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Gesundheits- und Sozialverbände sehen im Hospiz- und Palliativgesetzentwurf der Bundesregierung (18/5170) große Fortschritte, fordern aber Nachbesserungen in einigen wichtigen Punkten. Bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Dr. Edgar Franke (SPD) am Montag, 21. September 2015, in Berlin sowie in ihren schriftlichen Stellungnahmen äußerten Experten die Sorge, dass schwer kranke und sterbende Patienten in Krankenhäusern und Pflegeheimen bei der Versorgung benachteiligt werden könnten. Nötig sei auf jeden Fall mehr qualifiziertes Personal.
Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, schwer kranke und alte Menschen am Ende ihres Lebens besser und individueller zu betreuen, um ihre Schmerzen zu lindern und Ängste zu nehmen. Es sollen gezielt dazu Anreize gesetzt werden zum flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung.
Im Gesetzentwurf vorgesehen ist eine bessere finanzielle Ausstattung der stationären Hospize für Kinder und Erwachsene. So wird der Mindestzuschuss der Krankenkassen für diese Einrichtungen erhöht. Zudem tragen die Kranken- und Pflegekassen künftig 95 statt 90 Prozent der zuschussfähigen Kosten. Die restlichen fünf Prozent sollen die Hospize weiter selbst erwirtschaften, vornehmlich über Spenden.
Die Bundesärztekammer begrüßte die geplanten Regelungen, kritisierte jedoch, dass der Gesetzentwurf die allgemeine Palliativversorgung im Krankenhaus und den erhöhten palliativen Pflegeaufwand in stationären Pflegeeinrichtungen nicht ausreichend berücksichtige. Nahezu die Hälfte aller Sterbefälle in Deutschland betreffe Kliniken, wobei die meisten Sterbenden dort außerhalb einer Palliativstation begleitet würden. Um die Palliativversorgung zu verbessern, sei mehr qualifiziertes ärztliches und pflegerisches Personal nötig.
Ähnlich argumentierten die Sozialverbände. Die Arbeiterwohlfahrt gab zu bedenken, dass immer mehr Menschen beim Einzug in ein Heim bereits schwer pflegebedürftig seien und medizinisch aufwendig versorgt werden müssten. Eine gute Versorgung sterbender Menschen müsse alle Sterbeorte umfassen. Dem Gesetzentwurf fehle jedoch ein Lösungsvorschlag, um die palliative Versorgung auch in Pflegeheimen und Krankenhäusern strukturell zu stärken. Es müsse verhindert werden, dass Menschen in einem Pflegeheim schlechtergestellt seien als die in einem stationären Hospiz.
Nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin fehlen in Kliniken und Pflegeheimen Tausende Betreuungsangebote. Der Bedarf werde auf 7.000 bis 8.000 Betten in Palliativstationen und stationären Hospizen geschätzt, derzeit gebe es weniger als 4.500. Nur etwa 15 Prozent der Kliniken verfügten über Palliativstationen. Zahlenmäßig nicht zu erfassen sei die Versorgung in der stationären Altenpflege, da hier Regelungen etwa zu Qualitätsstandards oder der Personalausstattung fehlten. Ein Großteil der etwa 764.000 vollstationär betreuten Pflegebedürftigen in den rund 13.000 Heimen befinde sich in einer Palliativsituation, die jedoch oft ,,nicht wahrgenommen" werde. Von überragender Bedeutung sei die Qualitätssicherung in der Palliativ- und Hospizversorgung.
Auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe erinnerte daran, dass die Beratung zu Angeboten der Hospiz- und Palliativversorgung ausgebildete Fachleute erfordere. Gerade hinsichtlich der Vorsorgeplanung von Pflegeheimbewohnern in der letzten Lebensphase fehlten im Gesetzentwurf jedoch Hinweise auf die nötigen Kompetenzen der Berater. Die umfassende Kompetenz weitergebildeter Pflegefachkräfte sei essenziell für die Betreuung von Menschen am Lebensende.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz verlangte, auch Pflegeheimbewohner müssten einen Anspruch auf Hospizleistungen erhalten. Die Pflegefachverbände und Seniorenorganisationen machten deutlich, dass es bei der Betreuung alter und schwer kranker Menschen nicht darum gehen könne, bestimmte Zeitvorgaben einzuhalten. Einige Experten sprachen sich in der Anhörung dafür aus, in Krankenhäusern neben einem Palliativbeauftragten vor allem auch multiprofessionelle Palliativdienste einzusetzen. Nur so könne die Vielzahl an Patienten überhaupt angemessen erreicht werden.
Mehrere Sachverständige wiesen darauf hin, dass auch die Betreuung schwer kranker Kinder verbessert werden müsse und aufgrund der besonderen Anforderungen separat zu betrachten sei. Das gelte im Übrigen auch für Behinderte. Nach Angaben des Deutschen Roten Kreuzes erhalten in Deutschland nur maximal zehn Prozent der Sterbenden spezialisierte oder stationäre Palliativangebote oder werden in Hospizen versorgt. Nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation bräuchten aber 60 Prozent aller Sterbenden eine professionelle Sterbebegleitung. Nach Einschätzung der Caritas ist die Sterbebegleitung in Deutschland ,,erheblich unterfinanziert".
Der Sozialverband Deutschland (VdK) verwies auf die ,,teilweise prekäre finanzielle Situation stationärer Hospize" und sprach sich wie andere Verbände für eine Vollfinanzierung aus. Zudem müsse die Sterbebegleitung in stationären Pflegeeinrichtungen weiter qualifiziert und gestärkt werden. Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände sieht Schwachpunkte beim Versorgungsausbau in ländlichen Regionen. Es sei nicht ersichtlich, wie dies vorangebracht werden solle. Ein Experte sagte in der Anhörung, die Zahl der Hospize sei regional sehr unterschiedlich. So gebe es in Nordrhein-Westfalen deutlich mehr Hospize als in Bayern. Beim Ausbau der Hospizstrukturen müsse die regionale Einwohnerzahl berücksichtigt werden.
Gegenstand der Anhörung waren auch die Anträge der Fraktionen Die Linke (18/5202) und Bündnis 90/Die Grünen (18/4563) zum Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung. (pk/21.09.2015)
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