Navigationspfad: Startseite > Presse > Pressemitteilungen > 2015
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 27. April 2015)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Die SPD dringt bei der geplanten Reform des Verfassungsschutzes auf Nachbesserungen am Gesetzentwurf der Bundesregierung. In einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ kritisierte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, dass der Regierungsentwurf Forderungen nach einer stärkeren parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste nicht hinreichend nachkommt. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wolle die SPD „ausdrücklich vorsehen, dass über den Einsatz von V-Leuten – Anzahl, Einsatzgebiete, Zweck, Erkenntnisgewinn – regelmäßig im Parlamentarischen Kontrollgremium berichtet wird“, kündigte Lischka an. Das wäre „zur Disziplinierung der Verfassungsschutzbehörden beim V-Leute-Einsatz“ nötig. „Denn wenn sie darüber regelmäßig berichten müssen, werden sie sich schon bei der Anwerbung der V-Leute auf das notwendige Maß beschränken“, argumentierte der SPD-Innenexperte, der selbst dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages angehört. Das Parlament berät am Freitag erstmals über den Regierungsentwurf zur Verfassungsschutzreform.
Zufrieden äußerte sich Lischka über die geplante Stärkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz als Zentralstelle im Verbund der Verfassungsschutzbehörden. Künftig sei es dem Bundesamt möglich, die Koordinierung der Informationsbeschaffung und deren Auswertung an sich zu ziehen und bei gewaltbereitem Extremismus auch eigene Maßnahmen zu ergreifen. „Hier halte ich den Entwurf für geglückt“, betonte Lischka.
Er schloss zugleich Klagen einzelner Bundesländer gegen die Neuregelung vor dem Bundesverfassungsgericht nicht aus. Eine ganze Reihe von Ländern sehe die Konkretisierung der Zentralstellenfunktion des Bundesamtes kritisch. Der Gesetzesentwurf sei jedoch mehrfach verfassungsrechtlich überprüft worden mit dem „klaren Ergebnis“, dass er im Bundesrat nicht zustimmungsbedürftig ist. „Die Länder vertreten eine andere Rechtsauffassung. Es bleibt abzuwarten, ob einzelne das vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen“, fügte der SPD-Parlamentarier hinzu.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Lischka, sind Sie zufrieden mit dem Gesetzentwurf zur Verfassungsschutzreform, der Vorschläge des NSU-Untersuchungsausschusses umsetzen soll?
Lischka: Nach dem NSU-Desaster hatten wir vor allem zwei Aufgaben. Die erste Aufgabe – für uns als SPD von zentraler Bedeutung – war, dass dem Bundesamt für Verfassungsschutz künftig eine stärkere Zentralstellenfunktion zukommt. Wir wissen heute, dass nur 20 Prozent der Informationen, die einzelnen Landesämtern für Verfassungsschutz seit 1998 über das NSU-Trio vorlagen, weitergegeben wurden. Dadurch konnte nirgendwo ein Gesamtbild über die Lage entstehen und das Bundesamt nicht seiner Koordinierungsfunktion nachkommen. Dagegen ist es dem Bundesamt künftig möglich, die Koordinierung der Informationsbeschaffung und deren Auswertung an sich zu ziehen und bei gewaltbereitem Extremismus auch eigene Maßnahmen zu ergreifen. Hier halte ich den Entwurf für geglückt.
Und die zweite Aufgabe?
Lischka: Der zweite Schwerpunkt liegt darin, dass erstmals eine gesetzliche Regelung für den Einsatz sogenannter V-Leuten geschaffen wird. Da ist der NSU-Untersuchungsausschuss auf wirklich sehr befremdliche Fälle gestoßen, etwa wenn jemand als V-Mann angeworben wurde, der gerade achteinhalb Jahre Haft wegen versuchten Mordes an einem Asylbewerber verbüßt hat, oder wenn ein V-Mann Geldbeträge bekommen hat, die das Gehalt eines Polizisten bei weitem übersteigen. Das alles konnte im Bereich der V-Leute vor allem deshalb aus dem Ruder laufen, weil das Ganze bisher in einer rechtlichen Grauzone erfolgte. Hier eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, war auch eine Forderung der SPD, die der Gesetzentwurf aufgreift.
Reichen die neuen Befugnisse des Bundesamtes, die Sie eben nannten, um wirklich als Zentralstelle zu fungieren?
Lischka: Natürlich muss das auch durch einen Mentalitätswechsel in den Verfassungsschutzbehörden flankiert werden. Die Untersuchungsausschüsse sind mit einem gravierenden Missstand bei den Verfassungsschutzbehörden konfrontiert worden: dass man sich eben nicht austauscht, Informationen nicht zugänglich macht, dass jeder vor sich hin werkelt, es ein Neben- und Gegeneinander gibt. Die gesetzlichen Änderungen müssen natürlich in der alltäglichen Arbeit umgesetzt werden, aber dazu kommt in dem Entwurf die klare Erwartung des Gesetzgebers deutlich zum Ausdruck.
Sind die Landesämter dann nur noch Außenstellen der Zentrale?
Lischka: Nein. Vorgesehen ist, dass das Bundesamt diese Maßnahmen insbesondere im Bereich des gewaltbereiten Extremismus bei länderübergreifenden Phänomen ergreifen kann, wo es aufgrund der vorliegenden Informationen klare Verantwortlichkeiten und eine klare Steuerung für erforderlich hält. Insofern wird sich das auf Einzelfälle beschränken, Aber diese Möglichkeit hat bisher offensichtlich gefehlt und auch deshalb ist es zu diesem Desaster im Zusammenhang mit dem NSU-Terror gekommen.
