Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Sie heißen „House of Cards“, „Eichwald“, „Kanzleramt“ oder „Die Stadt und die Macht“. Über das Phänomen politischer TV-Serien und ihre Wirkung bei der Vermittlung des realen politischen Geschehens diskutierten Prof. Dr. Andreas Dörner von der Philipps-Universität Marburg, Stefan Stuckmann, Autor und Kolumnist, und Bärbel Bas, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion beim Forum der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen mit Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Oberreuter, stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung, am Mittwoch, 27. April 2016, im Deutschen Bundestag.
„Wie kriegen wir die Mehrheit?“, fragte Heinrich Oberreuter. Nur eine Minderheit interessiere sich in Deutschland für Politik. Ob fiktive Politik-Dramen wie die in den USA erfolgreiche Serie „House of Cards“ geeignet seien, dem realen Politikbetrieb mehr Aufmerksamkeit, dem politischen System mehr Zustimmung in der Bevölkerung zu verschaffen, stellte er als Leitfrage der Diskussion. Alle drei Podiumsgäste waren sich über die große Realitätsnähe der bekannten Politik-Serien einig.
„Eine fiktionale Serie funktioniert nur, weil sie sich ständig auf die politische Wirklichkeit bezieht“, sagte Infotainment-Experte Andreas Dörner. Dabei müssten Serien die Dinge zuspitzen. Die richtige Balance zwischen Fiktion und Realität zu finden, sei ein entscheidendes Erfolgskriterium. Die Faszination für den Zuschauer von Polit-Produktionen rühre außerdem daher, dass er unmittelbar einbezogen werde in das Intrigenspiel der Protagonisten wie den machthungrigen und skrupellosen Kongressabgeordneten Frank Underwood.
TV-Autor Stefan Stuckmann betonte, wie sehr die Politik selbst die Wahrnehmung des Politikbetriebes in der Öffentlichkeit beeinflusse. Die Demokratie mit ihren Mechanismen der Kompromissfindung sei komplex. Diese parlamentarische Realität biete die meisten und besten Geschichten. Autoren und Journalisten müssten sie nur aufgreifen.
Die Wirkung von TV-Serien aber hänge ganz von der Perspektive des Publikums ab, seinem Kenntnisstand und seinen Interessen. „Jeder Zuschauer sucht sich etwas anderes heraus, hat seine eigene Interpretation“, sagte Stuckmann. So erhalte er die unterschiedlichsten Kommentare zu dem Treiben des von ihm geschaffenen Charakters Hajo Eichwald. Eichwald sei für ihn in erster Linie eine Serie über Menschen, die den Tag lang hart arbeiten, um den Politikbetrieb am Laufen zu halten – „ein Wunder, dass diese Organisationsform für 80 Millionen Menschen funktioniert“.
Aus der komplexen Realität der Parlamentsarbeit berichtete die Abgeordnete Bärbel Bas. Der Öffentlichkeit, den Menschen in ihrem Wahlkreis zu vermitteln, wie politische Themen im Bundestag behandelt werden, sei eine Herausforderung. Dabei seien die Politiker selbst für die Wahrnehmung und Fehlwahrnehmung über ihr Schaffen verantwortlich. Dem Wunsch nach einfachen Botschaften und einprägsamen Bildern werde allzu oft entsprochen. Solche Schnappschüsse würden der Wirklichkeit aber meist nicht gerecht.
Den Beitrag politischer Serien zur Politikvermittlung in der Öffentlichkeit schätze Bas als eher gering ein. Kein Bürger oder Bundestagsbesucher habe sie jemals gefragt, ob es im deutschen Parlament so laufe wie in „House of Cards“. Die Fragen bezögen sich stets auf das reale Politikgeschehen. „Wir Politiker aber gucken Politik-Serien gerne!“ Abgeordnete und Mitarbeiter wollten meist keine Folge verpassen. Man versuche sich im Film wiederzuerkennen, ziehe Parallelen. „Steckt in uns eher Eichwald oder Underwood?“
Diese Begeisterung wird in deutschen Wohnzimmern nicht geteilt. „Alles, was man in Berlin toll findet, will in Bielefeld niemand sehen“, brachte Medienexperte Dörner die geringe Resonanz politischer Unterhaltungsserien auf den Punkt. Während Formate wie der „Tatort“, der ebenfalls politische Inhalte aufgreife, sehr gut funktionierten, hätten sich Polit-Serien wie „Kanzleramt“ oder „Die Stadt und die Macht“ im deutschen Vorabendprogramm als Flop erwiesen.
Dass gut gemachte Serien aber als Unterrichtsmaterial ihr Publikum finden können, verdeutlichte der Diskussionsbeitrag einer Lehrerin. Ihre Schüler hätten Folgen von „House of Cards“ zur Erklärung des politischen Systems der USA begeistert aufgegriffen. (ll/28.04.2016)