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Man kann sich den Anfang leicht machen. Nicht so die CDU-Abgeordnete Anja Karliczek: 2013 neu in den Bundestag gewählt, übernimmt die 44-Jährige aus dem Münsterland ausgerechnet für das umstrittene Lebensversicherungsreformgesetz die Berichterstattung. Keine einfache Aufgabe für die Newcomerin im Finanzausschuss, denn die Reform der Bewertungsreserven scheiterte schon einmal, im Frühjahr 2013. Die Opposition und die Verbraucherschützer liefen damals Sturm gegen das Vorhaben der schwarz-gelben Regierungskoalition. Auch im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat konnte keine Einigung gefunden werden – das Vorhaben wurde vertagt.
„Einige haben mich etwas mitleidig angesehen, als ich das Thema übernahm, und ‚herzlichen Glückwunsch‘ gesagt, ‚du hast den Joker gezogen‘“, erinnert sich Karliczek. „Doch ich dachte mir: So habe die Chance, es besser zu machen.“ Unbeleckt ist die gelernte Bankkauffrau, Hotelfachfrau und studierte Betriebswirtin aus Brochterbeck in der Materie jedenfalls nicht: Ihre Diplomarbeit schrieb sie über die steuerliche Vorteilhaftigkeitsanalyse zur Auslagerung von Pensionsverpflichtungen aus Arbeitgebersicht. „Mit Altersvorsorge kenne ich mich aus“, sagt sie.
Tatsächlich wird die Reform im Eilverfahren während der Fußballweltmeisterschaft verabschiedet – was erneut Kritik provoziert. „Natürlich habe ich den Vorwurf zu hören bekommen, wir hätten das schnell durchgeschoben und den Versicherern Geschenke gemacht“, gibt Karliczek zu, die den Wahlkreis Steinfurt III vertritt. „Das ist aber Unsinn. Es ging darum, die Solidargemeinschaft zu stärken und sicherzustellen, dass jeder Versicherte das bekommt, was er angespart hat – inklusive der versprochenen Zinsen.“ Jedoch mit einer deutlich geringeren Beteiligung an den „stillen Reserven“ der Versicherer, denn die hat das Lebensversicherungsreformgesetz gekappt.
Unbefangen, unverstellt, offen – diese Herangehensweise ist typisch für die hochgewachsene, blonde Frau, die aus einer Hoteliersfamilie stammt und fast zehn Jahre in leitender Funktion im familieneigenen Hotel tätig war. So startete sie auch ihre Kandidatur für den Bundestag: „Erst habe ich es für einen Scherz gehalten, als man mich fragte, ob ich mir vorstellen könne anzutreten“, erinnert sich Karliczek.
Seit 2004 ist sie da zwar schon Mitglied im Rat der Stadt Tecklenburg, doch erst seit 2011 führt sie die CDU-Fraktion. Beobachter räumen ihr deshalb im innerparteilichen Wettbewerb um die Kandidatur zunächst nur Außenseiterchancen ein. „Mir ist das Herz in die Hose gerutscht, weil ich ahnte, dass das mein Leben umkrempeln könnte. Doch mir war bewusst, dass das die große Chance für mich ist“, sagt Karliczek im Rückblick. So wirft sie ihren Hut in den Ring – und gewinnt: Erst setzt sie sich überraschend gegen ihre Mitbewerber durch und erringt dann bei der Bundestagswahl das Direktmandat.
Politische Gegner wie Kathrin Vogler (Die Linke) werfen ihr zwar nachher vor, einen unpolitischen Wahlkampf geführt zu haben. Ihr Team spricht von einem „Sympathiewahlkampf“. Und sie selbst? „Ich glaube, dass es mir geholfen hat, dass ich ein ‚unbeschriebenes Blatt‘ war“, sagt die CDU-Politikerin. Auch dass sie im wirtschaftsnahen Flügel ihrer Partei verortet wurde, sei ein Vorteil gewesen. Dabei halte sie die Trennung zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik für überholt.
