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Knapp zwei Monate nach Abschluss des EU-Türkei-Abkommens zur Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage hat die Linksfraktion am Donnerstag, 12. Mai 2016, in einer von ihr beantragten Aktuellen Stunde die Beendigung der Kooperation gefordert. Die Vereinbarung sei ein „dreckiger Deal“ und müsse gestoppt werden, urteilte Jan Korte. Der türkische Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sei „nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems“ in der Flüchtlingskrise und trage selbst zu neuen Fluchtbewegungen bei.
Der Linke-Abgeordnete berief sich auf Berichte von Nichtregierungsorganisationen über „rechtswidrige Massenabschiebungen“ von Flüchtlingen aus der Türkei nach Syrien. Außerdem wies er auf die zahlreichen in der Türkei inhaftierten Blogger und Journalisten und Erdoğans Vorgehen gegen die Kurden im eigenen Land hin. Gegen diese Menschenrechtsverstöße müsse die Bundesregierung klar Stellung beziehen. Zur Debatte über die Visafreiheit für die Türkei, die türkischen Staatsbürgern im Zuge des Abkommens gewährt werden soll, sagte Korte, die Linke wolle Visafreiheit „für jedermann“. Sie dürfe aber nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge zur „Verhandlungsmasse in diesem Poker“ gemacht werden.
Kortes Fraktionskollegin Sevim Dağdelen verwies auf die Aussagen des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesinnenminister, Ole Schröder, am Mittwoch im Innenausschuss. Ihm zufolge sei die Zahl der Asylanträge von Türken „exorbitant gestiegen“. 90 Prozent dieser Asylbewerber seien Kurden. „Wenn die Bundesregierung ihre Politik gegenüber der AKP-Regierung von Erdoğan nicht ändert, werden Hunderttausende Kurden gezwungen sein, in Deutschland Schutz zu suchen“, warnte Dağdelen.
Ähnlich kritisch stehen die Grünen dem Abkommen gegenüber. Claudia Roth warf der Bundesregierung vor, zu wenig Kritik zu üben angesichts der Angriffe auf die kurdische Zivilbevölkerung und den Umgang des türkischen Regimes mit der Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit. Dabei dürfe es keine Rabatte bei den Menschenrechten geben, betonte Roth. Sie hielt der Türkei vor, im Umgang mit den Flüchtlingen die Regeln der Genfer Flüchtlingskonventionen nicht einzuhalten. Dass sie Flüchtlinge nach Syrien und den Irak abschiebe und - Berichten von Human Rights Watch zufolge - an der syrisch-türkischen Grenze auf sie schießen lasse, „hat mit Flüchtlingsschutz überhaupt nichts mehr zu tun“.
Zugleich bezeichnete Roth es als „unzulässige Vermischung“, die „Visafreiheit als Belohnung für Erdoğan feilzubieten“. Denn dieses Thema habe mit der Flüchtlingsfrage nichts zu tun. „Die Visafreiheit für die Türkei ist längst überfällig“, konstatierte die Grünen-Politikerin. Es gebe gute Gründe, sie der Türkei nicht weiter zu verwehren. Unter der Visumspflicht litten in erster die Linie die vielen Gastarbeiter, „die inzwischen zu Bürgern unseres Landes geworden sind“.
Für die Unionsfraktion verteidigte Stephan Mayer das EU-Türkei-Abkommen. Es sei „viel besser als sein Ruf“ und ein „wichtiger Baustein im gesamten Instrumentenkasten“ zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Seien Mitte Februar noch rund 19.000 Flüchtlinge von der Türkei über das Mittelmeer gekommen, kämen jetzt nur noch wenige hundert.
Klar sei aber auch, stellte Mayer klar, dass Erdoğan „kein einfacher Verhandlungspartner und Zeitgenosse“ ist. „In der Türkei gibt es viele Vorkommnisse, die in höchstem Maße kritikwürdig sind.“ Das Regime verletze in „fundamentaler Weise elementare Menschenrechte“. Den Vorwurf, die Bundesregierung schweige dazu, wies er jedoch zurück.
Mayer machte deutlich, dass es bei den Bedingungen zur Einführung der Visafreiheit für türkische Staatsbürger „keine Rabatte“ geben dürfe. Die Türkei müsse die kommenden Wochen und Monate intensiv nutzen, um die noch bestehenden Defizite für eine Umsetzung zu beseitigen.
Uli Grötsch (SPD) betonte, wenn die Türkei ihre Antiterrorgesetze nicht ändere, könne ihr keine Visafreiheit gewährt werden. Er begrüßte in diesem Zusammenhang die klare Haltung des Europäischen Parlaments und seines Präsidenten Martin Schulz (SPD).
Die Visafreiheit sei jedoch kein Zugeständnis an die türkische Regierung, sagte Götsch, sondern „ein Signal an die Türkei als Ganzes, dass freies Reisen in beide Richtungen möglich sein soll und man sich auf Augenhöhe begegnet“. (joh/12.05.2016)