Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Nach Überzeugung des damaligen Gothaer Polizeichefs Michael Menzel gab es am 4. November 2011 keine sinnvolle Alternative dazu, das ausgebrannte Wohnmobil, in dem sich die beiden NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos das Leben genommen hatten, in eine Wagenhalle der Eisenacher Polizei transportieren zu lassen. Nicht zuletzt wegen der Witterung und der Lichtverhältnisse sei es kaum möglich gewesen, am Tatort die Leichen zu bergen und die weiteren Ermittlungen mit der gebotenen Sorgfalt zu führen, sagte Menzel als Zeuge vor dem 3. Untersuchungsausschuss (NSU II) am Mittwoch, 11. Mai 2016.
Auch habe er kein ausreichend großes Zelt zum Schutz des Wohnmobils zur Verfügung gehabt. In der Vergangenheit hatte es mehrfach Kritik daran gegeben, dass durch den Abtransport des Fahrzeugs durch ein Eisenacher Abschleppunternehmen Spuren verwischt worden sein könnten. Vor Menzel haben auch andere Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss unter Leitung von Clemens Binninger (CDU/CSU) ausgesagt, dass durch den Transport die Lage der beiden Leichen und zahlreichen Gegenstände in dem Wohnmobil nur in geringem Umfang verändert worden sei. Das Löschwasser der Feuerwehr habe viel größere Auswirkungen gehabt.
Bereits am Nachmittag des 4. November 2011 hatten die Ermittler festgestellt, dass eine in dem Wohnmobil aufgefundene Pistole der Polizistin Michèle Kiesewetter gehört hatte, die am 25. April 2007 in Heilbronn ermordet worden war. Nachdem er von dieser Erkenntnis unterrichtet worden war, rief Menzel umgehend das Landeskriminalamt Baden-Württemberg an, um die Kollegen dort über den Fund zu informieren. Er vereinbarte mit dem LKA Baden-Württemberg, neben anderen Kriminalbeamten auch einen Brandursachenermittler nach Eisenach zu entsenden, da er selbst über keinen Experten dieser Art verfügte.
Nach dem Fund der Pistole sei es ihm darum gegangen, auch die Erkenntnisse der nach dem Mord an Kiesewetter eingerichteten und mittlerweile wieder aufgelösten „Soko Parkplatz“ in Baden-Württemberg für seine Ermittlungen zu nutzen. Menzel war im November 2011 Chef der Landespolizeiinspektion Gotha, die auch für Eisenach zuständig ist. Bis zur Übernahme des Falles durch das Bundeskriminalamt am 11. November leitetet er die Ermittlungen zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ in Eisenach.
Wie zuvor schon andere Zeugen der Polizei schloss auch Menzel aus, dass sich am Tattag noch eine dritte Person im Wohnmobil aufgehalten haben könnte. Zwar habe man diese Möglichkeit zunächst in Betracht ziehen müssen. Doch hätten die Ermittlungen mittlerweile zweifelsfrei ergeben, dass neben Böhnhardt und Mundlos niemand anderes in dem Wohnmobil gewesen sei.
Menzel betonte, dass er und seine Kollegen den ebenfalls vom NSU begangenen und zunächst nicht aufgeklärten Überfall auf eine Sparkasse in Arnstadt am 7. September 2011 sehr genau ausgewertet hätten. Das sei die Voraussetzung dafür gewesen, beim Überfall auf die Sparkasse in Eisenach knapp zwei Monate später angemessen zu reagieren und sich bei der Fahndung auf ein Versteck der Täter nahe der Bank zu konzentrieren.
Die Zeugenvernehmung Menzels fand zum Teil in etwas gereizter Atmosphäre statt. So gab es mit der Abgeordneten Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) einen Disput darüber, inwieweit es richtig war, dass Menzel bei einer kurzen Inspektion des ausgebrannten Wohnmobils am Nachmittag des 4. November ein Batterie-Aufladegerät aus dem Stecker zog.
Der 3. Untersuchungsausschuss hat sich nun in jeweils drei Sitzungen mi den Vorgängen und anschließenden Ermittlungen am 4. November 2011 in Zwickau und Eisenach beschäftigt. Mit der rund vierstündigen Vernehmung Menzels wurde dieser Komplex jetzt bis auf weiteres abgeschlossen.
Bereits in nichtöffentlicher Sitzung zuvor gab es eine überraschende Wendung während der Vernehmungen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die Bundesregierung hatten die Ausschussmitglieder darüber informiert, dass im BfV ein Handy gefunden wurde, das dem im März 2014 verstorbenen V-Mann „Corelli“ gehört hat. Wie der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU/CSU) nach der Sitzung sagte, lag das Handy rund vier Jahre lang unbeachtet in einem Panzerschrank der Behörde, bevor es im vergangenen Juli bei einem routinemäßigen Bürowechsel gefunden wurde.
Erst vor wenigen Tagen konnte das Mobiltelefon dem ehemaligen V-Mann zugeordnet werden. „Corelli“ soll das Gerät vier Monate lang genutzt haben, bevor er es 2012 bei der Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm dem BfV übergab. Nach Angaben Binningers befinden sich auf dem Handy zahlreiche Bilddateien und Kontakte, die nun ausgewertet werden sollen.
Binninger und andere Ausschussmitglieder äußerten ihr Unverständnis über den Vorgang. Sie erinnerten daran, dass das Parlamentarische Kontrollgremium im Oktober 2014 den ehemaligen Grünen-Abgeordneten Jerzy Montag als Sonderermittler eingesetzt hat, um das Wirken und den überraschenden Tod „Corellis“ zu untersuchen. Umso unverständlicher sei es, dass erst jetzt das Handy entdeckt wurde, das möglicherweise wichtige Erkenntnisse über ihn liefern könne.
Der Neonazi „Corelli“ hatte fast zwei Jahrzehnte lang für den Verfassungsschutz als V-Mann gearbeitet und stand in dieser Zeit auch in Kontakt mit Mitgliedern des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Im April 2014 wurde er tot in seiner Wohnung gefunden. Nach dem Bericht des Sonderermittlers Montag hatte sein Ableben eine natürliche Ursache.
Petra Pau von der Linksfraktion sagte, der Fall des verschwundenen Handys bestärke nicht ihr Vertrauen in die Bereitschaft des Bundesamts für Verfassungsschutz, den NSU-Komplex umfassend aufzuklären.
Nach Überzeugung der Grünen-Abgeordneten Irene Mihalic muss der Ausschuss jetzt klären, ob nur „organisatorische Fehler“ für das jahrelange Verschwinden des Handys verantwortlich seien „oder ob da andere Dinge im Raum stehen“. Der CDU-Abgeordnete Armin Schuster sagte mit Bezug auf den Verfassungsschutz, er wolle jetzt „nicht in der Haut des Amtschefs stecken“. (rik/12.05.2016)