In dieser Nacht entdeckt D. sein Innerstes. Er träumt die Wahrheit und weiss, er muss ihr folgen. Doch die Bauernfrage ist geklärt. Hoch oben auf einem Pfahl steckt der abgeschlagene Kopf Müntzers. Der Schädel soll schrecken weiter so wie M. zu denken. Er schreckt... In dieser Nacht nennt D. sich feige... | |
07.08.1495 | Ewiger Landfriede |
Handhabung von Frieden und Recht mit finanzieller Unterstützung des Gemeinen Pfennigs | |
...der letzte seiner Art. Dem Gemeinen Pfennig wurde ein langer Prozess gemacht. In W., im Reichstag in aller Munde, später etwas vernachlässigt und nun aus allen Taschen. So klein er ist so treu war er. So leicht zu verlieren, ganz ohne Tränen. Wie oft fand ich ihn auf Gleisen, zermalen von schwerer Technik. Vorbei... ...Das Recht der Fehde war beendet. Erlasse wurden verbrieft und Kammergerichte sorgten für Ordnung - alles finanziert (oder auch nicht) vom Gemeinen Pfennig... | |
08.06.1865 | Das verhinderte Duell |
Otto von Bismarck gegen Rudolph Virchow und seine späte Erfüllung | |
...Herr V. hält im Reichstag eine Rede und attackiert mit Wortgewalt Herrn B.. Herr B. ist erzürnt ob der öffentlichen Schmach und fordert mit zitterndem Schnauzbart alsbaldige Satisfaktion. Besänftigend reden die Freunde von B. auf den fuchsteufelswilden Abgeordneten ein... - ...und B. gibt brummend nach. Doch Jahre später, der Vorfall war schon fast vergessen, trägt stellvertretend für Herrn B. ein Schlachtschiff gleichen Namens nun endlich das verhinderte Duell zu Gunsten von Herrn B. aus... | |
08.11.1685 | Hugenotten |
Großer Kurfürst erfindet die Greencard | |
...Kunstfleiß, Tätigkeit und kluge Sparsamkeit - wirklich tüchtige Mannen diese Hugos, dachte sich der Landesvater. Und weil die Gelegenheit gerade günstig war, bestellte sich Herr F., der Große, gleich 20 000 Stück. Die gaben dann auch gleich ihr Bestes, so dass das Land erblühte und sich das Volk im siebten Himmel wähnte... ...Unterschrift unter das Entwicklungshilfe-Edikt... | |
08.11.1939 | Georg Elser |
Der Privatkrieg des Herrn E. | |
...Herr E. gilt als schweigsamer, doch geselliger Mensch. Seit seiner Schulzeit musiziert er, gehört einen Trachtenverein an und später dem Zitherclub in Königsbronn. Er spielt den Kontrabass auf Tanzabenden und ist bei Frauen beliebt. Auch wandert er gern mit Freunden. In seiner Ruhe stört ihn nur Herr H.. Herr H. will Krieg und stört nach Ansicht von E. die Harmonie der Familie... ...um 20.40 Uhr beobachtet der Zollbeamte Xaver Rieger einen schleichenden Mann sich der schweizerischen Grenze nähern. Später schilderte er: | |
09.03.1497 | Nikolaus Kopernikus Wanderung des Frühlings- und Herbstzeitpunktes |
...Nacht für Nacht steht Herr K. unter dem Himmelszelt von B. und schaut hinauf in das schwarze Loch mit den vielen weißen Punkten. Er weiss, dass es eine Ordnung in diesem Raum gibt und er sie nur zu lesen lernen muss. "Der Mond steht heute wieder anders", spricht er leise zu sich selbst, "anders, als ihn P. beschreibt"... ...eine erste Notiz seiner Beobachtungen des Sternes Aldebaran im Stier, erregt die Wissenschaft... | |
09.04.1917 | Lenin |
Der offen versiegelte Waggon | |
...Herrn P. macht die Sangeslustigkeit der mitreisenden Kameraden etwas Sorge. Ein paar konnten sich nicht bezähmen und sangen die Marseillaise, Carmagnole und andere französische Lieder, unberücksichtigt der beiden Begleitoffiziere. P. fordert, den Gesang einzustellen... ...Am 9. verlässt Herr L. mit seinen Getreuen in einem nicht wirklich verplombten Waggon, Zürich. Ein diplomatischer Schachzug, von dem sich die Deutschen größtmögliches Chaos in Russland erhoffen und die Revolutionäre die Freiheit der Welt... | |
09.05.1894 | Deutschbündlers |
Urdeutscher Homer | |
...drei Jahrzehnte schon bemüht sich Herr S., den Namen Homer ins Deutsche zu transformieren. Geleitet vom Auftrag, die Welt in ihren Ursprüngen zu germanisieren, wagt S., mit Herrn H. auf dem Rücken den Sprung nach Germania. Er hebt ab vom uralten Somêros, gleitet hinüber ins Mittelhochdeutsche zu Sagemäre und katapultiert sich weiter hinauf in die bayrisch-östereichische Mundart. Dort endlich entdeckt er So'ma, den Märchenkünder. Herr S. ist am Ziel und setzt Herrn H. vorsichtig in Walhalla ab... ...am 5. gründet Herr Friedrich Lang in Berlin den Deutschbund. Es ist ihm und seinen Mitstreitern heilige Pflicht, die Wiege der Menschheit zu arisieren... | |
