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Ohne ganz klaren Frontverlauf und mit vielen grundsätzlichen medizinisch-ethischen Aspekten haben die Abgeordneten des Bundestages über einen Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Kostenübernahme bei künstlichen Befruchtungen beraten. Künftig sollten ,,neben verheirateten auch verpartnerte sowie nicht formalisierte Paare für Maßnahmen der homologen oder heterologen künstlichen Befruchtung einen gesetzlichen Anspruch auf partielle Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung" bekommen, heißt es im Gesetzentwurf (18/3279), der am Donnerstag, 18. Dezember 2014, eine lebhafte, kontroverse Debatte zur Folge hatte.
Bislang sieht das Gesetz vor, dass die Krankenkassen die Hälfte der Kosten erstatten dürfen, sofern die Paare verheiratet sind und eigene Ei- und Samenzellen (homologe Insemination) genutzt werden.
Die Grünen-Abgeordnete Katja Dörner wertete die gesetzliche Grundlage als "überholt und nicht zeitgemäß". Dass ein Trauschein als Voraussetzung für die Kostenübernahme angesehen werde, sei nicht nachvollziehbar. Es gebe zwar kein Recht auf ein Kind, aber ein Recht, nicht benachteiligt zu werden.
Das Ziel bestehe in gleichen Chancen auf Elternschaft für alle, zumal nicht belegt sei, dass nur die Ehe dem Kindeswohl diene. Immerhin würden Tausende Ehen jedes Jahr geschieden. Das Familienleben in Deutschland sei heute generell "bunt", die Vielfalt müsse sich auch in den Gesetzen wiederfinden.
Hubert Hüppe (CDU/CSU) entgegnete, die Zahl der entsprechenden medizinischen Behandlungen sei in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen bei einer drastisch rückläufigen Zahl von Frauen zwischen 25 und 40 Jahren, die laut Gesetz für eine Teilkostenübernahme infrage kommen. Zugleich halte sich der Erfolg des Verfahrens in Grenzen. So habe es 2013 mehr als 80.000 Behandlungszyklen gegeben, aber nur 10.000 Geburten. Gerichte hätten zudem bestätigt, dass die jetzige Regelung rechtens sei.
Für die Ehe spreche, dass die Partner gesetzlich dazu verpflichtet seien, füreinander Verantwortung zu tragen. Hüppe warf auch die grundsätzliche Frage auf, weshalb Partner in einem solchen Fall denn nicht heirateten, wenn doch der Kinderwunsch so enorm sei. Bei lesbischen Paaren stelle sich die Frage, ob es überhaupt eine nennenswerte Zahl von Fällen gebe, die von einer erweiterten Kostenübernahme profitieren würden. Hüppe sprach sich dafür aus, in dem Zusammenhang besser über familienrechtliche Probleme zu diskutieren.
Die Fraktion Die Linke schloss sich den Forderungen der Grünen im Wesentlichen an, ging aber noch einen Schritt weiter. Kathrin Vogler wies wie andere Redner darauf hin, welch enorme Belastung ein unerfüllter Kinderwunsch für Paare sein könne. Die künstliche Befruchtung sei für solche Paare oftmals die letzte Chance auf eigene Kinder.
Die Debatte über den Trauschein nannte Vogler "etwas aus der Zeit gefallen". Mit dem Gesetzentwurf solle eine Form von Diskriminierung beendet werden. Für die Kinder sei es egal, ob ihre Eltern verheiratet seien oder sie selbst in "Regenbogenfamilien" lebten. Der Union warf sie ein "steinzeitliches Familienbild" vor. Nach Ansicht der Linken sollten die Kassen die kompletten Kosten für eine künstliche Befruchtung übernehmen und nicht nur 50 Prozent oder freiwillig etwas mehr. Das sei eine Frage der Solidarität, sagte Vogler.
Die SPD-Abgeordnete Mechthild Rawert ging grundsätzlicher an das Thema heran und machte geltend, dass sich die rechtlichen Grundlagen in den Jahren kaum geändert hätten, dafür aber die gesellschaftlichen Erwartungen, wie und ob moderne Fortpflanzungstechnik angewendet werden solle und dürfe. Immerhin sei es heute auch möglich, Erbgut einfrieren zu lassen und später zur Reproduktion zu nutzen.
Der Kinderwunsch sei jedenfalls nicht an Geschlecht oder Trauschein gebunden, und die Politik sei dafür zuständig, dass es gerecht zugehe. Es bestehe politischer Handlungsbedarf, um die Fortpflanzungsmedizin verantwortungsvoll zu behandeln.
Katja Leikert (CDU/CSU) erinnerte wie andere Redner daran, dass unter der rot-grünen Regierung der Zuschuss auf 50 Prozent gesenkt worden sei. Nun kämen die Grünen kurz vor Weihnachten mit dem großen Wunschzettel.
Leikert forderte eine kritische Debatte über Chancen und Risiken der Reproduktionsmedizin und lehnte insbesondere Samenspenden von Dritten kategorisch ab. Die Tragweite dessen werde offenbar nicht verstanden. Die Frage nach dem biologischen Vater sei für Kinder tiefgreifend. Zudem müsse nicht alles, was medizinisch machbar sei, von der Gemeinschaft mitgetragen werden.
Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen) erwiderte, es gehe bei dem Gesetzentwurf im Kern um die Frage von Diskriminierung oder Gleichbehandlung, nicht um Leihmutterschaft oder Fremdsamenspenden.
Marcus Weinberg (CDU/CSU) befand, es gehe um Grundsatzfragen. Der Staat müsse verschiedenen Familienleitbildern gerecht werden, es gebe aber nur eine Form der Gemeinschaft, wo die Verantwortung eine gesetzliche Verpflichtung sei, nämlich die Ehe. Auch wenn die Gesellschaft sich ändere, sollte die Politik "nicht dem Zeitgeist hinterher laufen". Der Gesetzentwurf wurde zur weiteren Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. (pk/18.12.2014)