Laut Bundesregierung bedarf das Gesetz nicht der Zustimmung des Bundesrates. Aber Widerstand der Länder gibt es?
Lischka: Eine ganze Reihe von Ländern sieht die Konkretisierung der Zentralstellenfunktion des Bundesamtes kritisch. Sie möchten keine Situation, in der ohne ihr Einverständnis das Bundesamt selbst Maßnahmen ergreifen und die Informationsbeschaffung und -auswertung an sich ziehen kann. Wir haben den Gesetzesentwurf mehrfach verfassungsrechtlich überprüfen lassen mit dem klaren Ergebnis, dass er nicht zustimmungsbedürftig ist. Die Länder vertreten eine andere Rechtsauffassung. Es bleibt abzuwarten, ob einzelne das vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen. Ich sage aber auch deutlich: Für Behördenegoismen darf es nach dem NSU-Desaster keinen Platz mehr geben.
Für die Bundesdatenschutzbeauftragte Voßhoff stößt der Gesetzentwurf auf verfassungsrechtliche Bedenken. Sie kritisiert etwa, dass bisherige Schranken für die Datenverarbeitung in zentralen Dateien zu großen Teilen wegfielen.
Lischka: Ich glaube, dass hier doch erhebliche datenschutzrechtliche Vorkehrungen getroffen wurden für die Nutzung gemeinsamer Dateien. Abfragen sind nur möglich durch einen Mitarbeiter, der eine konkrete Aufgabe in einem bestimmten Phänomenbereich zugewiesen bekommen hat. Auch findet eine Vollprotokollierung jeder Abfrage statt. Diese Abfragen sind also lückenlos kontrollierbar. Man muss auch sehen, dass wir gerade im Zusammenhang mit dem NSU ein Informationsdesaster hatten und es teilweise Abfragen von einzelnen Landesämtern oder vom Bundesamt gab, die erst nach Monaten beantwortet wurden. Dass man nun gemeinsam unter strengen Regelungen auf eine Datei zurückgreifen kann, war auch eine Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses.
Für V-Leute gibt es auch neue Regeln...
Lischka: Zunächst einmal gibt der Gesetzentwurf vor, dass V-Leute nur in Bereichen zum Einsatz kommen dürfen, in denen es um gewaltbereiten Extremismus geht. Und es gibt klare Regelungen, wer angeworben werden darf oder was ein K.O.-Kriterium für eine Anwerbung ist, zum Beispiel eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Es gibt klare Regelungen, wann die Zusammenarbeit mit V-Leuten zu beenden ist und dass sie beispielsweise keinen steuernden Einfluss auf eine Gruppe haben dürfen. All das sind richtige Konsequenzen aus den NSU-Versagen. Denn dieser Skandal war auch ein V-Leute-Skandal.
Geregelt werden auch Verhaltenskriterien für V-Leute. Hitlergruß zeigen etwa soll erlaubt sein, Sachbeschädigungen nicht.
Lischka: Bei der Straffreiheit von V-Leuten handelt es sich um ein wirklich sensibles Thema. Wenn man aber V-Leute im Bereich des gewaltbereiten Extremismus einsetzen möchte, ist auch klar, dass sie sich nicht per se dadurch strafbar machen, dass sie etwa einer verbotenen Organisation angehören. Das betrifft auch szenetypische Straftaten wie den Hitlergruß. Der Gesetzentwurf zieht allerdings eine klare Linie, dass Straffreiheit nicht in Betracht kommt, wenn die Rechte Dritter betroffen sind, und allenfalls im Einzelfall bei kleinen Delikten eine Abwägung der Staatsanwaltschaft erfolgen kann zwischen dem Aufklärungsinteresse und dem Strafverfolgungsinteresse. Das kennen wir aber in anderen Bereichen bei kleineren Delikten auch.
Die Bundesregierung hält V-Leute für unverzichtbar. Thüringens Landesregierung hat dagegen V-Leute abgeschafft.
Lischka: Im Bereich des gewaltbereiten Extremismus/Terrorismus kommt man nicht daran vorbei, dass sich solche Gruppierungen abschotten konspirativ planen und mit anderen Maßnahmen nicht beobachten lassen. Da halte ich punktuell den Einsatz von V-Leuten für gerechtfertigt und notwendig, um in diesem sicherheitspolitisch sehr relevanten Bereich überhaupt an Informationen zu kommen.
Der Untersuchungsausschuss forderte auch mehr parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste. Kommt der Gesetzentwurf dem hinreichend nach?
Lischka: Nein, bisher nicht. Da wollen wir als SPD im weiteren Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich vorsehen, dass über den Einsatz von V-Leuten – Anzahl, Einsatzgebiete, Zweck, Erkenntnisgewinn – regelmäßig im Parlamentarischen Kontrollgremium berichtet wird. Ich bin optimistisch, dass dies gelingt. Das wäre nötig zur Disziplinierung der Verfassungsschutzbehörden beim V-Leute-Einsatz, denn wenn sie darüber regelmäßig berichten müssen, werden sie sich schon bei der Anwerbung der V-Leute auf das notwendige Maß beschränken.
Auch unterwegs aktuell informiert mit der kostenlosen App "Deutscher Bundestag" und unter m.bundestag.de.