09.11.1759 | Caspar Wolff |
Ein Epigenesist wird nach Petersburg gemobbt | |
...Es gibt kein Werden ! Kein Theil im Thierkörper ist vor dem anderen gemacht worden, und alle sind zugleich erschaffen... Albrecht von Haller, Präformist ...Ein halbes Jahrhundert wird die "Theoria generationis" ignoriert und mit wortgewaltigem Eifer bekämpft. Herr W. denkt voraus und entschlüsselt die Entwicklung des Embryos. Die Alles-Leben-kommt-aus-einem-Ei-Theorie findet der Zar in Russland stimmig und holt W. nach Petersburg... | |
10.10.1873 | Robert Koch |
Tuberkelkuh | |
...Herr K. ist wieder auf dem Land. Die frische Herbstluft tut ihm gut. Herr K. ist Sammler und voller Elan. Gerade heute hat ihn sein Lieblingsbauer wieder auf die Weide gerufen, um ihm eine weitere seltsam verunstaltete Kuh für seine Sammlung anzubieten. K. weiss: das, was er sucht, ist winzig klein. Und was er sammeln will versteckt sich... | |
11.02.1889 | Japan auf den Schultern Preußens |
...Begegnung mit Orten transzendenter Weisheit, denen ein schwerer Hauch preußischer Bürokratie anhaftet... ...Am 11. führt Japan nach preußischem Vorbild die Verfassung ein. - Im Gedenken an Herrn H. und Herrn K. -... | |
11.11.1619 | Rene Descartes |
Das Licht einer wunderbaren Einsicht | |
...ein mächtiger Sturm treibt Herrn D. voran und lässt ihn heftig und schmerzhaft gegen ein Tor prallen. Er erkennt die Mauern von La Fleche, das Kolleg seiner Jugend und macht sich bereit zum Gebet. Ohne seinen Hut zu ziehen, begegnet D. einen Bekannten und will auf der Stelle umkehren, nur der Sturm, der hindert ihn. Sein Name wird gerufen und eine Bitte wird gestellt... falls er zu Monsieur N. gehen will, solle D. ihm eine Melone übergeben. So kämpf der Träumende gegen den Sturm durch eine Landschaft in Aspik... .... Seltsam seine Seele ruht in Gelee während Ihm der Sturm zu Leibe rückt ... | |
12.06.1411 | Pest |
Herr H. hat in Gemeinschaft nackt getanzt | |
...Herr H. ist Adamit, will sagen, Herr H. tanzt oft wie Adam ihn geschaffen, nackt. Herr H. ist Anführer einer Nackttanzgruppe, will sagen, Herr H. tanzt in Gemeinschaft nackt. H. ist verhext, sagt das Gericht. In dieser Zeit benehmen sich alle wohl etwas sonderlich... ..Am 12., in den Tagen einer besonders wütenden Pestattacke, wird Herr Willem von Hilldernissen der Ketzerei angeklagt. Trotzdem tanzt die Pest weiter... | |
12.10.1956 | Werner Forßmann |
Tief ans Herz | |
...Ungewöhnliche Dinge kommen in Krankenhäusern mit der Negerpost schnell herum. Halb verschlafen und mit zerzaustem Haar stürzte Herr R. herein, um mich von meinen Dummheiten abzuhalten. Er war so rabiat, dass er versuchen wollte mir den Katheder herauszuziehen. Ich musste ihn erst mit ein paar Fußtritten gegen das Schienbein beruhigen... aus: ....Am Abend rief im Hause des Herrn F. eine Dame aus B. mit fremdländischem Tonfall an und flüstert Frau F. etwas vom Nobelpreis ins Ohr... | |
13.07.1870 | Emser Depesche |
Wer macht die Realität ? | |
...der Genius schafft nicht aus dem Nichts, aber er denkt eine neue Wirklichkeit, die vor ihm niemand sah, die nicht existierte. Die vorhandene Wirklichkeit, mit der der Realist rechnet, befindet sich immer schon in Agonie. | |
13.08.1819 | Friedrich Ludwig Jahn |
Körperstahl für den Kampf gegen Frankreich | |
...Herr K., im Kopfstand, wird gehalten von vier getreuen Seelen. Im Geiste ihres Turnervaters üben die fünf den aufrechten Gang. Eigentlich ganz schön... ...Herr J. ist inhaftiert. Herr J. hat viel zu viele Turner angeworben und kollektiv versaut, sagen die Herren von der Polizei. Herr J. hält trotz dieser Enge seinen Körper fit. Das hilft ihm, wach im Geist zu bleiben. Denn eines Tages, dass weiß er, wird er wieder mal gebraucht, dann wird er wieder Wege weisen... | |
13.08.1961 | Mauer |
Überraschungsangriff als Mauerbau | |
