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Ob Politik, Wissenschaft, Wirtschaft oder Kultur: Mit dem Deutschland-Mexiko-Jahr, das im Mai 2016 begann, erhält der vielfältige Austausch zwischen den beiden Ländern eine besondere Bühne. Den Austausch zwischen Parlamentariern pflegt die Deutsch-Mexikanische Parlamentariergruppe im Bundestag – und das kontinuierlich bereits seit 1987, allerdings meist abseits des großen Scheinwerferlichts. Zum Auftakt des Deutschland-Mexiko-Jahres reiste eine Delegation der interfraktionell besetzten Gruppe Ende Februar zu Gesprächen nach Mexiko-Stadt, León und Monterrey. Im Fokus insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung und die Lage der Menschenrechte in dem mittelamerikanischen Land.
Folter in Gefängnissen, bedrohte Journalisten, bestechliche Polizei: Medienberichte über Drogenkrieg, Gewalt und Korruption prägen seit Jahren das Image Mexikos in Deutschland. „Das ist aber nur ein Teil, der negative Teil der Realität“, meint der Vorsitzende der Deutsch-Mexikanischen Parlamentariergruppe Michael Leutert (Die Linke).
Das Bild, das so von dem Land gezeichnet werde, sei alles andere als vollständig, findet er: „Mexiko ist mehr als ein Land im Drogenkrieg. Mexiko ist eine alte Kulturnation – und erlebt in den letzten Jahren im Bereich der Wirtschaft einen dramatischen Wandel“, sagt der Politiker, der Mitglied des Haushaltsausschusses im Bundestag ist.
Tatsächlich entwickelte sich Mexiko unter dem neoliberalen Kurs des seit 2012 amtierenden Präsidenten Enrique Peña Nieto zum Liebling internationaler – auch deutscher – Investoren. „Fast 1.700 Firmen mit deutscher Kapitalbeteiligung sind dort inzwischen registriert“, betont Leutert. Deutschland gelte als wichtigster Handelspartner Mexikos innerhalb der EU.
Und auch für Deutschland sei das mittelamerikanische Land, das seit 1994 auch zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gehört, ein „wichtiger Partner“. Doch die Verbindung beruhe nicht nur auf wirtschaftlichen Interessen, erinnert der Abgeordnete aus Chemnitz: „Spätestens seit Alexander von Humboldt, der Mexiko 1803 bereiste und dort noch immer verehrt wird, existiert eine historische Beziehung zwischen Deutschland und Mexiko.“
Solche Verbindungen will er nutzen, um Kontakt und Austausch zu intensivieren: „Gerade weil wir uns kulturell so nahestehen, bin ich der Meinung, dass wir uns in unseren außenpolitischen Beziehungen viel stärker in Richtung Latein- und Mittelamerika orientieren sollten“, so Leutert, der den Vorsitz der elfköpfigen Deutsch-Mexikanischen Parlamentariergruppe nach der Bundestagswahl 2013 übernommen hat.
Sein Ziel – und auch das seiner Stellvertreter Helmut Heiderich (CDU/CSU), Martin Burkert (SPD) und Christian Kühn (Bündnis 90/Die Grünen) – ist es, Mexiko „realistisch“ darzustellen: „Ich möchte als Vorsitzender versuchen, ein Gesamtbild des Landes zeichnen – in dem unterschiedliche soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Seiten sichtbar werden.“ „Gleichwohl “, fügt er sofort hinzu, „Fakt ist auch, dass man an der hohen Straflosigkeit in Mexiko nicht vorbeikommt.“ 98 Prozent aller Straftaten blieben in dem Land ungesühnt. „Das ist eines der Hauptprobleme.“
Kein Wunder also, dass Korruptionsbekämpfung und Einhaltung von Menschenrechten neben wirtschaftlichen Themen ganz oben auf der Agenda standen, als eine Delegation – zu der neben Leutert auch Helmut Heiderich, Hubert Hüppe, Prof. Dr. Egon Jüttner (alle CDU/CSU), Martin Burkert, Gabriele Fograscher (beide SPD) und Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) gehörten – vom 27. Februar bis 5. März 2016 Mexiko besuchte.
In der Hauptstadt Mexiko-Stadt kamen die deutschen Abgeordneten mit Mitgliedern der mexikanischen Abgeordnetenkammer und des Senats, darunter dem Abgeordnetenkammer-Präsidenten Jesús Zambrano Grijalva, zusammen und sprachen mit Regierungsmitgliedern wie dem Staatssekretär für Menschenrechte im mexikanischen Innenministerium, Roberto Rafael Campa Cifrián.
