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Berlin: (hib/STO) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Bleiberechts sowie des Ausweisungs- und Abschiebungsrechts (18/4097) stößt bei Experten auf kontroverse Einschätzungen. Dies wurde am Montagnachmittag bei einer Sachverständigen-Anhörung des Innenausschusses deutlich. Die Vorlage soll einerseits die Rechtsstellung von Ausländern stärken, die auch ohne einen rechtmäßigen Aufenthalt „anerkennenswerte Integrationsleistungen erbracht haben“ oder schutzbedürftig sind. Andererseits zielt der Gesetzentwurf darauf ab, „verstärkt den Aufenthalt von Personen, denen unter keinem Gesichtspunkt ein Aufenthaltsrecht“ in Deutschland zusteht, zu beenden und ihre Ausreisepflicht gegebenenfalls auch zwangsweise durchzusetzen.
So soll eine alters- und stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung geschaffen werden, um durch die Erteilung eines gesicherten Aufenthaltsstatus „nachhaltige Integrationsleistungen“ zu honorieren, die ein geduldeter Ausländer auch ohne rechtmäßigen Aufenthalt erbracht hat. Auch soll die Möglichkeit erleichtert werden, gut integrierten jugendlichen oder heranwachsenden Geduldeten legalen Aufenthalt zu gewähren. Ferner soll für das deutsche „Resettlement-Programm“ zur Neuansiedlung von Schutzsuchenden nach dem Abschluss seiner Pilotphase eine eigenständige Rechtsgrundlage geschaffen werden. Zudem werde im Bereich des humanitären Aufenthaltsrechts „eine deutliche Verbesserung des Aufenthaltsrechts für die Opfer von Menschenhandel realisiert“, heißt es in der Vorlage. Darüber hinaus werde die Rechtsstellung von subsidiär Geschützten und Resettlement-Flüchtlingen weiter an die von Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen angeglichen.
„Grundlegend neu geordnet“ werden soll mit dem Gesetzentwurf das Ausweisungsrecht. An die Stelle des bisherigen dreistufigen Ausweisungsrechts soll die Ausweisung „als Ergebnis einer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles durchgeführten Abwägung von Bleibe- und Ausweisungsinteressen“ treten. Die „Abwägung auf Tatbestandsseite“ sei gerichtlich voll überprüfbar und führe mithin schneller zu Rechtssicherheit. Verschiedene Rechtsänderungen sollen daneben den „Vollzug aufenthaltsrechtlicher Entscheidungen bei Ausländern“ verbessern, „denen unter keinem Gesichtspunkt ein Aufenthaltsrecht zusteht“. Dazu gehört eine Anpassung der Regelung zur Identitätsklärung an die technischen Entwicklungen, indem „unter engen Voraussetzungen die Möglichkeit geschaffen wird, Datenträger eines Ausländers auszulesen. Vorgesehen ist laut Vorlage zudem die Neuregelung eines sogenannten Ausreisegewahrsams von wenigen Tagen anstelle der „Kleinen Sicherungshaft“, wenn der Termin der Abschiebung konkret bevorsteht.
Heiko Habbe vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland betonte, vor drei Jahren hätten sich in Deutschland gleichzeitig etwa 500 Menschen in Abschiebehaft befunden, während es Anfang vergangener Woche etwa 50 gewesen seien. Trotz dieses Rückganges sei die Zahl der Abschiebungen so hoch wie seit 2006 nicht mehr. „Statistisch kann ich also nicht erkennen, dass wir mehr Haft brauchen würden“, sagte Habbe. Daher wundere er sich, dass man über einen Gesetzentwurf debattiere, „der die Ausweitung der Haft zum Thema hat“. Diese Ausweitung würde die Zahl der Gefangenen etwa verfünffachen, wenn die Vorlage Gesetz werden sollte. Habbe warb darüber, über Alternativen zur Haft nachzudenken, zumal diese „Unsummen“ koste. Der Abschiebegewahrsam sei „europarechtswidrig und verfassungsrechtlich mindestens bedenklich“.