..."Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich hauptsächlich mit Wohnungsbau", antwortet Herr U. auf die Frage von Herrn D., "und ihre Arbeitskraft wird voll eingesetzt. Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten !"... | |
14.03.1929 | Konrad Wachsmann |
Herr W. und die schnellsten Holzhäuser der Welt | |
...der Geburtstag von Herrn E. wurde lieber im Stillen gefeiert. Die Familie verließ die Stadt und war für niemanden, auch nicht für Herrn W., zu sprechen. Herr W hatte Tage an seinem Geschenk modelliert, einem Holzhaus, und nun war der berühmte Wissenschaftler unerreichbar... ...Frau E. hätte sich lieber ein Haus aus Stein gewünscht, denn sie vertraute nicht der flüchtigen Materie... ...am 14. März, dem Geburtstag Einsteins, schenkte die Stadt Berlin ihrem berühmten Bürger ein Haus am See, auf dem Papier. Alle Zeitungen berichteten darüber und so las auch Herr W., der Architekt des schnellen Bauens, von dieser Großzügigkeit. Die Enttäuschung war ihm anzusehen, wollte er doch E. beschenken. Aber so leicht gab er nicht auf... | |
14.04.0972 | Adelheid Theophanu |
Einzug der "Ottonin" in Köln | |
...Bunt kostümiert soll sie sein, sagt man, umgeben von tausend Exoten, sagt man. Nun, es Zeit. Das Tor von K. öffnet sich und die junge Kaiserin betritt die Stadt. Ein Raunen geht durch die Menge. In leuchtend grellen Farben, an offenen Mündern vorbei, marschiert der lange Tross. Die goldenen Reiter der Garde rufen dem Publikum fremde Worte zu. Helou oder ellau vielleicht auch Halau, mehr ist nicht zu verstehen... ...am 14. heiratet Kaiser Otto der Zweite Frau T, eine junge Byzantinerin,.... | |
14.08.1881 | Friedrich Nietzsche |
Wanderung jenseits von Mensch und Zeit | |
...Du bist da, Meister, endlich bist du wiedergekommen, da die Not am größten ist. ...Herr N. begegnet, 6000 Fuss jenseits von Mensch und Zeit, seinem und der Menschheit neuem Herrn." Ich ging an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Wälder; bei einem mächtigen pyramidal aufgetürmten Block machte ich Halt ... Da kam mir dieser Gedanke ... eine plötzliche und im Tiefsten entscheidende Veränderung meines Geschmacks ... | |
14.10.1806 | Ernst Chladni |
der Vater der Akustik hört 150 km entfernten Kanonendonner | |
...Herr C. wundert sich... ist doch heute der Himmel über W. klar. Bis zum Horizont gibt es keine Anzeichen eines Wetterumschwungs. Trotzdem: er vernimmt ein zitterndes Donnern. C. richtet das Ohr nach Süd, Südwest und versucht sich über die Zone des Schweigens hinweg auf den Rhythmus des Grollens zu konzentrieren. "Kanonendonner" flüstert er sich zu... ...am Nächsten Tag vernimmt C. den Sieg der Franzosen vom Vortag bei Jena. 150 Kilometer entfernt donnerten Kanonen bis in die Stuben Wittenbergs. Herr C. macht sich Notizen... | |
14.11.1940 | ENIGMA |
Alan Turing entschlüsselt das Rätsel des Krieges | |
...Endlich enträtselte Herr T. den kriegsentscheidenden Enigma-Code. Nun hört Britannien was deutsche Krieger sagen. So wissen sie von Coventrys geplanter Bombardierung und müssen dennoch schweigen.... | |
15.05.1514 | Herr von Brandenburg |
Ablasshandel des Papstes | |
...Der Papst in Rom hat Großes vor. Ein Haus will er bauen. Ein Haus für P. in dem der Heilige aufrecht stehen kann. Doch das wird teuer. Der Glauben allein versetzt keinen Stein, dass weiß auch der Papst. Und so borgt er sich Geld von einem Freund aus Mainz. Der ist kulant und hat nur einen kleinen Wunsch... ...Herr B. erhält das verbriefte Recht, für acht Jahre Ablass zu handeln in deutschen Landen... | |
15.05.1625 | Adam Graf von Herberstorff |
das Frankenburger Würfelspiel | |
...und so hob Herr F. den Würfelbecher, schüttelte behutsam den Inhalt und ließ die Kuben fallen... - ..."dass wars dann wohl", meinte Herr F. enttäuscht über sein Würfelglück. "Strafe muss sein", meinte Herr H. und ließ F. an der Linde aufknüpfen... ..."nicht um der Gerechtigkeit willen, sondern, da Strafe sein muss", sagte Herr H., "muss hart durchgegriffen werden. Ich will nicht entscheiden, wer von den 6000 an Turm oder Baum hängen soll", sagte H. zu seinen Soldaten, "lasst sie um ihr Leben würfeln. Der Pöbel muss am eigenen Leib spüren, wer im Land das Sagen hat"... ... 36, selektiert aus 6000 Anwesenden, würfelten am 15. auf dem Haushamer Feld bei Frankenburg um ihr Leben. Zu vorlaut hatte die Gemeinschaft ihr Missfallen dem Landesvater gegenüber ausgedrückt... | |