Außerdem nutzten sie die Gelegenheit, um den Nationalen Sicherheitsbeauftragten Renato Sales Heredia und die Generalstaatsanwältin Arely Goméz González zu treffen. „Ich sehe es als unsere Aufgabe an, die Kontakte zu wichtigen Entscheidungsträgern zu knüpfen und das Gespräch mit ihnen zu suchen, um aus erster Hand ihre Sichtweise kennenzulernen“, erklärt der Vorsitzende der Parlamentariergruppe.
Goméz González sei neu im Amt und damit auch erste Ansprechpartnerin im Fall der 2014 verschleppten und später ermordeten 43 Studenten aus Iguala, der in Mexiko landesweite Proteste und auch international viel Anteilnahme ausgelöst hatte.
Zudem habe er mit der Generalstaatsanwältin auch über den Fall von Yacenia Armenta Graciano sprechen wollen, so Leutert. Die Mexikanerin sei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge nach ihrer Inhaftierung 2012 gefoltert und vergewaltigt worden, um eine Straftat zu gestehen, die sie aber bestreitet, begangen zu haben.
„Armenta sitzt bis heute im Gefängnis. Deswegen bespiele ich gerade alle Kanäle“, betont Leutert. „Ich spreche mit der Botschaft, der Generalstaatsanwaltschaft, mit dem zuständigen Staatssekretär für Menschenrechte, in der Hoffnung, eine Freilassung zu bewirken.“
Doch wie groß ist der Einfluss deutscher Parlamentarier in Mexiko? „Die Menschenrechtslage zu verbessern, ist wie das Bohren ganz dicker Bretter“, gibt der Vorsitzende der Parlamentariergruppe zu. Er muss es wissen. 2005 bis 2009 war Leutert schließlich Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Er warnt vor Überheblichkeit: „Demokratie und Menschenrechte sind auch in Deutschland nicht vom Himmel gefallen. Auch bei uns war es bis dahin ein langer und steiniger Weg.“
Für Leutert liegt der Schlüssel in „vielen, kleinen Schritten“ – wie etwa in Form deutscher Hilfe bei der Ausbildung einer rechtsstaatlich organisierten, gut qualifizierten Polizei. Auch die Unterstützung für Menschenrechtsaktivisten wie die Ordensschwester Consuelo Morales Elizondo, die die Bundestagsabgeordneten im Rahmen der Delegationsreise in Monterrey getroffen haben, könne einen Beitrag zu Veränderungen leisten. Morales Elizondo kämpft dort mit ihrer Organisation „Ciudadanos en Apoyo de los Derechos Humanos“ (CADHAC) gegen die Verletzung von Menschenrechten, welche in Zusammenhang mit der Bekämpfung des Drogenhandels begangen werden. Mit deutschen Geldern könne nun, so berichtet Leutert, der Aufbau eines Registers für Verschwundene gefördert werden.
Entscheidend ist für den Parlamentarier auch die Art, wie man Missstände thematisiere: „Natürlich muss Kritik geäußert werden. Aber ich versuche, meinen Gesprächspartnern nicht mit dem erhobenen Zeigefinger zu begegnen, sondern partnerschaftlich mit ihnen umzugehen.“ Sonst bestehe die Gefahr, dass das Gegenüber „zumacht“.
Für einen „extrem guten Hebel“ hält Leutert die wirtschaftliche Entwicklung des Landes: „Für die Menschen bedeutet sie die Chance des sozialen Aufstiegs.“ Dass die mexikanischen Arbeitgeberverbände offensiv eine verlässliche Rechtsstaatlichkeit forderten, sei ein gutes Zeichen, so der Abgeordnete: „Ohne Rechtsstaatlichkeit fällt es den mexikanischen Unternehmen eben schwer, Partner im Ausland zu finden.“
Sinnvoll findet er auch den Ausbau von Kooperationen zwischen Regionen oder Städten – oder in den Bereichen Wissenschaft und Bildung: „Mexiko ist sehr daran interessiert, die duale Ausbildung, wie wir sie hier in Deutschland kennen, einzuführen“, sagt Leutert. Über die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), die Unternehmen berate und dabei helfe, Schulen in Berufsschulen umzuwandeln, unterstütze Deutschland dieses Vorhaben.
Ein Projekt, das allen Beteiligten nutzen werde, ist sich Leutert sicher: „Das ist eine Win-Win-Situation – für Mexiko, aber auch für die vielen deutschen Firmen, die dort investieren. Denn sie brauchen natürlich gut ausgebildete Arbeitskräfte, die bislang rar sind.“ (sas/17.05.2016)