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Auf ein klares Signal der Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und auf Fortschritte bei der Sicherung des Waffenstillstands in der Ostukraine pocht Axel E. Fischer. Mit dieser Forderung reagiert der Karlsruher CDU-Abgeordnete im Interview auf die Ankündigung der russischen Delegation, ihren Boykott des Straßburger Parlaments fortzusetzen und nicht zu dessen Sitzung vom 25. bis 29. Januar 2016 zu reisen. Die Duma hatte ihren Boykott nach den wegen der Ukraine-Krise von den Abgeordneten des Staatenbunds 2014 verhängten Sanktionen beschlossen. Bei der Wintersession sollte über Aufhebung oder Verlängerung der Strafmaßnahmen wie des Stimmrechtsentzugs für die russischen Vertreter entschieden werden. Fischer, der die Bundestagsdelegation in Straßburg leitet, sieht durch die Moskauer Politik die "Institution Europarat aber nicht bedroht". Das Interview im Wortlaut:
Herr Fischer, die vom Europaratsparlament wegen der Ukraine-Krise verhängten Sanktionen gegen die russische Delegation haben hohe Wellen geschlagen. Lange war unklar, ob die Strafmaßnahmen wie der Entzug des Stimmrechts bei der Wintersitzung auslaufen oder verlängert werden. Nun kommen die Duma-Abgeordneten erst gar nicht nach Straßburg. Wie wollen der Staatenbund und sein Parlament auf diesen Boykott reagieren?
Wir suchen derzeit in Gesprächen mit russischen Abgeordneten und anderen nationalen Delegationen nach einem Ausweg aus der schwierigen Situation. Wir erwarten von Moskau neben einem klaren Signal der Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit unserer Versammlung auch Fortschritte bei der Umsetzung seiner Verpflichtungen aus dem zweiten Abkommen von Minsk zur Sicherung des Waffenstillstands in der Ostukraine. Bei der Wintertagung unseres Parlaments müssen alle 47 nationalen Delegationen ihre Akkreditierung erneuern. Wenn, wie das jetzt wohl passieren soll, die Duma überhaupt keine Delegation anmeldet, dann werden die Beziehungen zwischen dem Europarat und Russland zwangsläufig beschädigt. Ohne Zweifel eine bedauerliche Entwicklung.
Was bedeutet die Fortsetzung des von Moskau verkündeten Boykotts, der nach den im Frühjahr 2014 gegen die Duma verhängten Sanktionen verkündet wurde, langfristig für das Europaratsparlament? Dieser Schritt wirkt faktisch doch wie ein Austritt Russlands aus der Versammlung. Erodiert der Straßburger Staatenbund?
Die Politik Russlands gegenüber dem Europarat ist vielschichtig. Natürlich stellen manche Moskauer Entscheidungen eine Herausforderung für Straßburg dar. Beispielsweise sollen in Russland nicht mehr alle Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs konsequent umgesetzt werden. Die Institution Europarat als Ganzes wird dadurch aber nicht bedroht. Von anderer Seite gibt es im Übrigen auch Signale zur Stärkung Staatenbunds: Die Türkei hat die Zahl ihrer Abgeordneten in unserem Parlament von zwölf auf 18 aufgestockt und ihre Beitragszahlungen erhöht.
Die EU hat ihre Sanktionen gegen Moskau verlängert - und dies trotz der Fortschritte bei der Umsetzung der Waffenruhe in der Ostukraine. Spielt die Politik Brüssels gegenüber Moskau für die Europaratsabgeordneten eine Rolle?
Nur am Rande. Wir beobachten die Entwicklung in der Ostukraine genau. Was den Europarat angeht, so hatten dessen Parlamentarier Sanktionen gegen russische Delegierten beschlossen, während das Ministerkomitee das Verhalten Moskaus in der Ostukraine in Deklarationen kritisiert hatte. Dieses unterschiedliche Vorgehen hat damit zu tun, dass Ministerkomitee und Parlamentarische Versammlung unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten haben. Jedes Organ des Europarats versucht, seine jeweiligen Spielräume optimal zu nutzen.
Die Abgeordneten wollen nicht zuletzt angesichts der Attentate in Frankreich auch über den verstärkten Kampf gegen den Terrorismus diskutieren. Nun befassen sich bereits die EU und die nationalen Regierungen mit diesem Thema. Welchen spezifischen Beitrag kann das Europaratsparlament leisten?
Als parlamentarisches Organ unseres Staatenbunds mit 47 Mitgliedsländern gleichen wir die unterschiedlichen nationalen Erfahrungen bei der Terrorbekämpfung ab und erarbeiten Vorschläge für möglichst abgestimmte Vorgehensweisen. Mit Hilfe der kürzlich auch von Deutschland unterzeichneten Regelungen zur Ergänzung der Terrorismuskonvention des Europarats kann jetzt etwa der Radikalisierung insbesondere junger Leute effizienter entgegengetreten werden, die beispielsweise dazu verleitet werden, sich in Syrien islamistischen Terrorgruppen anzuschließen. Inzwischen wird auch die Vorbereitung terroristischer Akte bereits viel früher als Verbrechen geahndet.
Das Europaratsparlament tritt dafür ein, den Terror ohne Gefährdung der Werte und Normen des Staatenbunds zu bekämpfen. Welche freiheitlich-rechtsstaatlichen Standards sind denn bedroht?
Ich erinnere daran, dass nach den Attentaten vom 11. September Terrorverdächtige vom US-Geheimdienst rechtswidrig in Geheimgefängnisse auch in einigen Europaratsstaaten verschleppt und dort verhört wurden. Seither wissen wir um die Gefahr, dass beim Kampf gegen den Terrorismus grundlegende Menschenrechtsstandards des Europarats wie das Verbot der Folter missachtet werden können. Grundrechte können aber auch durch eine lange Untersuchungshaft verletzt werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine Reihe von Urteilen gefällt, die den einzelnen Ländern Spielräume in akuten Gefahrenlagen zubilligen, ihnen aber auch klare Grenzen setzen.
(kos/21.01.2016)