15.10.1454 | Johannes Gutenberg |
Herr Piccolomini entdeckt in F. den Bibelstand des Herrn G. | |
...habe einen erstaunlichen Mann getroffen, der verschiedene Lagen einer Bibel in sauberer und höchst korrekter Schrift vorgelegt hat... | |
16.03.1944 | Joseph Beuys |
Heldenfriedhof | |
... und als sie da im Blech am Kramen waren , das über mir... lag, und dass sie mich gefunden haben und so um mich rum standen und dass ich dann gesagt habe: woda, also Wasser sollte man - und dann hat's mir ausgesetzt... | |
16.06.1953 | Fritz Selbmann |
"Tischgespräch" mit dem Volk | |
...nichts da mit Weltrevolution auf meine Kosten, meint Maurer W. vom Block 40. "Fast Euch doch selber an die Nase und bringt Bewegung in den Apparat, ihr Bonzen" schreit irgendeiner aus der Menge. "Normen sind gut, aber nicht wenn der Magen leer ist" ruft das ganze sozialistische Kollektiv Herrn S. zu. Der steht verlassen von der Führung, auf einem Tisch, inmitten einer negativ gestimmten Masse... ...am 16. sollte die Diktatur des Proletariats den Sozialistischen Kollektiv Rede und Antwort stehen. Zu klären war die Sache mit der Norm und deren Regel... | |
16.09.1941 | Werner Heisenberg oder Niels Bohr |
Wer baut die erste A-Bombe ? | |
...früh fragte der Schüler von W. seinen Lehrer H. nach dem Ziel ihrer Arbeit. Seit kurzem hatten sie einen Trumpf in der Hand, der den Krieg schnell entscheiden könnte. Die Forschungen kamen gut voran und wenn das Gemetzel lang genug dauerte, müsste der Einsatz der A. den Kampf gewinnen. Und vielleicht würde der F. nach dem Sieg ein größeres Verständnis für die Belange der Wissenschaft in D. haben. Aber diese Gedanken ließen in dem Schüler eine Übelkeit aufkommen. Der Schüler bittet seinen Lehrer um ein Treffen mit B. in K., B. ist wissend und könnte Antwort auf des Schülers Unbehagen geben... ...beide Wissenschaftler sind bei diesem Treffen voll von Emotionen. H. ist voller Pläne, denen B. nicht folgen kann. Im Gesicht von B. liest H. den Zweifel. Und B. weiß wirklich nicht, was H. ihm sagen will... ...B. schreibt einen Brief an H., weil ihm das Treffen in K. sehr beschäftigt. Er findet keine so rechte Formulierung für seine Bedenken und letztendlich kann er sich nicht entschließen das Schreiben abzusenden... | |
17.03.1905 | Mileva Einstein |
die Brücke zur Entdeckung der Relativitätstheorie | |
...Frau E. ist klug, gebildet und kreativ. Sie löst die mathematischen Probleme ihres Mannes, schreibt Gedichte und malt modern. Für sie ist Zeit ein relativer Begriff. Als ihr Mann eines Tages hochgelobt wird, für eine Idee, die ihr nicht neu ist, schweigt sie. Sie weiß ja, dass beide eins sind... ...Wie glücklich und stolz werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit an der Relativitätstheorie siegreich zu Ende geführt haben... - ...schreibt sie am 17. ihrem Mann Albert... | |
18.01.1934 | Schäfers Tibet |
Reise zu den Wurzeln Germanias | |
...Tibet nimmt für die stammesgeschichtliche Entwicklung vieler Lebewesen eine außerordentlich wichtige Stellung ein. Hier durch kausalanalytische Betrachtungsweise Klarheit zu schaffen, ist ein Leben wert... "Plane für die Akademie of Natural Sciences Philadelphia ganz große Tibetexpedition. Machst Du mit ?" Telegramm vom 18.01.1934 von Brooke Dolan aus: Ernst Schäfer "Unbekanntes Tibet" Verlag von Paul Parey Berlin, 1933 | |
18.03.1848 | Adolph von Menzel |
Herr M. malt sich etwas von der Seele | |
...Herr M. ist klein, aber nicht zu übersehen. Herr M. steht auf einer Leiter und lässt seine Blicke über Menschenmassen schweifen. Schnell skizziert er Särge und den Marsch von Trauernden. Zu Hause angekommen, spürt M, dass das was er nun malt, nicht höflich höfig aussehen wird. Nie wird das Bild in Königs Nähe hängen, noch wird es je der Adel hochgelobt bestaunen. ...Vor dem Berliner Schlosse aus: Ludwig Pfau, "Zum 18. März 1848" | |
18.06.1821 | Carl Maria von Weber |
Die satanische, immer treffende Freikugel | |
