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Nur mit lokaler Führung, mit einem „Compact for Growth“ und mit einer kritischen Verhandlungsstrategie gegenüber den politisch Verantwortlichen. Das sind die Kernaussagen der geladenen Sachverständigen auf die Frage „Wie geht es weiter auf dem Weg zum Frieden in Bosnien-Herzegowina?“, mit der sich der Unterausschuss Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln des Auswärtigen Ausschusses in seiner öffentlichen Sitzung am Montag, 2. Juni 2014 beschäftigt hat. Die Sitzung wurde vom stellvertretenden Vorsitzenden des Unterausschusses Michael Vietz (CDU/CSU) geleitet, der dieses Amt erst zu Beginn der Sitzung übertragen bekam.
Hans-Ulrich Südbeck, Vertreter des Auswärtigen Amtes und bei der Anhörung zuständig für den Bericht der Bundesregierung, stellte zu Beginn seiner Ausführungen klar, dass es sich bei Bosnien-Herzegowina um ein Land handele, in dem die Sicherheitslage ruhig und stabil sei. Gleichwohl verharre es in einem reformpolitischen Stillstand. Die Blockademöglichkeiten, die die geltende Verfassungslage den politischen Akteuren bieten würde, werden von diesen extensiv genutzt. Gleichwohl sei Bosnien-Herzegowina kein failed state und auch keineswegs auf dem Weg dorthin.
Im Februar dieses Jahres waren Massenproteste der Bevölkerung eskaliert. Es kam zu schweren Ausschreitungen, Regierungsgebäude wurden gestürmt und in Brand gesetzt. Die Unruhen seien ein Abbild der Unzufriedenheit, die die Menschen angesichts ihrer sozioökonomischen Situation empfänden, befand Außenamtsvertreter Südbeck. Er empfahl, bis zu den im Oktober 2014 anstehenden Wahlen den Fokus verstärkt auf die Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage zu legen.
Eine Diskussion über eine Verfassungsreform sei bis zu diesem Zeitpunkt für die langfristige demokratische Entwicklung nicht förderlich. Dies gelte gerade vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe, die die Region gerade heimgesucht habe. Diese Notlage habe aber auch gezeigt, dass unter den Bewohnern des Landes Solidarität und Zusammenhalt einen hohen Stellenwert hätten. Auf diese Werte sollten die politischen Verantwortlichen bei den nötigen Reformvorhaben bauen. Es gelte, sie an die Verantwortung ihren Bürgern gegenüber zu erinnern.
Im Hinblick auf wirtschaftliche Hilfen fordert die Bundesregierung nach den Angaben Südbecks eine zentrale Rolle der EU. Der „Compact for Growth“ – das Kernstück einer neuen Initiative der EU für Bosnien und Herzegowina, mit der bei der Erarbeitung und Umsetzung wirtschaftlicher Reformprogramme geholfen werden soll – sei diesbezüglich ein wesentlicher Baustein. Deutschland sei bereit, innerhalb dieser Initiative Verantwortung zu übernehmen, wie der Besuch von Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Sarajewo in der vergangenen Woche und die dort gemachten Hilfszusagen zeigen würden.
Nach Ansicht von Dr. Michael Rupp, Vertreter der Europäischen Kommission, Referat Bosnien-Herzegowina, stehe das Land aktuell vor drei Herausforderungen. Die aktuellste sei die Bewältigung der Flutkatastrophe. Hierfür werde man schnelle Hilfen der EU mobilisieren und habe dies teilweise auch schon getan. So seien Mittel aus dem IPA-Programm, das die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Bewerberländern, potenziellen Bewerberländern und EU Mitgliedstaaten unterstützt, bereits umgeschichtet worden. Vor der gezielten und umfassenden Mittelvergabe müsse aber erst eine verlässliche Schadensanalyse durchgeführt werden. Mit dem Abschluss dieser Analyse rechnet Rupp bis Mitte Juni.
Die zweite Herausforderung seien mittelfristig notwendige Wirtschaftsreformen. Bosnien-Herzegowina leide unter der zweithöchsten Arbeitslosigkeit und unter der höchsten Jugendarbeitslosigkeit in der Region. In der Korruptionsrangliste sei das Land ebenfalls ganz vorn dabei. Auch Dr. Rupp verwies auf den Compact for Growth, der das Land bei der Erarbeitung der Reformpläne maßgeblich unterstützen soll. Alle lokalen politischen Parteien sollten aufgefordert werden, die so erarbeiteten Reformpläne zu unterstützen. Als dritte große Herausforderung bezeichnete der EU-Kommissionsvertreter die Reform für die EU-Fähigkeit des Landes.
In der Gesamtschau wagte Dr. Rupp allerdings einen positiven Ausblick. Man könne sagen, dass schon schwierigere Herausforderungen gemeistert wurden.
In Teilen skeptischer äußerte sich der dritte vom Ausschuss geladene Sachverständige. Martin Michaelis vom Berlin Center for Integrative Mediation bewertete die Arbeit in Bosnien-Herzegowina als schwierig. Die politischen Eliten hätten kein Interesse an Reformen. Ihnen gehe es nur um Machterhalt und Funktion des bestehenden Systems. Besserung sei in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Daran würden auch die anstehenden Wahlen nichts ändern, da es aus seiner Sicht derzeit keine Alternativen zu den politischen Akteuren gebe.
Michaelis forderte daher die Unterstützung der Kräfte im Land, die sich für eine stärkere Mitbestimmung der Bürger einsetzen. Im Rahmen des wirtschaftlichen Aufbaus und der Förderung solle die EU nicht mit der aktuellen politischen Führung verhandeln, sondern mit eben jenen tatsächlichen Reformkräften. Dem Argument der Realpolitik wolle und könne sich auch er nicht verschließen, gleichwohl schade es nicht, dieses kritisch zu hinterfragen.
Der Abgeordnete Josip Juratovic (SPD) forderte die konsequente Vermittlung demokratischer Werte vor Ort. Im Land herrsche eine große Solidarität unter den Leuten. Das Problem liege demnach nicht beim Volk, sondern bei der politischen Führung.
Die an der Macht befindlichen Nationalisten hätten seit nunmehr 19 Jahren gezeigt, dass sie die Probleme des Landes nicht bewältigen können. Das müsse mit Blick auf die anstehenden Parlamentswahlen im Oktober zum Thema gemacht werden.
Die neben den Wirtschaftshilfen wichtige Frage nach einer neuen Verfassung für Bosnien-Herzegowina und damit nach einer Ablösung des Dayton-Abkommens beantworteten die Sachverständigen zurückhaltend. Dem Einwurf der Abgeordneten Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD), dass ein verfassungsgebender Prozess auch von außen angestoßen werden könne, begegnete Hans-Ulrich Südbeck mit großen Bedenken.
Aus seiner Sicht hat eine internationale Verfassungskonferenz derzeit keine Aussicht auf Erfolg, da insbesondere europäische und russische Interessen nur schwerlich in Einklang zu bringen seien. Der Kritik an den politischen Eliten begegneten sowohl Südbeck als auch Dr. Rupp mit dem Einwand, dass es sich um gewählte Vertreter des Volkes handele. Sie seien politisch legitimiert, und das dürfe man nicht ignorieren.
Abschließend verwies der SPD-Abgeordnete Juratovic darauf, dass dem Dayton-Abkommen ungeheuerliche Verbrechen wie beispielsweise das Massaker von Srebrenica vorausgingen. Er hoffe, dass es nicht weiterer Katastrophen dieser Art bedarf, bis Bosnien-Herzegowina eine demokratische Verfassung erhalte.(eb/03.06.2014)