Navigationspfad: Startseite > Der Bundestag > Ausschüsse > Untersuchungsausschüsse
Bankenvertreter haben am Donnerstag, 2. Juni 2016, im 4. Untersuchungsausschuss (Cum/Ex) ausgesagt, dass von Seiten der Finanzinstitute zum Teil bereits seit Anfang der 1990er-Jahre versucht worden sei, Steuerlücken bei Aktiengeschäften zu schließen. Die Finanzverwaltung sei auf diese Probleme aufmerksam gemacht worden, habe aber lange gebraucht, um diese Lücken zu schließen.Mehrere Zeugen gaben in der achtstündigen Sitzung unter Vorsitz von Dr. Hans-Joachim Krüger (SPD) zu Protokoll, dass das Problem mehrfacher Steuererstattungen bereits seit Ende der 1970er-Jahre bekannt gewesen sei, damals aber nur Einzelfälle betroffen habe. Nichtsdestotrotz habe es sich um ein Risiko gehandelt, und das habe man über den Bankenverband und die Finanzverwaltung in den Griff bekommen wollen. Vermutungen, die Banken hätten ein Interesse an den lukrativen Cum/Ex-Geschäften gehabt und eine Regulierung deshalb hinausgezögert, wiesen die Bankenvertreter zurück.
Der Ausschuss befragte zunächst die Bankmanager Karlheinz Jankowsky (ehemals HypoVereinsbank - HVB), Joachim Zimmermann (HSBC Trinkaus & Burkhardt AG) und Dr. Götz Weitbrecht (Deutsche Bank), die Mitglieder des Ad-hoc-Arbeitskreises "Aktiengeschäfte in zeitlicher Nähe zum Ausschüttungstermin" des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) waren. Im Anschluss daran standen Erhard Ullrich und Gerhard Baumrucker (beide ehemals Deutsche Bank) Rede und Antwort. Die beiden waren Mitverfasser eines Briefes des Instituts vom Mai 1997, in welchem dem Bankenverband Vorschläge zur Regelung von Wertpapiergeschäften um den Dividendenstichtag übermittelt wurden.
Die Fragen der Ausschussmitglieder betrafen unter anderem die Hintergründe des Briefes des Bankenverbandes an das Bundesfinanzministerium vom Dezember 2002, in dem auf die Problematik der Leerverkäufe von Aktien um den Dividendenstichtag hingewiesen und ein Lösungsvorschlag unterbreitet wurde, der aber erst 2007 - und nur für das Inland - realisiert wurde.
Diese sogenannten Cum/Ex-Geschäfte wurden zwischen 1999 und 2011 systematisch für eine mehrfache Erstattung beziehungsweise Anrechnung von tatsächlich nur einmal einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer genutzt. Der dem Fiskus dadurch gegebenenfalls entstandene Schaden wird auf etwa zwölf Milliarden Euro geschätzt.
Zimmermann, Leiter der Steuerabteilung bei HSBC Trinkaus & Burkhardt, sprach von "Missständen" im Zusammenhang mit den Cum/Ex-Geschäften und brachte sein Unverständnis darüber zum Ausdruck, dass diese Steuerschlupflöcher erst 2011 geschlossen wurden. Er habe von der Existenz solcher Geschäfte mit doppelten Steuerbescheinigungen erstmals 1997 im Steuerausschuss des BdB gehört. Für ihn und viele andere seien diese "nicht legitim" gewesen.
Zimmermann verwies auf das Haftungsrisiko für die Banken. Man habe daher eine Lösung gebraucht, und eine solche sei in dem BdB-Brief von 2002 vorgeschlagen worden. Dabei sei klar gewesen, dass dies nur bei inländischen Banken funktioniere. Er sei daher nicht vollständig zufrieden gewesen. Wie auch die anderen Zeugen betonte Zimmermann, die Brisanz und das spätere "flächendeckende" Ausmaß der Cum/Ex-Geschäfte seien Mitte der 2000er-Jahre nicht zu erkennen gewesen.
Weitbrecht war bis 2015 Leiter der deutschen Steuerabteilung der Deutschen Bank und seit 1996 Mitglied im Steuerausschuss des BdB. Wie er dem Ausschuss sagte, habe er sich 2002 im Rahmen des BdB mit der Cum/Ex-Problematik befasst. Wegen der Gefahr falscher Steuerbescheinigungen sei eine gesetzliche Regelung angestrebt worden. Es habe sich damals aber nur um "Einzelfälle" gehandelt. Danach sei er mit der Problematik nicht mehr "relevant befasst" gewesen.
Warum das angestrebte Gesetz erst 2007 kam, könne er nicht sagen. Er vermute aber, sagte Weitbrecht, dass es auf der Prioritätenliste nicht ganz oben gestanden habe. Im Vorfeld seien zwei Lösungen diskutiert worden, von denen eine von dem Wertpapierverwahrer Clearstream abgelehnt worden sei mit der Begründung, dass ausländische Leerverkäufe nicht zu identifizieren seien. Der letztendliche BdB-Vorschlag sei eine praktikable Lösung für die deutschen Banken gewesen, dem Finanzministerium hätte aber klar sein müssen, dass das Problem damit noch nicht vom Tisch ist.
Baumrucker war 42 Jahre in der Steuerabteilung der Deutschen Bank tätig und ist seit März 2015 im Ruhestand. Er war Mitglied in diversen Arbeitskreisen des BdB. Aus seiner Erfahrung schilderte er die Entwicklung des Thema "Leerverkäufe" seit Ende der 1970er-Jahre und die Maßnahmen, die ab Anfang der 1990er-Jahre ergriffen wurden, um falsche Steuerbescheinigungen zu verhindern. "Wir haben das nicht in den Griff bekommen", sagte Baumrucker.
Daraufhin habe man sich 1997 an den BdB mit der Bitte um eine grundsätzliche Regelung gewandt. Gebraucht worden sei eine sichere gesetzliche Grundlage. Ein entsprechender Vorschlag sei dann im Dezember 2002 an das Bundesfinanzministerium gegangen. 2007 - nach unverständlich langer Zeit - sei dann das Gesetz in Kraft getreten.
Ursprünglich sollte auch die "Auslandsflanke dichtgemacht werden", sagte Baumrucker. Das sei aber "aus den bekannten Gründen" gescheitert. Erst 2012 sei dann eine grundsätzliche Regelung mit der Einführung der Bruttoregulierung erfolgt, durch die die Steuerabzugspflicht vom Emittenten weg auf die Zahlstellen verlagert worden sei. Im Nachhinein müsse man sich den Vorwurf machen, warum man auf diese Idee nicht schon früher gekommen sei. (mwo/03.06.2016)