...Hoffnung ist in der Stadt. Der König ist zurück aus dem Exil und lässt die Herzen höher schlagen. Anlässe, eine Oper von Herrn W. aufzuführen, gibt es genug. Eine urdeutsche Geschichte hat er bebildert. Bilder aus den Tiefen des Waldes, der heidnischen Urkraft, neblig, gewittrig, gewürzt mit Liebe, Tod und Teufel. Ein Kugelgewitter am Ende und süße Stimmen, welche Jungfernkränze binden. Alle werden Herrn W. loben, er schmeckt den Geschmack der Zeit, sagt man... ...W. steht auf der Bühne und probt eine kleine Verbeugung vor einem imaginären Publikum. Im hinteren Bereich der Bühne wird noch gebaut. Es riecht nach Mörtel und Kalk. Er ist aufgeregt. Aufgeregt, wie man aufgeregt ist vor einer Geburt... | |
18.06.1896 | Halberstadter Dosenwurst |
40 000 Würstchen für den Kyffhäuser | |
...Zur Einweihung des Kyffhäuser sollten Menschenmassen strömen. Große Zeiten brauchen Riesen, Riesen, die in Mengen essen wollen... sagt man dem Fleischfabrikanten H.... und er liefert, was keiner wagte, zu denken: 40 000 Dosenwürste... | |
18.07.1126 | Norbert von Xanten |
Vom Blitz gesegnet marschiert X. barfuss in M. ein | |
...Barfuss und in einfache Gewänder gehüllt, betrat X. vor Jahren die Stadt M. ...18., Einmarsch in M.... | |
18.07.1750 | Johann Sebastian Bach |
Der erblindete Herr B. berechnet den goldenen Schnitt der Fuge und wird für einen kurzen Moment wieder sehend | |
...Herr B. leidet maßlos. Nach einem Schlaganfall kann er kaum noch sehen. Aber noch umgibt ihn keine Stille. Er hört das leichte Summen in der Luft und sein Wille ist stark genug, die Klänge in Form zu gießen... ...am 18., kurz vor seinem Tod, wird Herr B. wie durch ein Wunder wieder sehend. Im Licht ergreift er schnell die Feder und schreibt... | |
19.06.1814 | Anton Friedrich Justus Thibau contra Friedrich Karl von Savigny |
über das Recht, das sich aus dem Volksgeist entwickelt | |
...sehen wir doch auf das Glück der Bürger, dass ein solch einfaches Gesetzbuch für ganz Deutschland die schönste Gabe des Himmels genannt zu werden verdiente. Schon die bloße Einheit wäre unschätzbar. Wenn auch eine politische Trennung stattfinden muss und soll, so sind doch die Deutschen hoch dabei interessiert, dass ein brüderlicher gleicher Sinn sie ewig verbinde und dass nie wieder eine fremde Macht den einen Teil Deutschland gegen den anderen missbrauche... ...Herr T. ist von seiner Idee beseelt, was wäre wenn alles Recht, das der Franzosen, Preußen, Sachsen, Österreicher, Dänen, und das gemeine römische Recht, das Jütisch Low, der Sachsenspiegel und viele Normen mehr, in einem Werk vereint, die deutsche Seele bindeten ?... ...Herr. T. startet einen Aufruf und sucht die Öffentlichkeit. Was gut ist setzt sich durch, meint Herr T. Nur im fernen Berlin ist Herr S. anderer Meinung... | |
19.10.1988 | Foto Anonymus |
Observation von Herrn 33 | |
...die Zuführung des Übersiedlungsersuchenden, lt. Bilddisposition Nr. 33, gegen 12.07 Uhr (siehe Bericht vom 19.10.1988)... | |
20.05.1634 | Hans Jakob Grimmelshausen |
Brandschatzung einer Geburtsstadt | |
...Da es taget, füttert ich mich wieder mit Weizen, begab mich zum nächsten auf Gelnhausen, und fand daselbst die Tor offen, welche zum Teil verbrennt, und jedoch noch halber mit Mist verschanzt waren: Ich ging hinein, konnte aber keines lebendigen Menschen gewahr werden, hingegen lagen die Gassen hin und her mit Toten überstreut, deren etliche ganz, etliche aber bis aufs Hemd ausgezogen waren. Dieser jämmerliche Anblick war mir ein erschreckliches Spektakul, maßen sich jedermann selbsten wohl einbilden kann, meine Einfalt konnte nicht ersinnen, was für ein Unglück den Ort in einen solchen Stand gesetzt haben müsste... | |
21.05.1945 | Bergen-Belsen |
Britische Truppen bestatten in einem feierlichen Akt die letzte Baracke | |
...Es ist Frühling im KZ. ...In einer feierlichen Zeremonie wird am 21. Mai die letzte typhusverseuchte Baracke des Lagers mit einem Feuerwerfer in Brand geschossen und zerstört... | |
21.10.1616 | Johannes Kepler |
Das Hexenopfer | |
