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Weil der Rechtsausschuss ihre Gesetzentwürfe zur gleichgeschlechtlichen Ehe vor sich her schiebt, haben die Oppositionsfraktionen zur Geschäftsordnung gegriffen. Am Donnerstag, 18. Februar 2016, gab es nun eine Debatte im Plenum. Bereits kurz nach der Wahl hatte Die Linke ihren Gesetzentwurf „zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ (18/8) eingebracht, Bündnis 90/Die Grünen auch schon vor vielen Monaten den Gesetzentwurf „zur Abschaffung des Eheverbots für gleichgeschlechtliche Paare“ (18/5098). Wenn ein Gesetzentwurf in zehn Sitzungswochen nicht behandelt wird, ermöglicht es die Geschäftsordnung, eine solche Debatte zu erzwingen.
Diese Debatte endete spektakulär mit einer innerkoalitionären Drohung. „Es reicht, ich habe einfach keine Lust mehr“, rief der sichtlich erregte SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs in Richtung CDU/CSU. „Wenn das Thema noch einmal aufkommt, werden wir in der Fraktion abstimmen“, nämlich darüber, ob auch ohne Einverständnis des Koalitionspartners die Abstimmung über die gleichgeschlechtliche Ehe freigegeben wird. Am Ergebnis ließ Kahrs keinen Zweifel: „Sie würden im Deutschen Bundestag eine Abstimmungsniederlage erleiden. Und die wäre auch verdient.“
Die SPD-Fraktion hat bisher im Rechtsausschuss immer mit der Union für die Vertagung gestimmt, mit der Begründung, es gebe noch Beratungsbedarf in der Koalition. CDU, CSU und SPD hatten im Koalitionsvertrag, wie üblich, festgelegt, dass sie im Bundestag gemeinsam abstimmen, es sei denn, beide Fraktionen geben die Abstimmung frei.
Für dieses Verhalten im Ausschuss griff Harald Petzold (Die Linke) die Sozialdemokraten scharf an. Die SPD habe ihren Wählern im Wahlkampf versprochen: „Hundert Prozent Gleichstellung nur mit uns“, zitierte Petzold und folgerte: „Das Verhalten der SPD ist Betrug an ihren Wählern.“
Petzold forderte, die Abstimmung freizugeben. Es gebe eine klare rechnerische Mehrheit im Bundestag für die gleichgeschlechtliche Ehe. Mit der erneuten Vertagung im Rechtsausschuss am zurückliegenden Mittwoch habe eine neue Zehn-Wochen-Frist begonnen, stellte Petzold fest und kündigte eine erneute Debatte „spätestens vor der Sommerpause“ an.
Der CDU-Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann zeigte Verständnis für die Ungeduld, fügte aber an: „Sie müssen auch uns verstehen.“ Viele in der Union täten sich mit dem Gedanken noch schwer, „wir müssen noch Überzeugungsarbeit leisten“. Der mit einem Mann in eingetragener Partnerschaft lebende Katholik sprach von einer „wachsenden Offenheit“, „selbst in der katholischen Kirche“, jedenfalls in Deutschland.
Aber eine Neufassung des Begriffs der Ehe falle eben „einer Partei mit C im Namen schwerer als einer, die sich betont atheistisch gibt“, warb Kaufmann um Verständnis. „Geben sie uns Zeit, die noch Zögerlichen mitzunehmen, und setzen Sie uns nicht monatlich unter Druck.“
Daraufhin richtete Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) zwei Fragen an Kaufmann, nämlich „was Sie in der Fraktion noch wollen außer diskutieren“ und: „Wann soll das Ende dieses Diskurses eigentlich sein?“
Es gebe inzwischen eine klare gesellschaftliche Mehrheit für die Ehe für alle, selbst unter Katholiken, zitierte sie aus Meinungsumfragen. „Wollen Sie noch weitere tausend Tage diskutieren?“ Künast rief Kaufmann auf, innerparteilich Mut zu zeigen.
„Enttäuscht“ von Kaufmann zeigte sich auch Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD), ein altkatholischer Familienvater. Enttäuscht auch von den „Freunden von der Union“, welche „eigentlich ohne Begründung“ die „Ehe für alle“ weiterhin ablehne und „uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in diesem Parlament in die Mithaft nimmt. Wir sollen für die Koalitionsräson herhalten, nur weil die Union nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen“.
Brunner forderte, wie später sein Fraktionskollege Kahrs, die CDU/CSU-Fraktion auf, die Abstimmung freizugeben. „Ich habe es satt, weil einige dies so wollen, nicht unserem Gewissen folgend entscheiden zu können.“
Auch der zweite Redner der Unionsfraktion in der Debatte, Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU), sprach nicht inhaltlich gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Er bezweifelt aber, dass diese auf dem Wege einfacher Gesetzgebung möglich sei. Das Bundesverfassungsgericht habe in fortlaufender Rechtsprechung, zuletzt 2013, die Ehe als „Verbindung von Mann und Frau“ bezeichnet.
Deshalb sei eine „Wertentscheidung des verfassunggebenden Gesetzgebers“ erforderlich, man müsse also das Grundgesetz ändern. Ullrich kündigte an, man werde über diese Frage reden müssen. Das benötige aber Zeit. An den Koalitionspartner gerichtet mahnte er, nicht jedem, der in dieser Frage eine andere Meinung vertritt, gleich „einen Diskriminierungswillen“ zu unterstellen. (pst/18.02.2016)