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Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 6. Juli 2015)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Der Deutsche Ethikrat begrüßt die aktuelle Debatte über die Sterbebegleitung, sieht die geplanten gesetzlichen Regelungen aber mit einer gewissen Skepsis. Die Vorsitzende des Ethikrates, die Medizinerin Christiane Woopen, sagte der Wochenzeitung "Das Parlament" (Montagausgabe), egal welche Gesetzesinitiative sich durchsetze, es seien "letztlich alles Handlungseinschränkungen und Verbote". Es gebe aber in der Gesellschaft ein ganzes Spektrum an weltanschaulich unterschiedlichen Positionen zu dem Thema. Die in einem Gesetz angemessen abzubilden, sei "ausgesprochen schwierig".
Die kommerzielle Sterbehilfe lehnt Woopen strikt ab. "Geschäfte damit zu machen, Menschen zum Tode zu verhelfen, ist jenseits dessen, was eine Gesellschaft ethisch vertreten könnte." Den Ärzten sollte ihrer Ansicht nach hingegen mehr Spielraum gegeben werden in Fällen von unheilbar kranken Patienten. Zwar sei die Suizidhilfe keine ärztliche Aufgabe. "Die Landesärztekammern sollten jedoch ihre Berufsordnungen so vereinheitlichen, dass eine Gewissensentscheidung des Arztes in tragischen Ausnahmesituationen respektiert und nicht durch ein Pauschalverbot stigmatisiert wird."
Nach Ansicht Woopens muss die Palliativ- und Hospizversorgung in Deutschland noch deutlich besser werden, um Menschen die Angst zu nehmen vor der letzten Lebensphase. Es seien zwar schon Fortschritte zu verzeichnen, jedoch gebe es nach wie vor zu wenige Kapazitäten, besonders in ländlichen Raum. Hier sei noch viel zu tun. Zugleich mahnte sie eine bessere Vorbereitung auf das Sterben und die Sterbebegleitung an und forderte eine vorausschauende Planung der letzten Lebensphase.
Das gehe weit über Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten hinaus und betreffe nicht nur medizinische Behandlungen. So könnte etwa am Anfang einer Alzheimer-Demenz über die Wertvorstellungen des Patienten gesprochen und geplant werden, wie in bestimmten gesundheitlichen Krisensituationen gehandelt werden solle. Es müsste in den Pflegeheimen solche Gesprächsangebote geben, sagte Woopen und fügte hinzu: "Das könnte ein Beitrag dazu sein, sich gemeinsam auf einen Abschied vorzubereiten, auch wenn er nicht unmittelbar bevorsteht."
Angesichts der relativ hohen Zahl an Selbstmordversuchen in Deutschland plädiert der Ethikrat dafür, die aktuelle Debatte über die Suizidbeihilfe und eine gesetzliche Regulierung breiter zu fassen. Jedes Jahr würden in Deutschland rund 100.000 Suizidversuche registriert. Die Gesellschaft müsse auf diese Fälle, denen viele unterschiedliche tragische persönliche Situationen zugrunde lägen, stärker eingehen, forderte Woopen und regte ein Suizidpräventionsgesetz an.
Das Interview im Wortlaut:
Frau Woopen, viele Leute schauen ,,Tatort", aber über den Tod im wirklichen Leben wird kaum geredet. Wie passt das zusammen?
Es ist etwas anderes, wenn es um den eigenen Tod geht. Da wirken Distanzierungs- und Verdrängungsmechanismen. Das sieht man beispielsweise an der Organspende. Viele Menschen finden sie gut und sind eigentlich dazu bereit, füllen dann aber doch keinen Organspendenausweis aus. Mein Eindruck ist aber, dass seit anderthalb Jahren eine intensive gesellschaftliche Debatte über das Thema Sterben geführt wird und es aus der Tabuzone herausgeholt wurde. Aber man muss es natürlich auch aus der ganz persönlichen Tabuzone holen.
Alte Menschen sollen in Würde sterben können. Was bedeutet das konkret?
Würde hat jeder Mensch. Im Sterben geht es um die Umstände, die der Würde des Menschen angemessen sein sollen. Wenn ein Mensch schwere Schmerzen hat, wenn er in der Körperhygiene und seinen basalen Bedürfnissen nicht gut versorgt ist, wenn er keine Zuwendung erhält, wenn er Atemnot oder Angstzustände hat, dann sind das Umstände, die wir vermeiden können und müssen.
Die Palliativmedizin ist weit fortgeschritten, inwieweit müssen sich Menschen noch Sorgen machen über Schmerzen am Ende ihres Lebens?
Die Palliativ- und Hospizversorgung hat tatsächlich große Fortschritte gemacht, sie ist aber noch nicht da, wo sie sein sollte. Es gibt noch zu wenige Kapazitäten, besonders auch in ländlichen Bereichen. Und manche Ärzte überweisen ihre Patienten viel zu spät zu einem Spezialisten für Schmerztherapie. Wir müssen noch viel tun.
Die Hospiz- und Palliativversorgung soll ja jetzt ausgebaut werden. Ist das ein angemessener erster Schritt?
Ich halte das für einen ganz wichtigen ersten Schritt. Wir müssen unabhängig davon, ob oder wie wir eine Hilfe beim Suizid gesetzlich regulieren, die Palliativ- und Hospizversorgung stärken, die weit mehr ist als eine Verhinderung von Todeswünschen in der letzten Lebensphase. Hier geht es um Lebensqualität und Leidensminderung bei unheilbaren Erkrankungen, die in absehbarer Zeit zum Tode führen. Das ist ja unabhängig von einem Todeswunsch wichtig.
Die Suizidrate ist unter älteren Menschen relativ hoch. Wie lässt sich da gegensteuern?
