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Nach dreizehnstündiger Zeugenvernehmung vertagte sich am Donnerstag, 18. Juni 2015, der 2. Untersuchungsausschuss unter Leitung von Dr. Eva Högl (SPD) auf die nächste Sitzungswoche. Zuvor hatten die Zeugen Dr. Hans-Peter Friedrich, Sigmar Gabriel und Dr. Frank-Walter Steinmeier neue Fragen aufgeworfen. Die Vernehmung von Thomas Oppermann wurde unterbrochen und soll am 1. Juli fortgesetzt werden. Er ist der letzte in einer umfangreichen Zeugenliste, die der Ausschuss seit Oktober abgearbeitet hat.
Schon beim ersten Zeugen, dem stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Hans-Peter Friedrich, ergaben sich Unstimmigkeiten mit früheren Aussagen. Friedrich gab an, knapp drei Wochen nach der Bundestagswahl als geschäftsführender Bundesinnenminister von seinem Staatsekretär Klaus-Dieter Fritsche über einen Verdacht gegen den damaligen SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy informiert worden zu sein, und zwar am 17. Oktober 2013.
Fritsche hatte aber am 21. Mai vor dem Untersuchungsausschuss erklärt, er habe am 16. Oktober 2013 einen Anruf vom damaligen Präsidenten des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, erhalten, dass bei Ermittlungen gegen einen kanadischen Kinderporno-Vertrieb Sebastian Edathy als Kunde identifiziert worden sei, und am selben Tag seinen Minister davon unterrichtet. Da Ziercke mitgeteilt habe, dass aus Sicht des BKA das von Edathy bestellte Material nicht strafrechtlich relevant sei, habe Friedrich um eine Begründung gebeten, die er beim BKA eingeholt habe. Am nächsten Tag habe ihn der Minister angerufen und er habe ihm das Ergebnis mitgeteilt, so Fritsche damals.
Nach Angaben Friedrichs lagen aber nur Minuten zwischen beiden Telefonaten. Er schilderte dem Ausschuss anschaulich, dass in der dritten und letzten Sondierungsrunde zwischen CDU, CSU und SPD, die den Koalitionsverhandlungen voranging, ihn die Nachricht erreicht habe, Fritsche wolle ihn sprechen. In einer Sitzungspause habe er dann seinen Staatssekretär angerufen. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass bei einem Verfahren gegen einen Kinderporno-Ring der Name Edathys aufgefallen sei, der Nacktbilder von Jugendlichen bestellt habe. Er habe Fritsche daraufhin gebeten zu klären, ob dies strafbar sei. Anschließend habe er den SPD-Vorsitzenden Gabriel über den Verdacht informiert.
Unmittelbar nach Ende der Sondierungsrunde habe er Fritsche erneut angerufen und die Auskunft bekommen, dass die Bilder keine strafbare Kinderpornografie seien. Darüber habe er umgehend den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel informiert, der noch in der Nähe stand. Solche Unstimmigkeit hatte es schon oft in den Zeugenaussagen zu den weit über ein Jahr zurückliegenden Vorgängen gegeben, und es sollten nicht die letzten sein. Fritsche hatte am 21. Mai gesagt, sein Anruf bei Friedrich habe einzig dem Zweck gedient, dass dieser Bescheid wisse, falls er „vor ein Mikrofon läuft“, also ein Reporter ebenfalls von dem Verdacht gegen Edathy erfährt und ihn darauf anspricht. Keinesfalls habe er seinem Minister geraten, jemanden aus der SPD-Führung zu informieren.
