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Dass es in Deutschland gerade in Ballungszentren wie Berlin, München und Hamburg, aber auch in vielen Universitätsstädten an bezahlbarem Wohnraum mangelt, ist zwischen Opposition und Koalition im Bundestag im Grundsatz unumstritten. Wie darauf aber wohnungsmarktpolitisch reagiert werden soll, sorgt für Streit. Am Donnerstag, 14. April 2016, warben sowohl Linke als auch Grüne vehement für einen Wiedereinstieg in die Wohngemeinnützigkeit. Beide Fraktionen hatten dazu jeweils einen Antrag (18/7415, 18/8081) eingereicht, die beide in erster Lesung beraten wurden.
Gemeinwohlorientierte Wohnungsbauunternehmen sollen dabei langfristig gebundene Wohnungen gerade für Menschen mit niedrigem Einkommen schaffen. Die Miete soll dabei stark gedeckelt werden. Im Gegenzug werden die Unternehmen dabei unter anderem steuerlich privilegiert. Das alte Wohngemeinnützigkeitsrecht war Ende der 1980er-Jahre abgeschafft worden. Bei der Koalition stießen die Vorschläge auf eine von Skepsis begleitete Offenheit (SPD) bis hin zur offenen Ablehnung (CDU/CSU). Koalitionsredner verwiesen zudem auf die von ihnen bereits vorangebrachten wohnungsmarktpolitischen Maßnahmen.
Heidrun Bluhm (Die Linke) rief nach „jahrzehntelanger wohnungspolitischer Agonie“ zu einem Neustart im Interesse jener auf, die „verzweifelt“ nach bezahlbaren Wohnungen suchen. Die „uneingeschränkte Marktwirtschaft“ habe zu einer „krisenhaften Situation“ geführt. Es brauche daher eine gemeinnützige Wohnungswirtschaft als „Korrektiv“, sagte Bluhm.
Im Unterschied zur alten Gemeinnützigkeit müsse die Sozialbindung aber auf Dauer angelegt sein, damit öffentliche Gelder nicht später doch in private Taschen wanderten. Das koste zwar zunächst Geld, aber durch Einsparungen beim Wohngeld und anderen Transferleistungen sei von einer „betriebs- und volkswirtschaftlichen Win-win-Situation“ auszugehen. Die eingeplanten Gelder für den sozialen Wohnungsbau und die Städtebauförderung könnten als Anschubfinanzierung dienen, sagte Bluhm.
Britta Haßelmann (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete die Probleme auf dem Wohnungsmarkt als „neue soziale Frage“. Die Regierung „negiere die Realität und Faktenlage“, wenn sie denke, dass sie sich wohnungsmarktpolitisch auf einem guten Weg befinde.
Haßelmann verwies darauf, dass es bundesweit nur noch 1,5 Millionen Sozialwohnungen gebe und jährlich 60.000 aus der Sozialbindung fielen. Dabei müssten 100.000 zusätzliche Sozialwohnungen pro Jahr entstehen. Deswegen müsse neben den bewährten Instrumenten auch neu über die alte Idee der Wohngemeinnützigkeit nachgedacht werden. Wohngemeinnützigkeit könne dabei nachhaltig ausgestaltet werden, da bei den aktuell genutzten Instrumenten vor allem die „kurze Sozialbindung“ ein Problem sei, sagte Haßelmann.
Florian Pronold (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbauministerium, stellte ebenfalls ein „Marktversagen“ fest, das ohne staatliche Intervention nicht gelöst werden könne. Allerdings habe die Bundesregierung beispielsweise mit der Erhöhung des Wohngeldes und der Möglichkeit zur vergünstigten Abgabe von bundeseigenen Liegenschaften für den sozialen Wohnungsbau gezeigt, dass sie das Thema ernst nehme.