Es gibt gute Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun. Das Nationale Suizidpräventionsprogramm hat Vorschläge gemacht und schon Aktivitäten gestartet. Der Ethikrat ist der Überzeugung, dass die Debatte über die Suizidbeihilfe und eine gesetzliche Regulierung zu eng geführt wird. Wir haben im Dezember empfohlen, den Fokus breiter zu fassen und die vielen Menschen in den Blick zu nehmen, die Suizidversuche unternehmen. Das sind rund 100.000 Menschen pro Jahr in Deutschland. Die Gesellschaft muss auf diese Fälle, denen viele unterschiedliche tragische persönliche Situationen zugrunde liegen, stärker eingehen. Es wäre wünschenswert, wenn der Fokus einer gesetzlichen Initiative darauf liegen würde, ein umfassendes Suizidpräventionsgesetz zu verabschieden.
Kommerzielle Sterbehilfeorganisationen werden von vielen Abgeordneten kritisch gesehen, wie stehen Sie dazu?
Das sehe ich genauso. Geschäfte damit zu machen, Menschen zum Tode zu verhelfen, ist jenseits dessen, was eine Gesellschaft ethisch vertreten könnte. Bei gemeinnützigen Vereinen ist die Motivation natürlich anders. Andererseits senden solche Vereine auch ein Signal in die Gesellschaft, nämlich dass der Suizid eine normale Option sei.
Bei der jetzigen Debatte sehe ich im Übrigen ein grundsätzliches Problem: Egal welche Gesetzesinitiative sich durchsetzt, es sind letztlich alles Handlungseinschränkungen und Verbote. In unserer Gesellschaft gibt es jedoch ein ganzes Spektrum an weltanschaulich unterschiedlichen Positionen zu dem Thema. Die in einem Gesetz angemessen abzubilden, halte ich für ausgesprochen schwierig.
Die Ärzte scheinen gespalten zwischen dem Anspruch, Leben zu retten und der Möglichkeit, einem unheilbar Kranken einen schnellen, sanften Tod zu ermöglichen. Wo ist der Ausweg?
Der Ethikrat hält es für richtig, dass die Suizidhilfe keine ärztliche Aufgabe ist. Er hält auch mehrheitlich berufsspezifische Regulierungen für den falschen Weg - sowohl für Ärzte als auch für andere Berufsgruppen. Die Landesärztekammern sollten jedoch ihre Berufsordnungen so vereinheitlichen, dass eine Gewissensentscheidung des Arztes in tragischen Ausnahmesituationen respektiert und nicht durch ein Pauschalverbot stigmatisiert wird. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist gerade in der letzten Lebensphase und bei existenziellen Fragen von großer Bedeutung.
In der Debatte taucht bisweilen der Begriff ,,Euthanasie" auf. Wie wichtig ist die Erinnerung an den Nazi-Terror?
Ich halte es für richtig, dass diese Zeit in der deutschen Diskussion bewusst bleibt, damit man die Gefahren vor Augen hat, die bestimmte Regulierungen bergen können. Ich glaube allerdings, dass wir nicht im Entferntesten in einer gleichartigen Gefahr sind wie damals. Die Erinnerung an diese Zeit kann leider bisweilen auch zu einer hochemotionalen Debatte führen, die sich nicht an Sachargumenten orientiert. Prinzipiell aber ist es richtig, dass in Deutschland mit einer historisch geprägten Sensibilität über Sterbehilfe diskutiert wird.
Ist es moralisch vertretbar, einen unheilbar kranken Verwandten in einem Heim oder Hospiz unterzubringen?
Das sind sehr komplexe, individuelle Entscheidungen, da kann man kein Pauschalurteil aussprechen. Viele Menschen wollen in einem Hospiz sterben, weil sie sich dort gut aufgehoben fühlen und sehr gut versorgt werden können. Manche Familien können eine Pflege auch gar nicht leisten. Wichtig sind leicht und schnell zugängliche Beratungsangebote, damit sich Familien über Lösungen verständigen können.
In dem Zusammenhang kommt ein Aspekt bislang zu kurz: Das sogenannte advance care planning, also die vorausschauende Planung in einem dialogischen Prozess mit allen Beteiligten, was man sich am Lebensende wünscht. Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht decken das nicht vollständig ab. Es geht um mehr als die Frage der medizinischen Behandlung. Es geht darum, wo jemand untergebracht wird, es geht um Gespräche im Pflegeheim und mit dem notärztlichen Dienst, damit in bestimmten Situationen angemessen reagiert werden kann und jemand vielleicht gar nicht erst auf die Intensivstation gebracht wird, um dann dort anhand der Patientenverfügung zu entscheiden, eine Intensivtherapie zu unterlassen.
Das ist die Vorbereitung auf den Tod?
Das ist die Vorbereitung auf eine letzte Lebensphase. So könnte man am Anfang einer Alzheimer-Demenz über die Wertvorstellungen des Patienten sprechen und etwa planen, wie in bestimmten gesundheitlichen Krisensituationen gehandelt werden soll. Es müsste in den Pflegeheimen solche Gesprächsangebote geben. Das könnte ein Beitrag dazu sein, sich gemeinsam auf einen Abschied vorzubereiten, auch wenn er nicht unmittelbar bevorsteht. Wir müssen das Thema in das Leben hineinlassen und angesichts von Endlichkeit und Gebrechlichkeit auch den letzten Lebensabschnitt gut gestalten.
Sie sind ja Katholikin. Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Ja, ich glaube, dass Gott jeden Menschen in seiner Ewigkeit meint.
Das Gespräch führte Claus Peter Kosfeld
Christiane Woopen (52) ist Ärztin und Vorsitzende des Deutschen Ethikrats.
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