Dagegen sagte Friedrich nun, er erinnere sich zwar nicht mehr an den Wortlaut, es sei aber von Fritsche der Name Gabriel gefallen in dem Sinne, dass dieser informiert werden müsse. Er selbst habe zunächst eher an Noch-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier gedacht, aber ihm habe spontan eingeleuchtet, dass der Parteichef bei der Besetzung von Regierungsämtern das entscheidende Wort hat. Es sei darum gegangen zu verhindern, dass Edathy eine hervorgehobene Position erhalte und dann möglicherweise der Verdacht gegen ihn publik werde.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel stellte im Anschluss die Situation, wie er erstmals von dem Verdacht gegen Edathy erfahren hat, genauso dar wie Friedrich. Als Motiv für die Mitteilung habe Friedrich ihm gesagt, für den Fall, dass der Verdacht gegen Edathy an die Öffentlichkeit kommt, solle nicht der Eindruck entstehen, das sei absichtlich durchgestochen worden, um der SPD zu schaden. Er habe das als hoch anständig wahrgenommen, sagte Gabriel. Nach Gabriels Angaben hat Friedrich daraufhin den Raum verlassen, in dem sie unter vier Augen gesprochen hatten, um die Frage der Strafbarkeit zu klären. Noch in derselben Pause sei Friedrich dann zurückgekommen, um ihm das Ergebnis mitzuteilen.
Unmittelbar nach der Sondierungsrunde habe er dann den damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier zur Seite genommen und eingeweiht. Beide hätten festgestellt, dass der damalige Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann ebenfalls Bescheid wissen müsse, da dieser die Gespräche zur Besetzung der Führungsposten in der Fraktion führen sollte und Edathy zu diesem Zeitpunkt eher für eine wichtige Position in der Fraktion als in der Regierung in Betracht gekommen sei.
Nach seiner Erinnerung habe er später, auf dem Weg nach Hause oder danach, Oppermann angerufen, sagte Gabriel. Dies deckte sich mit Aussagen, die er im Frühjahr vergangenen Jahres im Innenausschuss gemacht hatte. Ausschussmitglieder hielten Gabriel aber vor, dass die Sondierungsgespräche am 17. Oktober 2013 gegen 15.15 Uhr zu Ende gewesen seien und er dann um 16 Uhr eine Pressekonferenz gegeben habe. Oppermann habe aber nach Angaben des BKA um 15.29 Uhr in dieser Sache bei Ziercke angerufen. Er hätte also noch eine andere Quelle haben müssen. Darauf antwortete Gabriel, es sei theoretisch möglich, dass er unmittelbar nach seinem Gespräch mit Steinmeier Oppermann angerufen hat. Seine Erinnerung sei aber eine andere.
Die Tatsache, dass Gabriel die gegebene Information an Steinmeier und Oppermann weitergereicht hatte, wertete Friedrich gegenüber dem Ausschuss als Bruch der vereinbarten Vertraulichkeit. Dagegen begründete Gabriel sie als notwendig, um das Ziel zu erreichen, Edathy von exponierten Positionen fernzuhalten. Hätte er ohne eine Begründung ein Veto gegen solche Besetzungen eingelegt, hätte das erst recht Fragen nach sich gezogen.
Angesprochen auf Zeugenaussagen, nach denen es bereits vor dem öffentlichen Bekanntwerden der Ermittlungen gegen Edathy in der Fraktion Gerüchte gegeben habe, versicherte Gabriel, nie dergleichen gehört zu haben. Dieselbe Aussage machte anschließend auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.
Über das Gespräch mit Gabriel direkt nach dem Sondierungsgespräch sagte Steinmeier, man habe vereinbart, dass Oppermann schnellstmöglich informiert werden solle und Gabriel das übernehme. Am selben Abend oder am nächsten Tag sei Oppermann in sein Büro gekommen und habe ihm gesagt, er habe in Sachen Edathy mit Ziercke telefoniert, aber nichts Neues erfahren.
Oppermann sagte zu den Abläufen am 17. Oktober 2013, er könne sich an keine genauen Uhrzeiten erinnern, es sei aber alles schnell gegangen. Gabriel habe ihn angerufen und über den Verdacht gegen Edathy informiert. Er sei danach fassungslos und schockiert gewesen, da dies nicht zu seinem Bild von Edathy gepasst habe. Deshalb habe er sofort Ziercke angerufen in der Hoffnung, dass sich alles als Irrtum herausstellt.