...Herr K. schrieb einen Mondroman, so plastisch und detailverliebt, dass niemand wusste ist es Wahrheit oder Fiction. Er selbst verkörperte die Wissenschaft mit Namen Duracotus. Das Böse, die Unwissenheit, war die Mutter der Wissenschaft in Gestalt von Fiolxhilde. Ein wunderschönes Bilderspiel nur jeder dachte es sei wahr, die Mutter fliegt wohl öfter so und trifft im Mond die Hexen... ...am 21.Oktober wird Katharina, die Mutter von Herrn K., als Hexe der Prozess gemacht. Sie kommt frei, verbittet sich aber jemals wieder in den Schriften ihres Sohnes erwähnt zu werden... | |
22.03.1982 | Gottfried Wilhelm Leibniz |
Die Demontages des letzten Universalgelehrten durch die Firma L. | |
...Herr L. demontiert die Büste des Herrn L.. Zu oft schon vandalierte die Jugend im Tempelrund des steingewordenen Geistes. Des Denkmals Kern entschwand, und übrig blieb eine Bühne für einsame Musikanten, die die Akustik der gewölbten Deckenkonstruktion zu schätzen wissen... ...Herr Peter Leichsenring von der P. Leichsenring GmbH demontiert die HASS-beschmierte Büste des Herrn L. und sichert sie bis auf weiteres in seinem Depot... | |
22.06.1793 | Wilhelm Heinrich Wackenroder |
Nürnberger Einmarsch des Herrn W. und die Auferstehung Dürers | |
...Aber jetzt wandelt mein trauernder Geist auf der geweihten Stätte vor deinen Mauern, Nürnberg; auf dem Gottesacker, wo die Gebeine Albrecht Dürers ruhen, der einst die Zierde von Deutschland, ja von Europa war. Sie ruhen, von wenigen besucht, unter zahllosen Gebeinen, deren jeder mit einem ehernen Bildwerk, als dem Gepräge der alten Kunst, bezeichnet ist und zwischen denen sich hohe Sonnenblumen in Menge erheben, welche den Gottesacker zu einem lieblichen Garten machen. So ruhen die vergessenen Gebeine unsers alten Albrecht Dürers, um dessentwillen es mir lieb ist, dass ich ein Deutscher bin.... | |
22.10.1884 | Helene Druscowicz |
Irrenhausschrift über das Männliche | |
...Frau D. ist von N. begeistert. Gemeinsam philosophieren sie auf langen Spaziergängen. Herr N. meint dass D. ein edles und rechtschaffenes Geschöpf sei, welches seiner Philosophie keinen Schaden thut. Jahre später kehrt sich jedoch das Verhältnis ins Gegenteil. Das männliche Gehabe von N. wird unerträglich, und Frau D. beginnt, das Frauliche mit Feuer und Glanz auszustatten... ...hierzu kommt die wahrhaft viehische Lust des männlichen Geschlechts an Sport, Vergnügungen und Spielen aller Art. Demnach unterliegt die Einrichtung des Mannes derart der philosophischen Kritik, dass das blödeste Tier sein moralischer Führer sein könnte... | |
22.10.1931 | Adolf Butenandt |
Isolation des weiblichen Sexualhormons | |
...Herr B. misst den Kamm des Kapaunen. 20 Prozent Größenwachstum, seit er dem jung kastrierten Hahn die Injektion verabreicht hatte. Schön wie der zur Nutzlosigkeit degradierte Signalgeber angeschwollen ist. B. pumpt weiter Testosteron in den Hahnenleib. Und weiter schwillt der Kamm... ...Herr B. läst 15 000 Liter Männerharn verdampfen und extrahiert Androsteron. Das lässt er am 22. die Welt wissen... | |
23.06.1990 | Mathias Baader Holst |
Flucht aus der Zeit am Vorabend einer Währungsunion | |
...Und so Enden die Märchen: Niemand Lacht. Niemand flüchtet. Ein Nachwort von Peter Wawerzinek im Juli 1990 ...zwischen bunt und bestialisch du eine frau eine dieser männer sieg heil! Dein roter mund wir zerstören uns/unsre jugend feiernd halten wir uns wach aus: BAADER Holst "koitusbonzen ZWISCHEN BUNT UND BESTIALISCH", Maas Verlag Berlin 1992 | |
24.05.1780 | Georg Lichtenberg |
Erstes Gartenhäuschen mit Blitzableiter | |
..."wieso entladet sich der göttliche Zorn gerade über Kirchtürmen ?", fragt Herr B. den Gelehrten Herr L. "Wir läuten und läuten vor und während jeden Gewitters um Gott zu besänftigen, aber er hält Gericht über uns wie über jeden anderen. 103 Personen sind schon dabei gestorben"... ...am 24. montiert Herr L. in seinem Gartenhäuschen eine "Ketzerstange" und fängt den Zorn Gottes... | |
24.05.1944 | Friedl Dicker-Brandeis Monogramme in Kombination, als Wiederherstellung kindlicher Identität |
...viele der 5000 Kinderzeichnungen aus Theresienstadt tragen auffällige Monogramme. Wiederholungen der Namen in verschiedenen graphischen Kombinationen. Sie sind signiert in Blumensprache, gemalt als Brücken zur verlorenen Kindheit... ...Erika Taussig signierte am 24. ihre Arbeit mit SINAI. Am 16.10.1944 wurde sie vergast. Zwölf Tage vor ihrem zehnten Geburtstag... | |
