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Erinnerung an die Opfer der Reaktorkatastrophen


Fünf Jahre nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima und 30 Jahre nach dem GAU im ukrainischen Tschernobyl haben die Abgeordneten des Deutschen Bundestages der Opfer gedacht und sich zu einem atomkraftfreien Europa bekannt.

In der Debatte am Freitag, 29. April 2016, wurden Anträge der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD (18/8239) und von Bündnis 90/Die Grünen (18/8242) erstmals beraten. Drei Anträge der Grünen (18/5211, 18/7656, 18/7668) und ein Antrag der Fraktion Die Linke (18/7875) wurden damit den Stimmen der Koalition gegen die Opposition abgelehnt. Die Parlamentarier folgten damit Beschlussempfehlungen des Wirtschaftsausschusses (18/8262) und des Umweltausschusses (18/8266).

Ministerin: Deutscher Atomausstieg soll Schule machen

Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks (SPD) schilderte eindringlich ihre Erfahrungen aus einem Besuch in Tschernobyl. In der früheren „Musterstadt“ herrsche heute eine „gespenstische Atmosphäre“. Für zwei Milliarden Euro, die aus insgesamt 45 Ländern kämen, werde aktuell eine neue Schutzhülle für den Reaktor gebaut. Auch diese werde voraussichtlich nur 100 Jahre lang halten und man müsse darauf hoffen, dass es bis dahin bessere Technologien gebe. Die Atomkraft, so Hendricks, sei so gefährlich und unbeherrschbar, dass Menschen den Risiken, die von ihr ausgingen, nicht ausgesetzt werden dürften.

Hendricks bedauerte in ihrer Rede, dass die belgische Regierung ihrer Bitte, Blöcke in den Atomkraftwerken Tihange und Doel vorerst vom Netz zu nehmen, nicht nachgekommen sei. Sie kündigte an, die Bundesregierung werde sich mit aller Kraft für ein hohes Sicherheitsniveau in Europa und weltweit einsetzen. Der deutsche Atomausstieg solle hoffentlich Schule machen, man werde den Weg „entschlossen weitergehen“.

SPD: Europa ohne Atom

Für die SPD dankte Oliver Kaczmarek den vielen freiwilligen Helfern, die sich um die Opfer von Tschernobyl und Fukushima kümmerten. Es sei ein „Zeichen der Solidarität“ für sie, dass der Bundestag diese Debatte führe. Er plädierte für ein „Europa ohne Atom“.

Marco Bülow (SPD) sagte, Deutschland müsse seine Möglichkeiten nutzen, Nachbarländer davon zu überzeugen, veraltete und unsichere Reaktoren abzuschalten. Er forderte die Umweltministerin auf, ihr Engagement dahingehend fortzusetzen.

CDU/CSU: Forschung bleibt wichtig

Die Unionsfraktionen wollen bei aller Entschlossenheit, mit der Deutschland den Ausstieg betreibe, weiterhin auf Forschung setzen. Um auch beim Rückbau die höchsten Standards einhalten zu können, so Steffen Kanitz (CDU/CSU), müsse die deutsche Kompetenz erhalten bleiben. Man müsse bei jungen Menschen für das „Zukunftsfeld Rückbau“ werben. Zudem brauche es eine „Offenheit gegenüber neuen Technologien“ und eine „Freiheit im Denken“. Es sei keine Option, den Euratom-Vertrag zu kündigen, denn damit leiste Deutschland einen Beitrag für höchste Sicherheitsstandards und büße sonst wichtige Mitspracherechte ein.

Er sei zuversichtlich, dass im Jahr 2016 die offenen Fragen zur Finanzierung des Ausstiegs beantwortet und der „letzte Meilenstein“ in Sachen Endlagersuche bewältigt werden könne.
Der Opposition warf Kanitz vor, Ängste zu schüren und betonte, dass viele der Schreckensmeldungen bezüglich deutscher Atomkraftwerke schlicht erfunden oder deutlich übertrieben dargestellt worden seien.

Sein Fraktionskollege Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) plädierte dafür, eine Technologie „nicht zu dämonisieren“. „Panikmache“ und „deutsche Angst“ würden bei den Verhandlungen mit internationalen Partnern nicht helfen.

Grüne: Regierung nicht glaubwürdig

Die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl reagierte darauf deutlich: Kanitz’ „beständiges“ Herunterspielen der Risiken sei „deutlich unangemessener“; sie wünsche sich daher auch „im Hohen Haus“ eine Erinnerungskultur an Fukushima und Tschernobyl. Die Folgeauswirkungen der Kernkraft seien zu massiv, als dass die Nutzung der Kernkraft akzeptabel sei.

Dass aktuell aber mit deutschen Steuergeldern Forschungen finanziert würden, die letztlich bei der Anwendung zu einem Wiedereinstieg in atomare Technologien führen würden und man es damit für akzeptabel hielte, dass andere Länder Risiken eingingen, die in Deutschland nicht zumutbar seien, sei „nicht glaubwürdig“.

Linke: Ablasshandel statt Verursacherprinzip

Für Die Linke warf Hubertus Zdebel der Bundesregierung vor, sie halte sich „eine Tür“ für den Wiedereinstieg in die internationale Atomenergie offen. Wer einen konsequenten Ausstieg wolle, der müsse auch „endlich die Uranfabriken Gronau und Lingen“ schließen.

Zdebel kritisierte, die Atomkommission offeriere den Konzernen gerade „ein fettes Geschenk“: Bei den Kosten zum Atomausstieg werde so „das Verursacherprinzip in einen Ablasshandel umgewandelt“. (ski/29.04.2016)