Über die Stärkung eines nicht profitorientierten Wohnungssektors könne zwar nachgedacht werden, es müsse aber zunächst grundsätzlich geklärt werden, dass der Bund überhaupt Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich erhalte. Nach aktueller Lage könne der Bund nach 2019 nicht mal mehr den sozialen Wohnungsbau fördern, warnte Pronold. Bis dahin fließen noch im Zuge der Föderalismusreform vereinbarte Kompensationszahlungen des Bundes an die Länder. Ähnlich äußerte sich auch Klaus Mindrup (SPD). Er warb für eine Grundgesetzänderung.
Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) betonte, dass der Wohnungsmarkt „im Großen und Ganzen“ funktioniere, er reagiere auf Angebot und Nachfrage. Auch in Berlin finde man eine bezahlbare Wohnung. Wer in Berlin-Mitte wohnen wolle, müsse aber mehr bezahlen. Mit den Anträgen der Linken und Grünen werde Angst verbreitet. Es handle sich um „Panikmache“, sagte Jörrißen. Sie sprach sich gegen eine „Verstaatlichung des Wohnungsmarktes“ aus. „Sozialistische Wohnungswirtschaft“ helfe weder stark nachgefragten Städten noch strukturschwachen Gemeinden.
Die Christdemokratin verwies auf die bereits in Angriff genommenen wohnungsmarktpolitischen Vorhaben der Koalition. In Zukunft müsse auch das Wohneigentum wieder gestärkt werden, etwa durch eine Anpassung der Einkommensgrenze bei der Wohnbauprämie. Auch die Senkung der Baukosten müsse ein Ziel sein. „Die Weichen sind gestellt, und wir sind auf einem richtigen Weg“, sagte Jörrißen.
Der Antrag der Linken (18/7415) ist im Vergleich zum Grünen-Antrag umfassender und sieht unter anderem auch eine Neugestaltung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern bei der sozialen Wohnraumförderung vor. Durch ein neues Wohngemeinnützigkeitsgesetz will Die Linke eine „privilegierte Förderung“ für ein neues Unternehmensmodell, das „gemeinwohlverpflichtete Wohnungsunternehmen“, festschreiben.
Die Wohnungsbestände sollen der Gemeinnützigkeit unterworfen werden, die Rendite für Investoren soll sehr stark begrenzt werden. So soll die Miete etwa durch ein Kostenmietprinzip gedeckelt werden. Die neuen Wohnungsunternehmen sollen zudem einer Bedarfsdeckungs- und einer Bau- und Modernisierungspflicht unterliegen. Auch die Zielgruppe soll durch Einkommensgrenzen klar bestimmt werden. Den Mietern sollen umfassende Mitbestimmungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Dafür sollen diese Unternehmen teils exklusiven, teils privilegierten Zugang zu staatlichen Förderungen bekommen. Auch erhebliche Steuervergünstigungen sind vorgesehen.
Der Antrag der Grünen (18/8081) sieht sowohl ein Sofort- als auch ein Dauerprogramm zur Wohnraumförderung vor. Im Rahmen des Sofortprogrammes sollen Kosten für Neubauten und Umwandlungen von Wohnungen steuerlich absetzbar sein. Im Gegenzug dazu sollen die Wohnungen dauerhaft in eine Sozialbindung fallen. Je nach Zielgruppe, die Grünen orientieren sich dabei am Wohnraumförderungsgesetz, variiert die Höhe der steuerlichen Absetzbarkeit. Das Dauerprogramm soll wie bei den Linken auf der Grundlage eines neuen Wohngemeinnützigkeitsgesetzes basieren.
Für die Einbringungen von Wohnungsbeständen in die Gemeinnützigkeit soll im Gegenzug, je nach Zielgruppe der Wohnungen, gegebenenfalls ganz auf die Erhebung von Grunderwerbs-, Gewerbe- und Körperschaftsteuer verzichtet werden. Der Grünen-Antrag sieht ebenfalls ein Kostenmietprinzip, die Kappung der Gewinnausschüttung, eine Instandhaltungspflicht sowie Mitbestimmungs- und Kontrollmöglichkeiten vor. Zudem soll die Förderung nur auf Gebiete mit problematischen Wohnungsmärkten angewandt werden. Auch die Vielfalt der Anbieter soll sichergestellt werden. (scr/14.04.2016)