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Noha Abdel-Rassoul war immer wieder aufs Neue erstaunt. „Es ist unglaublich, wie die Menschen mit solch widrigen Situationen, wie wir sie in Ägypten hatten, umgehen können“, sagt sie. Die 27-Jährige bezieht sich dabei auf die spannende aber teils auch chaotische Situation seit dem Arabischen Frühling 2011. „Auch in Phasen, als die staatliche Ordnung im Grunde zusammengebrochen war, haben die Menschen mit zivilgesellschaftlichem Engagement ihr Leben organisiert“, sagt sie. Und sich auch die gute Laune nicht verderben lassen. „Selbst zu den Zeiten der Notstandsgesetze sind die Leute auf die Straßen gegangen und haben Party gemacht“, erzählt Noha Abdel-Rassoul, die in den vergangenen vier Wochen am Programm für Arabische Staaten im Rahmen des Internationalen Parlamentsstipendiums (IPS) des Bundestages teilgenommen hat.
Dabei konnte die Ägypterin auch einiges über das föderale System in Deutschland erfahren. Was insofern wichtig ist, als das sich Noha Abdel-Rassoul für eine politische Dezentralisierung Ägyptens als Antwort auf die derzeitige Vernachlässigung einzelner Regionen einsetzt. „Es kann nicht alles in Kairo entschieden werden“, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin, die zu den jungen Leuten in ihrer Heimat gehört, die sich politisch engagieren und auf Veränderungen dringen.
Veränderungen positiver Art hat es ihrer Aussage nach in Ägypten im Vergleich zu der Mubarak-Zeit durchaus gegeben, auch wenn im Ausland oft von einem Scheitern des Arabischen Frühlings in ihrem Land die Rede ist. „Heute beschäftigen sich die Menschen viel mehr mit Politik, wogegen es früher ein Tabu war, darüber zu reden“, sagt sie. Kritik sei nicht möglich gewesen, Journalisten hätten so gut wie keine Freiheiten gehabt. „Außerdem gab es keine wirklichen Wahlen. Jetzt gehen die Menschen wählen und haben sich auch am Verfassungsreferendum beteiligt.“
Auch dass mit Abdel Fattah al-Sisi der ehemalige Militärchef zum Präsidenten gewählt wurde, „muss nicht unbedingt ein Schritt zurück in die alte Zeit bedeuten“, findet sie. Al-Sisi, der mit knapp 97 Prozent die Präsidentschaftswahl gewonnen hat, biete den Menschen die Hoffnung auf Stabilität und Sicherheit, sagt sie. „Es gibt bei uns nach den turbulenten Jahren eine große Sehnsucht danach.“
Dass es eben kein Schritt in die alte Zeit werden kann, sei auch dem Verfassungsreferendum geschuldet. „In der Verfassung gibt es Regelungen, die es früher nicht gab. So kann der Präsident maximal zweimal kandidieren. Auch kann das Parlament mit Zweidrittelmehrheit dem Präsidenten das Misstrauen aussprechen“, sagt Noha Abdel-Rassoul.
Dass der 2012 gewählte Präsident Mohammed Mursi vom Militär aus dem Amt gedrängt wurde, stößt auf Verständnis bei der Ägypterin. „Er war kein Präsident für das gesamte Volk, sondern nur für seine Gruppe.“ Zudem habe das Mitglied der Moslembruderschaft – ganz im Stile Mubaraks – die Massendemonstrationen gegen ihn ignoriert. „Mursi war weder bereit, früher als geplant neue Präsidentschaftswahlen stattfinden zu lassen noch ein Referendum über seine Politik zuzulassen."
Mit einem Präsidenten Al-Sisi kann Noha Abdel-Rassoul leben, auch wenn sie zu den drei Prozent gehört, die bei der Präsidentschaftswahl ihre Stimme dem linksgerichteten Gegenkandidaten Hamdin Sabahi gegeben haben. Schade findet sie es, dass es den ihr politisch nahestehenden Gruppen nun schon zum wiederholten Male nicht gelungen ist, einen gemeinsamen starken Kandidaten aufzustellen. „Da gab es auch viele bewusst gestreute Fehlinformationen über die eventuellen Chancen einzelner Kandidaten, die das Ganze dann scheitern ließen“, sagt sie.
An ihrem politischen und zivilgesellschaftlichen Engagement will die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin festhalten. „Ich setze mich für mehr Radwege ein – im Interesse der Umwelt – und auch der Stauvermeidung. Wir haben schließlich ein Energieproblem und ein Stauproblem noch dazu“, sagt die 27-Jährige, die am Goethe-Institut ihrer Heimatstadt Alexandria als Honorarkraft Deutschunterricht gibt.
„Das mache ich sehr gern, weil es mich mit der deutschen Sprache verbindet.“ Einer Sprache, mit der sie schon als Dreijährige im Buddelkasten in Kontakt kam. „Damals habe ich mit deutsch-ägyptischen Kindern gespielt und dabei auch die deutsche Sprache gehört, die mir sehr gefiel. Daraufhin habe ich meine Eltern gebeten, mich auf der deutschen Schule anzumelden.“
Trotz ihrer hervorragenden Deutschkenntnisse soll Ägypten ihr Lebensmittelpunkt bleiben, sagt Noha Abdel-Rassoul. „Ich möchte mich weiterbilden –- entweder im Bereich Außenpolitik oder im Medienbereich“, blickt sie in die Zukunft und fügt hinzu: „Es ist in Ägypten noch immer schwierig, als Journalist zu arbeiten. Man ist nicht komplett frei.“ Eine Arbeit in Deutschland will sie aber nicht vollständig ausschließen. Allerdings: „Es müsste etwas sein, das mit Ägypten zu tun hat und meinem Land hilft.“ (hau/29.09.2014)