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Gesundheits- und Sozialexperten bescheinigen dem Versorgungsstärkungsgesetz der Bundesregierung (18/4095) gute Ansätze, sehen aber Nachbesserungsbedarf an diversen Stellen. Insbesondere Vertreter der Ärzteverbände beklagten bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Rudolf Henke (CDU/CSU) am Mittwoch, 25. März 2015, im Bundestag und in ihren schriftlichen Stellungnahmen, dass die geplante Neuverteilung von Arztsitzen tendenziell zulasten der niedergelassenen Mediziner gehe. Insbesondere die Psychotherapeuten warnten davor, Arztsitze in scheinbar überversorgten Gebieten zu reduzieren, da die Patienten schon jetzt bundesweit im Durchschnitt länger als drei Monate auf ein Erstgespräch bei einem Psychotherapeuten warten müssten.
Der Sozialverband Deutschland und der Sozialverband VdK lobten konkrete Verbesserungen für Patienten, etwa mit Hilfe der Terminservicestellen oder der ausgeweiteten Krankenhausambulanz, kritisierten aber, dass es keine einheitliche Gebührenordnung gebe und so Fehlanreize gesetzt würden zugunsten der Privatpatienten. Zudem seien viele Arztpraxen nach wie vor nicht barrierefrei und damit für Behinderte nicht zu erreichen. Nach Ansicht der Sozialverbände sollte vor einer Schließung von Arztsitzen auch konkret die regionale Versorgungslage überprüft werden. Die derzeit genutzten Kennziffern seien veraltet und damit ungeeignet. Sinnvoll wäre eine kleinräumige Planung, wo anhand von Alter, Geschlecht und Morbidität der tatsächliche Versorgungsumfang ermittelt werde.
Auch die Psychotherapeuten fordern eine Korrektur der fehlerhaften Bedarfsplanung. Bliebe es bei den jetzigen Verhältniszahlen, lägen mehrere Tausend Praxissitze der Psychotherapeuten oberhalb des zulässigen Versorgungsgrades, wären also vom Abbau bedroht. Der Arbeitgeberverband BDA begrüßte die geplante Versorgungssteuerung, mahnte aber an, dies dürfe nicht zu Mehrausgaben führen.
Genau das befürchtet jedoch der AOK-Bundesverband, der den Gesetzentwurf insgesamt sehr kritisch sieht. Mit den vielen kleinteiligen Veränderungen würden die angestrebten Ziele vermutlich eher verfehlt. Anstatt eine überfällige Anpassung der Strukturen einzuleiten, liefen die Reformen auf einen Ausgabenanstieg und Mehrbelastungen für die Beitragszahler in Milliardenhöhe hinaus, ohne dass dem ein adäquater Nutzen für die Patienten gegenüber stehe.
Auch Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) kritisieren die gesamte Ausrichtung des Gesetzes und befürchten einen erheblichen Zuwachs an staatlich verordneter Bürokratie. So stehe der Aufkauf von Arztpraxen in vermeintlich überversorgten Gebieten im krassen Widerspruch zu den Regelungen für verkürzte Wartezeiten, der Öffnung der Kliniken für die ambulante Versorgung sowie der Ermöglichung kommunaler medizinischer Versorgungszentren (MVZ). Der Ärztemangel in unterversorgten Gebieten werde auch nicht durch den Abbau von Arztsitzen in überversorgten Gebieten behoben. Zudem versorgten Ärzte in Ballungszentren auch viele Patienten aus den angrenzenden Landkreisen mit.
In einigen Punkten halten die Mediziner die angestrebten Änderungen schlicht für überflüssig. So könnten Patienten jetzt schon unkompliziert eine medizinische Zweitmeinung einholen, wenn sie dies für sinnvoll hielten. In medizinisch notwendigen Fällen sei auch jetzt schon in der Regel ein Facharzttermin innerhalb von vier Wochen gewährleistet. Für eine zusätzliche Vermittlung von Patienten in Krankenhäuser fehlten dort schlicht die Kapazitäten.
Positiv gesehen wird indes die Aufstockung der Weiterbildungsstellen für Allgemeinmediziner von 5.000 auf 7.500. Der Deutsche Hausärzteverband verlangte in der Anhörung eine Trendwende bei der hausärztlichen Versorgung. Sinnvoll sei der Aufbau von Kompetenzzentren und die Förderung der gemeinsamen Weiterbildung. Nach Angaben eines Einzelsachverständigen findet derzeit nur jeder zweite ausscheidende Hausarzt für seine Praxis einen Nachfolger. Gleichwohl interessierten sich rund ein Drittel der Studenten für die Allgemeinmedizin. Das Interesse sei also vorhanden, aber die Bedingungen für die Weiterbildung stimmten nicht.
Kritisch hinterfragt wurden in der Anhörung Regelungen zum geplanten Innovationsfonds mit einem Volumen von 300 Millionen Euro jährlich (2016 bis 2019), der unter anderem Fortschritte in der Versorgungsforschung bringen soll. Der GKV-Spitzenverband hält sowohl die Konstruktion des Innovationsfonds als auch das Konzept zur Finanzierung der Versorgungsprojekte für problematisch. Hier werde erstmals für gesetzlich definierte gesundheitspolitische Ziele der Direktzugriff auf die Beitragsmittel der Krankenkassen ermöglicht. Es handele sich schließlich nicht um Steuergelder. Der Spitzenverband lehnt vor allem das Antragsrecht von pharmazeutischen Unternehmern und Herstellern von Medizinprodukten im Innovationsfonds strikt ab.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will mit dem Gesetz medizinische Versorgungslücken in strukturschwachen Gebieten schließen und die Arbeitsbedingungen für Allgemeinmediziner verbessern. Zudem sieht der Entwurf Terminservicestellen vor, um eine schnellere Vergabe von Facharztterminen zu gewährleisten. Mit neuen Regelungen für die Zu- und Niederlassung von Ärzten und Psychotherapeuten sollen unterversorgte ländliche Gebiete gestärkt und die teilweise Überversorgung in Ballungszentren reduziert werden. So sollen künftig Arztpraxen in überversorgten Regionen nur dann nachbesetzt werden, wenn dies unter Versorgungsaspekten sinnvoll erscheint. Auch bei der ärztlichen Vergütung soll der Versorgungsaspekt künftig eine stärkere Rolle spielen.
Die Anhörung umfasste neben dem Gesetzentwurf der Regierung auch drei Anträge der Opposition. So verlangt Die Linke in einem Antrag (18/4099), die private Krankenversicherung (PKV) als Vollversicherung abzuschaffen. Ferner fordert die Fraktion in einem zweiten Antrag (18/4187) eine umfassend erneuerte Bedarfsplanung in der medizinischen Versorgung.
Auch nach Ansicht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen muss die Gesundheitsversorgung umfassend reformiert werden. In ihrem Antrag (18/4153) wird gefordert, den Kommunen und Regionen eine stärkere Rolle bei der Planung, Steuerung und Gestaltung der gesundheitlichen Versorgung zu ermöglichen sowie Anreize für sektorenübergreifende Versorgungsmodelle zu schaffen. (pk/25.03.2015)