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Der bevorstehende EU-Gipfel mit der Türkei kann nach Ansicht von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) „eine entscheidende Wegmarke“ zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems in Europa werden. „Das Ziel ist eine faire Teilung der Lasten“, sagte sie am Mittwoch, 16. März 2016, in ihrer Regierungserklärung zum Europäischen Rat vor dem Bundestag. Sollte es am 18. März zu einer Vereinbarung mit der türkischen Regierung kommen, biete dies erstmals die Chance auf eine „dauerhafte und gesamteuropäische Lösung“.
Die Türkei hatte auf einem Sondertreffen am 7. März umfassende Vorschläge vorgelegt, die unter anderem die Rücknahme illegal nach Griechenland eingereister Flüchtlinge vorsieht. Für jeden zurückgeschickten syrischen Flüchtling solle die EU einen legal aufnehmen. Im Gegenzug verlangt die Türkei drei Milliarden Euro zusätzlich für die Versorgung der Schutzsuchenden sowie Visa-Erleichterungen und Fortschritte bei den EU-Beitrittsverhandlungen. Über die Vorschläge wollen die 28 Staats- und Regierungschefs der EU beim Europäischen Rat am 17. und 18. März in Brüssel beraten.
Merkel betonte im Bundestag, dass es bei den Verhandlungen mit der Türkei „keine Abstriche an unseren Prinzipien“ geben werde. Voraussetzung für eine Visa-Liberalisierung sei die Erfüllung aller dafür notwendigen Bedingungen. Auch die Beitrittsverhandlungen müssten weiterhin „ergebnisoffen“ geführt werden. Mit Verweis unter anderem auf die schwierige Menschenrechtssituation im Land stellte die Kanzlerin klar, „dass ein EU-Beitritt der Türkei jetzt wirklich nicht auf der Tagesordnung steht“.
Deutliche Kritik übte Merkel an der mangelnden Solidarität in der EU. „Es gereicht Europa nicht zur Ehre, sich als Union von 28 Mitgliedstaaten mit 500 Millionen Bürgern bislang so schwer getan zu haben, die Lasten zu teilen“, sagte sie. Umso wichtiger sei, jetzt „zumindest schrittweise“ voranzukommen. Der „reiche Kontinent“ Europa müsse sich in der Flüchtlingskrise in der Lage zeigen, „eine solche Herausforderung gemeinsam zu meistern“.
Unionsfraktionschef Volker Kauder warf der Gemeinschaft vor, Griechenland im Stich zu lassen. Die Lage an der griechisch-mazedonischen Grenze sei das Ergebnis zu langsamen und vorrangig nationalen Handelns in Europa. Dies müsse sich jetzt ändern. Zur geplanten Vereinbarung mit der Türkei sagte Kauder, eine weitere finanzielle Unterstützung sei „richtig und notwendig“. Was die anderen „Wünsche“ der Türkei hinsichtlich Visa-Freiheit und Beitrittsprozess angehe, „müssen wir darüber reden, was geht und was nicht“. Einen schnellen Beitritt zur Europäischen Union könne es nicht geben, betonte Kauder.
Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, erklärte, die Öffnung neuer Verhandlungskapitel könne durchaus zu einer Modernisierung der Türkei führen. Dennoch sehe die CSU „im derzeitigen Stadium“ des Landes „keine Möglichkeit für einen Vollbeitritt zur EU“. Wichtig sei es, die Türkei bei jeder Gelegenheit auf die Lage der Menschenrechte und die Defizite bei der Presse- und Meinungsfreiheit hinzuweisen.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann bezeichnete den am 17. März beginnenden EU-Gipfel als „einen der wichtigsten der letzten Jahre“. Erstmals sei wieder ein gemeinsames Interesse an einer europäischen Lösung spürbar. Als zentrale Ziele bezeichnete er die Vereinbarung eines Rückübernahmeabkommens mit der Türkei, die Einigung auf Flüchtlingskontingente in der EU und die Unterstützung Griechenlands.
Oppermann warnte vor einer „überheblichen und herablassenden Haltung gegenüber der Türkei“. Angesichts der Tatsache, dass das Land mehr Syrern Schutz und Sicherheit gewähre „als alle EU-Länder zusammen“, sei dies „völlig unangebracht“. Zugleich kritisierte der SPD-Politiker aber auch den Umgang des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan mit der Meinungs- und Pressefreiheit in seinem Land.
Für den Vorsitzenden der Linksfraktion, Dr. Dietmar Bartsch, ist klar: „Mit so einem Partner kann es keine Lösung für Europa geben.“ Merkel warf er einen „Schulterschluss mit einem Despoten“ vor. Mit Erdoğan hofiere sie einen Mann“, der die Türkei zu einer Kriegspartei in Syrien und über Jahre zu einem „Transitland des Terrorismus“ gemacht habe.
Er lasse Journalisten verhaften und kritische Wissenschaftler entlassen. Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei löse zudem das fundamentale Recht auf ein individuelles Asylrecht auf. Seiner Meinung nach sollten die Europäer selbst in der Lage sein, das Flüchtlingsproblem zu lösen.
Dr. Anton Hofreiter, Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, bezeichnete das geplante Abkommen mit der Türkei als „schmutzigen Deal“. Indem nur noch Syrer nach Europa kommen dürften, während alle andere in die Türkei geschickt werden sollen, führe die EU „de facto nichts anderes als eine flexible Obergrenze“ ein. Die Geflüchteten würden zu „Rechengrößen im Tauschhandel zwischen der EU und der Türkei“. Zudem sei es „nur noch grotesk, wenn wir unsere humanitäre Verantwortung auf Erdoğan abschieben“, der massiv gegen die Menschenrechte verstoße.
Zwar sei es richtig, betonte Hofreiter, die Türkei finanziell zu unterstützen. Darüber hinaus dürfe sich die EU aber nicht auf jeden Deal einlassen. „Verraten Sie nicht die Werte Europas und die der Geflüchteten“, appellierte der Grünen-Politiker an die Kanzlerin.
Die Oppositionsfraktionen legten zusammen vier Entschließungsanträge vor, die im Plenum jedoch allesamt scheiterten. In namentlicher Abstimmung votierten 446 Abgeordnete gegen eine Initiative der Linksfraktion (18/7884), in der diese ein „Gesetzespaket für ein neues Solidaritätsprojekt für Deutschland“ gefordert hatte.
In zwei weiteren Entschließungsanträgen hatte die Linksfraktion (18/7883, 18/7885) von der Bundesregierung verlangt, die Verhandlungen mit der Türkei „umgehend“ abzubrechen und „auf Grundlage der strikten Achtung der Menschenrechte“ neu auszurichten. Außerdem sollte sie den Vorschlag der EU-Kommission zur Einrichtung einer Agentur für die Europäische Grenz- und Küstenwache ablehnen.
Die Grünen hatten in einem Entschließungsantrag (18/7886) gefordert, zügig einen Nachtragshaushalt vorzulegen, um die aus dem Überschuss 2015 gebildete Rücklagen „schnell und konsequent“ für Integrationsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. (joh/16.03.2016)