Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Gesundheits- und Sozialrechtsexperten plädieren dafür, doppelte Beitragszahlungen zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge möglichst zu verhindern. Anlässlich einer Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Dr. Edgar Franke (SPD) am Mittwoch, 27. Januar 2016, gaben Sachverständige zu Bedenken, dass die sogenannte Doppelverbeitragung für die Stärkung des Drei-Säulen-Modells von gesetzlicher, privater und betrieblicher Altersvorsorge nicht hilfreich sei. Anlass für die Anhörung war ein Antrag der Fraktion Die Linke mit der Forderung, die doppelte Beitragszahlung auf Direktversicherungen und Versorgungsbezüge zu beenden.
In ihrem Antrag (18/6364) schreiben die Abgeordneten, seit einer gesetzlichen Änderung 2004 (GKV-Modernisierungsgesetz) unterlägen die aus einer Direktversicherung als Kapitallebensversicherung erbrachten Versorgungsbezüge der vollen Beitragspflicht in der GKV, die von den Rentnern allein zu tragen sei. Die Beiträge fielen oft auch dann an, wenn zuvor auf die erbrachten Versicherungsbeiträge schon GKV-Beiträge abgeführt worden seien. Im Ergebnis müssten Millionen von Versicherungsnehmern auf ihre Lebens- oder Rentenversicherungen doppelte Krankenversicherungsbeiträge zahlen. Die Betroffenen fühlten sich zurecht betrogen.
Versorgungsbezüge sind zum Beispiel die Renten aus einer betrieblichen Altersversorgung oder aus Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen für bestimmte Berufsgruppen.
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) wies in seiner Stellungnahme auf das ,,beitragsrechtliche Sonderopfer" hin, das von Rentnern mit Versorgungsbezügen verlangt werde. Hier gebe es ,,lange überfälligen gesetzgeberischen Korrekturbedarf". Das grundlegende Problem seien nicht die Doppelverbeitragung der Direktversicherungen und Versorgungsbezüge, sondern die Beitragshöhe und die Frage, wer den Beitrag trägt. Bei der gesetzlichen Rente übernehme die Rentenversicherung die Hälfte des allgemeinen GKV-Beitragssatzes. Eine solche Entlastung gebe es bei den Versorgungsbezügen nicht.
Bis 2004 hätten die Rentner nur die Hälfte des Beitragssatzes zahlen müssen, seither jedoch den vollen Satz. Dieses ,,Sonderopfer" werde auch nicht durch die Beitragsfreiheit bis zu vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der Ansparphase der Versicherung ausgeglichen. Arbeitnehmer können bis zu vier Prozent vom Bruttoeinkommen durch Entgeltumwandlung etwa in eine Direktversicherung einzahlen, ohne darauf Sozialabgaben entrichten zu müssen.
Nach Ansicht des Sozialverbandes kann der jetzige Missstand durch die Rückkehr zur hälftigen Beitragspflicht aus den Versorgungsbezügen beseitigt werden. Der Verband stellte zugleich fest, dass es ,,grundsätzlich kein Verbot der sogenannten Doppelverbeitragung gibt" und merkte an, dass im Falle eines solchen Verbots ,,auch die gesetzliche Rente konsequenterweise in der Leistungsphase von der Verbeitragung freigestellt werden" müsste.
Der Arbeitgeberverband BDA hält die Forderung der Linken ebenfalls für richtig und folgerte: ,,Daher sollten tatsächlich vorliegende Fälle von Doppelverbeitragungen, insbesondere im Rahmen der Riesterförderung bei betrieblicher Altersvorsorge, beseitigt werden. So würden derzeit ,,bei Inanspruchnahme der Riesterförderung innerhalb der betrieblichen Altersvorsorge sowohl die Beiträge als auch die späteren Leistungen mit Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen belastet".
Bei Direktversicherungsverträgen und Pensionskassenzusagen, die vor dem Jahresende 2004 begonnen hätten, könne es auch zu einer Doppelverbeitragung kommen, jedoch dürfte dies ,,eher ausnahmsweise als regelmäßig der Fall sein". Belastbare Daten, wie viele Verträge von einer doppelten Beitragspflicht betroffen sind, erklärte der Arbeitgeberverband, fehlten allerdings. Eine gesetzliche Korrektur dürfte zudem angesichts der großen Zeiträume, um die es gehe, schwierig werden. Auf dieses Problem machten auch andere Experten aufmerksam.
Nach Angaben des GKV-Spitzenverbandes sind Doppelverbeitragungen bei Versorgungsbezügen selten. Sie könnten zwar nicht ausgeschlossen werden, seien aber ,,atypisch" und angesichts der geringen Menge ,,eher zu vernachlässigen".
Zu Doppelverbeitragungen könne es kommen, ,,wenn Arbeitnehmer über den maximalen Entgeltumwandlungsbetrag hinaus den Aufbau einer kapitalgedeckten betrieblichen Altersversorgung betreiben". In der ,,klassischen" Konstellation sei dies ausgeschlossen. Würde eine Doppelverbeitragung gesetzlich ausgeschlossen, wäre damit ein nicht unerheblicher zusätzlicher Verwaltungsaufwand verbunden, warnte der Spitzenverband.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sprach sich ,,gegen jede Doppelverbeitragung" aus, weil damit die notwendige Altersvorsorge unattraktiver werde. Der DGB sieht zwar gesetzgeberischen Handlungsbedarf, was Direktversicherungen und Pensionskassen betrifft, die Lösung des Problems dürfte aber ,,mit erheblichen Schwierigkeiten" verbunden sein, auch weil die nötigen Daten fehlten.
Nach Ansicht des DGB sollte zur alten Regelung von vor 2004 mit der hälftigen Beitragspflicht zurückgekehrt werden, weil durch die Verbeitragung mit dem vollen Beitragssatz die Rentner übermäßig belastet würden. Dem schlossen sich mehrere andere Experten in ihren Stellungnahmen an.
Mehrere Sachverständige machten auf die Ungleichbehandlung bei privat fortgeführten Direktversicherungen und Leistungen aus Pensionskassen aufmerksam. Während bei den Direktversicherungen nur jener Anteil mit Beiträgen belegt sei, der auf die Beitragszahlung im Beschäftigungsverhältnis zurückgehe, würden bei fortgeführten Pensionskassenverträgen immer Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung fällig. Dieser formalistisch begründete Unterschied sei nicht nachvollziehbar.
In der Anhörung sprachen Experten von einem komplexen System mit vielen unterschiedlichen Fallkonstellationen, das hinsichtlich der Sozialbeiträge inkonsistent und intransparent geregelt sei. Die unterschiedlichen Regelungen seien den Beitragszahlern und Rentnern schwer vermittelbar. Zahlreiche Rentner verfolgten die einstündige öffentliche Anhörung im Bundestag von den Zuschauertribünen aus. Zwischendurch kam es aus den Zuschauerreihen zu lautstarken Unmutsäußerungen. (pk/27.01.2016)