Nachdem er wiedergegeben habe, was er soeben erfahren hatte, habe Ziercke sinngemäß gesagt, er, Oppermann, erwarte doch wohl keine Antwort von ihm. Da ihm damit klar wurde, dass Ziercke das Gespräch unangenehm war, habe er es schnell beendet. Er habe aber daraus, dass Ziercke nicht dementiert hat, den Schluss gezogen, dass der Vorwurf zutrifft.
Mit Edathy habe er danach nur ein kurzes Gespräch am 8. November gehabt, sagte Oppermann. Edathy habe ausloten wollen, welche Positionen er sich für ihn vorstellen könne. Er habe ihm geantwortet, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nichts sagen könne. Es sei für ihn ein sehr unangenehmes Gespräch gewesen, sagte Oppermann, da er nicht den Anschein erwecken durfte, er wisse etwas.
Dass Edathy danach nicht mehr auf ihn zugekommen sei, habe er darauf zurückgeführt, dass kurz nach dem einen Gespräch in deutschen Medien ausführlich über die kanadischen Ermittlungen gegen den Kinderporno-Ring berichtet worden war. Als sich Edathy dann im Januar krankmeldete und Anfang Februar sein Bundestagsmandat zurückgab, sei es ihm ein Zusammenhang mit Ermittlungen möglich erschienen.
Von der Hausdurchsuchung bei Edathy am 10. Februar 2014 habe er am Rande einer Fraktionsvorstandssitzung, die am Nachmittag dieses Tages stattfand, von seinem Pressesprecher erfahren, sagte Oppermann. Damit bestätigte er als erster Zeuge eine gleichlautende Aussage, die der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann durch seinen Anwalt gemacht hat. Gegen Hartmann, den Edathy als seinen Informanten bezeichnet hatte, laufen derzeit staatsanwaltliche Vorermittlungen wegen möglicher uneidlicher Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss.
Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hatte dem Ausschuss berichtet, dass Hartmann ihm am 10. Februar kurz vor 18 Uhr von der Hausdurchsuchung berichtet habe. Öffentlich war darüber erst mehrere Stunden später erstmals öffentlich berichtet worden. Dies konnte als Indiz erscheinen, dass Hartmann einen Informanten in Ermittlerkreisen hatte.
Am 12. Februar erschienen dann erste Berichte, wonach namhafte Sozialdemokraten schon seit November über die Vorwürfe informiert gewesen seien. Daraufhin veröffentlichte Oppermann am 13. Februar eine Presseerklärung, in der er die Informationskette von Friedrich bis zu ihm darstellte und schrieb, Ziercke habe ihm damals die Vorwürfe telefonisch bestätigt. Außerdem erwähnte er, dass Hartmann ihn auf den schlechten Gesundheitszustand Edathys angesprochen habe und er ihn daraufhin beauftragt habe, sich um Edathy zu kümmern.
Vor dem Ausschuss verwahrte sich Oppermann gegen Darstellungen, er habe Hartmann mehr mitgeteilt und ihn auf Edathy angesetzt. Zur Entstehung der Presseerklärung sagte er, er habe unter anderem mit Friedrich, Gabriel und Steinmeier die sie betreffenden Passagen abgestimmt. Ziercke habe er nicht erreicht. Dieser hatte nach eigenen Angaben auf eine Rückrufbitte Oppermanns nicht reagiert.
Friedrich gab an, Oppermann habe ihm bei der telefonischen Vorabstimmung eine wesentliche Passage nicht vorgelesen, in der es heißt, Friedrich habe strafrechtliche Ermittlungen für möglich gehalten. Hätte Oppermann ihm diesen Satz vorgelesen, „hätte ich mit Sicherheit gesagt, der kommt raus“, sagte Friedrich. Er habe angesichts der Presseerklärung über Oppermann „gedacht, der will seinen Kopf aus der Schlinge ziehen und mich jetzt hinhängen“.
Zu den Aussagen Oppermanns gab es einige kritische Nachfragen von Vertretern der Unionsfraktion, bevor die Vernehmung am späten Abend auf den 1. Juli vertagt wurde. Die Vertreter der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen hatten angesichts der knappen für sie verbleibenden Fragezeit ganz auf Fragen verzichtet. (pst/19.06.2015)