Stephan Beichel-Benedetti, Richter am Amtsgericht Heidelberg, verwies in der Anhörung darauf, dass nach Angaben einer Richterin am Bundesgerichtshof (BGH) 85 bis 90 Prozent der Haftentscheidungen, die vor den BGH kommen, „rechtsfehlerhaft entschieden wurden“. Das bedeute, dass der Haftantrag im Zweifel nicht hätte gestellt werden dürfen und dass ein Richter am Amtsgericht und drei Richter am Landgericht „rechtlich falsch entschieden haben“. Dabei habe man bislang eine Ermächtigungsgrundlage, die einem Richter gestattet, Haft anzuordnen. Wenn der Gesetzentwurf tatsächlich Gesetz werde, habe man drei Ermächtigungsgrundlagen für die Abschiebungshaft.
Nele Allenberg vom Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland und der EU begrüßte unter anderem die geplante Rechtsgrundlage für Resettlement-Flüchtlinge. Zugleich plädierte sie mit Blick auf die Haftregelungen, einen Passus zu streichen, wonach ein Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr bestehe, wenn der Ausländer für seine unerlaubte Einreise erhebliche Geldbeträge für einen Schleuser aufgewandt hat. Da es für Schutzsuchende keine legale Einreisemöglichkeiten in die EU gebe und die See- und Landgrenzen genau gesichert seien, sei es für eine Person kaum möglich, europäischen Boden zu erreichen, ohne sich eines Schleusers zu bedienen. Die Regelung berge daher die Gefahr, dass künftig eine Vielzahl von Personen „potenziell inhaftiert werden könnte“.
Rechtsanwalt Tim Kliebe vom Deutschen Anwaltverein sagte, das Haftrecht sei an unterschiedlichen Stellen im Gesetz geregelt und damit unübersichtlicher. Auch gehe aus dem Entwurf nicht eindeutig genug hervor, dass das Vorliegen der Anhaltspunkte nicht ausreiche, um Haft anzuordnen. Zudem seien einige der Anhaltspunkte „objektiv ungeeignet, überhaupt eine Fluchtgefahr annehmen zu lassen“. Aus den Erfahrungen mit der bisherigen Rechtsprechung könne vorhergesagt werden, dass es zu einer „sehr hohen Anzahl rechtswidriger oder rechtsfehlerhafter Haftbeschlüsse“ kommen werde.
Der Leiter der Ausländerbehörde der Stadtverwaltung Trier, Dietmar Martini-Emden, bewertete die Reform des Ausweisungsrechts „mit der überwiegend an Tatbestandsvorausssetzungen anknüpfenden Abwägung von Bleibe- und Ausweisungsinteressen“ als gelungen. Martini-Emden kritisierte zugleich, das vorgesehene Konstrukt der stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung benachteilige „die Rechtstreuen und begünstigt die weniger Rechtstreuen und vorsätzlichen Rechtsbeuger“. In dieser Form sei diese Bleiberechtsregelung verfassungswidrig.
Der Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Engelhard Mazanke, sprach von einem „sehr guten Gesetz“, das die Arbeit der Ausländerbehörden erleichtern werde und zu mehr Verwaltungseffizienz führen werde. Die Reform des Ausweisungsrechts sei in erster Linie deshalb eine „gute Sache“, weil man künftig nur Ausweisungen haben werde, „die gerichtlich voll nachprüfbar sind“. Unter dem Strich werde das zu mehr Ausweisungen führen, aber die Verfahrensgerechtigkeit steigen. Mazanke begrüßte zugleich die Vorschriften zum Resettlement und die Besserstellung der Opfer von Menschenhandel.
Professor Daniel Thym von der Universität Konstanz sagte, die Warnung vor einer „massenhaften Inhaftierung“ infolge des Gesetzentwurfs sei „vermutlich realitätsfern“. Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeige, dass die Richter bei der Abschiebehaft „gewissenhaft handeln und genau hinschauen“. Auch führe die Erfüllung der in der Vorlage normierten Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr nicht automatisch zur Abschiebehaft. Vielmehr müssten diese Anhaltspunkte in eine „einzelfallbezogene Beurteilung über den begründeten Verdacht einer Fluchtgefahr münden“ und unterlägen dabei auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
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