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Die von den USA geplante Modernisierung ihrer in Deutschland stationierten Atomwaffen stößt bei den Oppositionsfraktionen im Bundestag auf herbe Kritik. In einer auf Verlangen der Linksfraktion anberaumten Aktuellen Stunde forderten Grüne und Linke am Mittwoch, 30. September 2015, die Bundesregierung auf, sich für den Abzug sämtlicher Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen und im Kampf für eine atomwaffenfreie Welt glaubwürdig voranzugehen. Demgegenüber verwiesen die Koalitionsfraktionen auf Deutschlands Verpflichtungen im Rahmen des Nato-Systems der nuklearen Teilhabe sowie auf das von Russland ausgehende Bedrohungspotenzial, das einem einseitigen Verzicht auf nukleare Teilhabe entgegenstehe.
Insgesamt haben die USA in fünf europäischen Staaten – neben Deutschland in Belgien, Italien, den Niederlanden und der Türkei – taktische Atomwaffen stationiert. 2010 beschlossen sie ein umfassendes Modernisierungsprogramm für einige Versionen der B61-Atombombe. Sie sollen durch das neue Modell vom Typ B61-12 ersetzt werden. Betroffen davon sind auch die Atomwaffen, die seit dem Kalten Krieg auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel (Rheinland-Pfalz) lagern. Medienberichten zufolge sollen dort bis zu 20 neue Atombomben stationiert werden.
Alexander Ulrich (Die Linke) verurteilte die Pläne scharf. „Atomare Aufrüstung auf deutschem Boden lehnen wir entschieden ab“, betonte er. Das Vorhaben der USA stelle eine gefährliche Provokation gegenüber Russland dar und heize die Dynamik für einen neuen Kalten Krieg weiter an. Ulrich warf der Bundesregierung „Versagen bei der eigenen Abrüstung“ vor und erinnerte an einen gemeinsamen Beschluss aus dem Jahr 2010, indem sich alle Bundestagsfraktionen auf das Ziel einer atomwaffenfreien Welt verständigt hätten. Indem die Bundesregierung weiterhin in Planspiele für Atomkriege eingebunden sei, setze sie das „fatale Zeichen, dass das Wettrüsten weitergeht“.
Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, es sei „höchste Zeit“, dass die US-amerikanischen Atomwaffen abgezogen werden. Hinter den Modernisierungsplänen der Administration von US-Präsident Barack Obama verberge sich ein milliardenschweres Aufrüstungsprogramm, infolgedessen auch die deutschen Tornado-Flugzeuge für Millionen von Euro umgebaut werden müssten.
An die Bundesregierung appellierte Brugger: „Ziehen Sie die Notbremse und stoppen Sie diesen finanziellen und sicherheitspolitischen Irrsinn!“ Atombomben würden die Welt „nie und unter keinen Umständen“ sicherer machen.
Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter hielt dem entgegen, dass Deutschland nicht einseitig auf die nukleare Teilhabe verzichten könne. „Wir wollen das strategische Konzept der Nato weiterhin mit beeinflussen und konzeptionell daran mitarbeiten.“ Mit Blick auf Russland, das Volltruppenübungen abhalte, die Verlegung von Kurzstreckenraketen probe und mit seinen Bombern den Luftraum der EU verletze, betonte Kiesewetter zudem: „Wir müssen deutlich sagen, dass die nukleare Bedrohung von Russland ausgeht.“ Auch wenn die Bundesregierung mittelfristig am Ziel einer abnehmenden Bedeutung von Nuklearwaffen festhalte, „belehrt uns Russland zur Zeit vom Gegenteil“.
Noch deutlicher wurde Kiesewetter Fraktionskollege Thorsten Frei (CDUCSU). „Wer einseitig auf Atomwaffen verzichtet, solange es keine atomwaffenfreie Welt gibt, ist dumm und naiv“, urteilte er. Nicht nur mit Blick auf Russland, auch angesichts des Wettrüstens zwischen Indien und Pakistan und den chinesischen Milliardeninvestitionen in Atomwaffen sei es Aufgabe des Staates, für die Sicherheit und Souveränität seiner Bewohner zu sorgen, betonte Frei.
Niels Annen, von der SPD-Bundestagsfraktion gerade einstimmig in seiner Funktion als außenpolitischer Sprecher bestätigt, räumte ein, „dass man das Modernisierungsprogramm der USA überhaupt nicht gut finden muss“. Ihm fielen „viele schöne Dinge“ ein, die man mit zehn Milliarden US-Dollar machen könnte. Aber darüber entscheide nun mal nicht der Deutsche Bundestag, sondern der US-Kongress.
Annen betonte, dass sich die Bundesregierung weiter für eine „globale Nulllösung“ einsetzen und die Verbündeten in der Nato davon überzeugen wolle, dass es der richtige Weg ist, die Atomwaffen abzuziehen. Er sei auch „optimistisch, dass wir in den nächsten Monaten die Möglichkeit haben werden, darauf hinzuwirken“. So sei es gerade in der jetzigen, angespannten Weltsituation eine Chance, dass Deutschland 2016 den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernehmen werde. (joh/30.09.2015)