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Experten befürworten die Durchsetzung von Qualitätsstandards im Bereich der humanitären Hilfe, mahnen jedoch weitergehende Reformen im internationalen Hilfssystem an. Das zeigte eine öffentliche Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe unter Vorsitz von Michael Brand (CDU/CSU) am Mittwoch, 27. April 2016.
Cornelia Füllkrug-Weitzel von Brot für die Welt/Diakonie Katastrophenhilfe, nannte das heutige System der humanitären Hilfe nicht "angemessen" und auch nicht "nachhaltig". Viel zu stark liege das Heft des Handelns nach wie vor bei den großen internationalen Organisationen und Hilfswerken. "Das ist das falsche Paradigma." Es komme entscheidend darauf an, viel stärker als bisher die lokalen und nationalen Akteure einzubinden.
Hinzu trete die Notwendigkeit, mehr Prävention zu betreiben in dem Sinne, dass Gesellschaften dabei unterstützt werden, Resilienzen auszubilden, also auf Katastrophen und humanitäre Notfälle vorbereitet zu sein. Solche präventiven Projekte zur "Selbsthilfefähigkeit" und "Selbstwirksamkeit" aber würden durch internationale Geber bisher kaum finanziert.
Volker Gerdesmeier vom Deutschen Caritasverband begrüßte den "Core Humanitarian Standard", der 2014 nach einem breiten Konsultationsprozess unter humanitären Organisationen entstanden sei. Eine stärkere Überprüfung der Qualität der geleisteten Hilfe sei auch mit Blick auf die gewachsene Zahl von Hilfsorganisationen geboten.
Gerdesmeier warnte aber vor der Erwartung, mit höheren Qualitätsstandards automatisch mehr Effizienz zu erreichen: Bereits heute bestehe ein größerer Teil der Arbeit von Hilfsorganisationen im "Abklappern von Fragebögen" und dem "Aufblähen von Antragsarbeit" - Ressourcen, die der Organisation dann bei der eigentlichen Hilfsarbeit vor Ort fehlen würden. Wer höhere Qualitätsstandards einfordere, müsse auch mehr Geld für die humanitäre Hilfe in die Hand nehmen. "Wir müssen mehr investieren", sagte Gerdesmeier.
Die freie Gutachterin Corinna Kreidler unterstrich, dass es vor allem darauf ankommen, die Relevanz humanitärer Hilfe zu messen - also zu fragen, ob die Hilfe dem Bedarf der Betroffenen entspricht. Die Hilfe müsse dort hinkommen, wo die Not am größten sei - dazu gehörten auch "vergessene Konflikte" und damit verbunden der politische Mut, Prioritäten zu setzen.
Es wäre zudem viel gewonnen, wenn UN-Hilfswerke stärker "sachorientiert als mandatsorientiert" zusammenarbeiten würden, um etwa Doppelstrukturen zu vermeiden. Kreidler machte zudem den Vorschlag, die Vergabe öffentlicher Mittel stärker an Zertifizierungsprozesse für Hilfsorganisationen zu koppeln.
Manuela Roßbach von der "Aktion Deutschland Hilft" betonte, dass im internationalen humanitären System viel Wissen, Erfahrung und Potenzial vorhanden sei. Die Schwierigkeit bestehe aber darin, das vorhandene Wissen über Standards und ihre Anwendung durch Hilfsorganisationen und helfende Akteure zu verbreiten und vermitteln.
Hinzu komme, dass heute vieles technisiert und mit Kennzahlen gemessen würde. Eine der wichtigsten Qualitäten von Hilfsorganisationen - die Arbeit von Mensch zu Mensch - sei aber so nicht immer zu messen.
Hansjörg Strohmeyer vom Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (OCHA) sprach von einem Wendepunkt für die internationale Staatengemeinschaft: Der Bedarf an humanitären Hilfsleistungen habe sich in den vergangenen Jahren drastisch erhöht, ebenso die Dauer der Einsätze. "Verschleppte langwierige Krisen sind heute der Normalfall, nicht mehr die kurzfristigen und akuten", sagte Strohmeier.
Hinzu komme, dass angesichts von Klimawandel und der absehbaren demographischen Entwicklung der Bedarf in den kommenden Jahren weiter steigen dürfte. Für die Staatengemeinschaft müsse es deshalb vor allem darum gehen, den Bedarf nach humanitären Hilfsleistungen durch Konfliktbearbeitung und -verhütung zu verringern oder nach Möglichkeit überhaupt erst gar nicht entstehen zu lassen. (ahe/28.04.2016)