„Manchmal habe ich den Eindruck, Frau Nahles hat nur Klassenkampf im Kopf“, sagt sie mit einem Seitenhieb auf die Arbeits- und Sozialministerin vom Koalitionspartner SPD. „Warum es sich ausschließen soll, dass ein Unternehmen sich um seine Mitarbeiter kümmert und gleichzeitig wettbewerbsfähig ist, das habe ich nie verstanden. Ich habe es auch anders erlebt.“
Zum Beispiel daheim in Brochterbeck: Seit 1902 ist das Hotel „Teutoburger Wald“ mit seinen aktuell 90 Betten, 50 Mitarbeitern und vier Sternen in der Hand der Familie – inzwischen in der vierten Generation. Dass Karliczek nach ihrer Wahl in den Bundestag zunächst keine Wohnung in Berlin mietete, sondern im Hotel wohnte, ist nichts Außergewöhnliches für sie: Mit ihren Eltern und zwei Brüdern verlebte sie ihre gesamte Kindheit im Hotel.
Die Familie bewohnte zwar eine separate Etage, aber eine eigene Küche hatte die Familie nicht. „Wir haben immer im Aufenthaltsraum mit den Mitarbeitern gegessen“, erinnert sich die Abgeordnete. Daher sei es für sie normal, dass Familie und Belegschaft eng zusammen arbeiteten und lebten: „Wie in einer Großfamilie.“
Die Familie ist für die Konservative Karliczek, die mit einem Piloten verheiratet ist, ein wichtiger Bezugspunkt. Ein gemeinsames Frühstück, ein Spaziergang mit ihrem Tibet-Terrier, Gespräche mit den drei Kindern – die kleinen Dinge seien es, die sie glücklich machen. „Ich brauche nicht das große Event“, sagt sie.
Aber auch politisch spielt das Thema Familie eine Rolle: Über den Einsatz für den Ausbau der Kinderbetreuung wird sie politisch aktiv in der Frauenunion und tritt 1998 in die CDU ein. Dabei lässt die Karliczek keinen Zweifel daran, dass sie Kitas in erster Linie als „Unterstützung“ für Eltern sieht. Besser betreut als bei ihnen würden Kinder in Kitas nicht. „Bei aller Fachkenntnis – Erzieher machen eine Arbeit. Nur die Familie begleitet Kinder bis ins Letzte“, betont sie.
Geprägt ist Karliczek auch durch ihre Religion: In der Gemeinde engagiert sich die Katholikin ehrenamtlich als Katechetin. In der Politik ist der Glaube für sie eine Art Richtschnur: „Als Abgeordnete wird man mit so vielen absoluten Forderungen konfrontiert. Da hilft es, den Glauben im Hintergrund zu haben.“ Deshalb versäumt sie es selten, in Sitzungswochen am ökumenischen „Gebetsfrühstück“ in der Parlamentarischen Gesellschaft teilzunehmen, das von einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Christen organisiert wird.
Und wenn doch etwas dazwischen kommt, besucht sie den Andachtsraum im Reichstagsgebäude, wo donnerstags und freitags vor Beginn der Plenarsitzung eine Andacht stattfindet. Für Karliczek ist dieser von dem Künstler Günther Uecker gestaltete Raum ein besonderer Ort: „Mich fasziniert der überkonfessionelle Charakter.“ Bewusst wurde hier zum Beispiel auf ein festinstalliertes Kreuz verzichtet, und eine Kante im Boden markiert die Ostrichtung – nach Jerusalem und Mekka. Der Andachtsraum sei ein „geschützter Ort“, an dem sich Ruhe finden und Kraft tanken lässt. Beides wird Karliczek vermutlich gut gebrauchen können – sie hat sich viel vorgenommen für die Zeit im Bundestag: „Ich habe immer gesagt, ich gehe erst wieder, wenn unsere Rente wieder so auf sicheren Füße steht, dass wir nicht mehr darüber reden müssen.“ (sas/22.06.2015)