24.12.1829 | Heinrich Schliemann |
Vater, Troja lebt ! | |
...Es ist Weihnachtsabend, der Bub ist aufgeregt vom Anblick Trojas in der geschenkten Weltgeschichte ..."Vater", ruft er, "du hast dich geirrt ! Jerrer muss Troja gesehen haben, er hätte es ja sonst hier nicht abbilden können"... - ..."Mein Sohn", antwortete der Vater, "das ist ein Märchen, das hat sich Jerrer ausgedacht"... | |
25.05.1865 | Moritz Schreber |
Die absolute Ordnung der Strafe im Garten der Lüste | |
...Kommt, kommt und laßt uns unsern Kindern leben ! Kleiner Jubiläumsreim | |
26.04.1937 | Guernica |
...Ich hatte mich aber bei Guernica wohl etwas rüpelhaft benommen... - ...Herr R. bombt ein Exempel... ...die Kamera-Augen der Welt lauern. Es ist Frühjahr 2003. Im Foyer der Uno warten Journalisten und Fotografen auf Herrn P., B., oder sonst jemand, der etwas über Krieg oder Frieden im Irak zu sagen hat. Im Hintergrund der Mikrofone schweigt verhangen im dezenten Uno-Blau die Kopie von Picassos Guernica und wartet darauf, dass sie wieder mahnen darf... | |
26.05.1828 | Kaspar Hauser kehrt zurück |
...Herr H. existiert in seiner Zeit nicht wirklich, er ist das Phänomen des Unberührbaren, das der Unschuld, dem die Gesellschaft vollkommen stumpf und hilflos gegenübersteht, das sie nicht zu fassen vermag. Sie nimmt ihn in Anspruch als "Pfand" und macht ihn zum Werkzeug ihrer Prinzipien. Es ist der Beginn des Zeitalters der Verdrängung des Geheimnisses vom Tod, seiner Löschung durch Simulation. Aber wie unter die Haut gebrannt tragen wir die Wunden Hausers in uns... ...Später, viel später, kehren Tausende Hausers nach Nürnberg zurück... | |
26.07.1824 | San Leopoldo |
Anlandung der deutschen Kulturwalze | |
...Dein Land ist reich - und unendlich dankbar, aber es braucht Tatmenschen, aus: Ernst H. Rothe "Die Kulturwalze" Brasilianische Erlebnisse, August Scherl Verlag, 1928 ...Landung Hunsrücker Bürger am Ufer des Glockenflusses, dem heutigen Ort San Leopoldo. Die unmittelbar nach der Ankunft der Deutschen beginnende Landaufteilung wurde rücksichtslos mit Waffengewalt gegen die Eingeborenen vollzogen. In schnurgeraden Linien durchzogen gerodete Wege das besetzte Land. Links und rechts der Wege wurde die Erde und alles was auf ihr lebt, als Beute und zum Abschuss freigegeben... | |
26.08.1824 | Heinrich Marx ehem. Herr Hirsch Mordechei |
Familiärer Religionswechsel | |
...Herr Mordechei ist gewissenhaft. Seine Arbeit führt er zur Zufriedenheit seiner Kunden und seiner Vorgesetzten korrekt aus. Nur seine Herkunft scheint ihm ein berufliches Hindernis zu sein. M. ist nicht wirklich gläubig, wie sein Name es vermuten lässt. Und um hier einiges zu klären verkürzt er seinen -und die Namen seiner Kinder- in Marx... ...am 26. wird Karl, der Sohn von Herrn M., Christ. Ein Christ, wie er im Buche steht... | |
26.08.1856 | Neandertal |
Alessandro und Luigi verhindern beinah die Wiedergeburt des ersten Europäers | |
...er hebelte diesen nun mit der Spitzhacke aus dem festen Lehm heraus, ohne dass er jedoch zerbrach. Herr A. und Herr L. beachteten die Knochen nicht weiter und warfen sie mit dem Lehm in das Tal hinunter.... | |
27.03.1188 | Barbarossa |
Schwur auf den III. Kreuzzug | |
...als unser Kaiser F. der Erste, genannt der Rotbärtige, beim Bade ertrank, entmutigte uns das. Wir kehrten heim. Hatte uns doch Gott zu verstehen gegeben, dass unsere Kreuzfahrt nicht seinen Segen hatte... | |
27.06.1755 | Jakob Hermann Obereit |
Herr O. findet das Nibelungenlied im Zettelkasten von Hohenems | |
...es ist eine Sprache von Stein und die Verse sind gleichsam gereimte Quadern. Hie und da, aus den Spalten, quellen rote Blumen hervor, wie Blutstropfen, oder zieht sich der lange Efeu herunter, wie grüne Tränen... Heinrich Heine | |
27.11.1095 | Kreuzzug |
Gott will es | |
..."Deus lo volt", riefen dem Pabst immer wieder eifrige Zuhörer zu. Herr U., der Zweite, tobte vor Erregung. Und das Volk tobte zurück. Ein Wallen und Tosen entfachten die blutrünstig bebilderten Worte des obersten Christen. Rettet J. vor den Fängen des Bösen - befreit Jerusalem - Gott will es... | |
28.04.1857 | Wagnerwesendonck - Tristanisolde |
Ein Sehnsuchtsakkord | |
...Die Musik ist ein Weib, röhrt Herr W. brunftig... ...Soll ich schlurfen, untertauchen ? Isolde singt im Liebestod ...Am 28. bezieht Herr W. sein Asyl und erliegt dem Sog von Frau W.... | |
29.03.1796 | Carl Friedrich Gauß |
Herr G. zeichnet ein 17-Eck mit Zirkel und Lineal | |
...ehe der junge Herr G. aus dem Bett aufsteht, entdeckt er, dass die Konstruktion des regelmäßigen 17-Eck mit Zirkel und Lineal möglich ist, wenn p gleich zwei hoch zwei m plus eins ist. Das geht so leicht von der Hand, dass in ihm der innige Wunsch entsteht, die Magie der Zahlen zu studieren... ...erst spät, viele Jahre nach dem Tod von G. entdeckt sein Enkel ein kleines Buch. Der erste Eintrag vom 29. beginnt mit den Worten ...ehe ich aus dem Bett aufgestanden war... | |
29.08.1940 | Exil |
Walter Benjamin und Siegfried Kracauer, ein Grenztreffen | |
...Es ist Mittag. Im Hafen von Marseille gibt es an diesem Tag nur ein Thema unter den Exilanten. Raus und weg, weit weg. Herr B. und Herr K. sitzen bei einer Tasse Kaffe und haben die gleichen Pläne. "Was wird wohl aus uns werden", fragt Herr B. über den Tisch hinweg zu K. "Wir werden uns alle hier umbringen müssen" meinte dieser... ...Herr B. nimmt sich das Leben und Herr K. hat Glück. Er landet mit der letzten freien Passage im Exil... | |
29.10.1772 | Johann Wolfgang Goethe |
Herr J. verübt Selbstmord und Herr G. ist animiert | |
...Ausgelitten hast du - ausgerungen, L. bei Ws'. Grab Carl Ernst von Reitzenstein dichtet mitten in das Werther - Fieber hinein ein Klagelied, welches zur nächtlichen Feierstunde an Jerusalems vermeintlichem Grab in Wetzlar gesungen wurde ...Karl Wilhelm Jerusalem liebte unerwidert Frau H.. Gegen 1 Uhr richtete er die Waffe über dem rechten Auge an die Stirn... - gegen 12 Uhr starb er. Abends 22.45 Uhr wurde er auf dem gewöhnlichen Friedhof begraben - kein Geistlicher begleitete ihn... | |
30.01.1945 | Wilhelm Gustloff |
Beschuss und Untergang eines Flüchtlingsschiff | |
...im kriegerischen Leidvergleich müssen Zahlen schweigen. Ob 6000 Tote auf der einen Seite oder 10000 auf der anderen Seite, das Leid in Zahlen zu markieren, entzieht sich der Kraft unserer Vorstellung. Und dennoch ist die Geschichte der Wilhelm Gustloff und ihr Untergang eines der Ereignisse im Zweiten Weltkrieg, welches hinter der Statistik lebt... | |
30.03.1769 | Immanuel Kant |
Die schöne S. katapultiert Herrn K. in seine eigene Welt zurück | |
...K. hatte nichts unversucht gelassen, der schönen S. seine Liebe zu gestehen. Wenn nicht sie, dann keine. Als die schöne S. seinen besten Freund G. heiratet, bricht für K. eine innere und äußere Welt zusammen. K. leidet fortan unter Verstopfung und versucht, die Symptome seiner Krankheit wissenschaftlich zu erfassen. Er weiß, nur Ordnung in den geistigen Dingen kann sein Leben retten... ...an diesem Tag beginnen die Neurosen des Herrn K.. Ab heute kehrt er in sich und vertraut nur noch den Leistungen seines Geistes... | |
30.05.1968 | Karl Marx |
Umbenennung als politische Markierung | |
...Oben links, auf dem Bild, versucht Herr D. die Umbenennung zu entfernen. Rechts der Mann schaut nur betroffen drein... ...aber da gibt es eine hohe, weißgestrichene Gartenmauer, die Schreit förmlich nach einem Spruch. Wir schreiben was drauf, das macht alles klar: Macht kaputt, was euch kaputt macht. Macht kaputt, was euch kaputt macht, wiederholte Ullrich langsam, mit steigender Wut betonend... Genau, sagte er, das ist es. ALSO LOS... aus: Uwe Timm: "Heißer Sommer" Kiepenheuer & Witsch 1985 ...30. Mai 1968 von Goethe zu Marx unter die Talaren... | |
30.06.1940 | Warnemünde |
Erinnerungswelle | |
...Frau K. nimmt Abschied vom Meer. Sie blickt hinaus zum wasserumspülten Horizont. Gerade setzt eine besonders schöne Welle zur Landung an. Sie hebt die Kamera und betätigt den Auslöser. "Nur zur Erinnerung", meint sie besinnlich flüsternd zu sich selbst... |
Aus der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages