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Es war eine deutliche Absage: Als vor Kurzem rund 61 Prozent der niederländischen Wähler bei einem Referendum über das Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union mit Nein stimmten, reagierte die Regierung in Den Haag prompt: Zwar ist das Referendum für die Regierung nicht bindend. Dennoch könne das Ergebnis nicht ignoriert werden, betonte Premierminister Mark Rutte und kündigte gleichzeitig an, die Ratifizierung des Abkommens erst einmal auszusetzen. Für Karl-Georg Wellmann, Vorsitzender der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe, ein Fehler: „Nur weil eine Minderheit der Niederländer dem Abkommen skeptisch gegenübersteht, kann es nicht noch einmal neu verhandelt und aufgerollt werden“, sagt er. „Wenn an diesem Widerstand die Assoziierung der Ukraine scheitern würde, wäre das ein großer Schaden für uns alle – und für die russische Regierung ein Festtag.“
Das Votum der Niederländer dürfe man gleichwohl nicht dramatisieren, mahnt der CDU-Abgeordnete. Es habe sich auch nicht gegen die Ukraine gerichtet, sondern gegen die Europäische Union. Wellmann sieht nun niederländische Regierung in der Pflicht: „Es ist an ihr, die Gestaltungskraft zu finden, damit der Annäherungsprozess zwischen EU und Ukraine fortgesetzt werden kann.“
In der Ukraine sei die Europa-Begeisterung ungebrochen, versichert Wellmann. Doch es liege auch im Interesse der Europäer, dass das Abkommen, das im Kern die Schaffung einer Freihandelszone in den nächsten zehn Jahren vorsehe, nicht scheitere: „Die Ukraine war einst der Hightech-Standort in der Sowjetunion. Sie hat eine lange industrielle Tradition und ist reich an Rohstoffen.“ Die Stabilisierung des Landes auch mithilfe des Abkommens berge deshalb großes Potenzial, so Wellmann: „Die Ukraine kann ein Motor für die wirtschaftliche Entwicklung in ganz Europa werden.“
Der Ukraine-Experte der Unionsfraktion im Bundestag muss es wissen. Doch welche Entwicklung das Land genommen hat, seit im November 2013 der ehemalige Präsident Viktor Janukowitsch eben jenes geplante EU-Assoziierungsabkommen stoppte, konnte auch er nicht ahnen. Damals stürzte das Land in eine tiefe Krise: Maidan-Proteste, Krim-Annexion, Bürgerkrieg. Seit mehr als zwei Jahren nun halten der Ukraine-Konflikt und die Auseinandersetzung mit Russland um die Zukunft des Landes die Welt in Atem.
Für Wellmann und die 16 Mitglieder der der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe sei dies eine „unglaubliche Zeit“ gewesen, wie es Wellmann formuliert. Welche unruhigen Zeiten ihm und seinen Stellvertretern Norbert Spinrath (SPD), Susanna Karawanskij (Die Linke), Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen) bevorstanden, hätte er es sich nicht träumen lassen, als er nach den Bundestagswahlen 2013 den Vorsitz der Gruppe neu übernahm: „Die ganze Entwicklung war überhaupt nicht absehbar“, erinnert sich Wellmann.
Die Ukraine ist kein unbekanntes Terrain für den Außenpolitiker: Bereits seit seinem Einzug in den Bundestag 2005 engagiert er sich in der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe. Auch als Wahlbeobachter für die Parlamentarische Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE PV) war Wellmann mehrfach vor Ort. „Als West-Berliner war mir Osteuropa lange fremd“, bekennt er. „Es gab ja auch keine Möglichkeit, dorthin zu reisen, solange es den Eisernen Vorhang gab.“
Umso interessanter findet der Abgeordnete aus dem Wahlkreis Berlin-Steglitz-Zehlendorf es nun, sich für den Austausch mit der Ukraine einzusetzen und ihre Transformation und Entwicklung in Richtung Europa zu begleiten: „Für mich als Außenpolitiker ist die Parlamentariergruppe eine der spannendsten überhaupt – gerade weil die Ukraine im Umbruch ist."
Im Mai 2014 geriet Wellmann so auch selbst in die Schusslinie des Ukraine-Konflikts: Er war auf dem Weg zu Gesprächen nach Moskau, bei denen es seinen Angaben zufolge auch um die Zukunft der Ukraine gehen sollte, als ihm die russischen Behörden am Flughafen Scheremetjewo die Einreise verweigerten. Wellmann war als einer von acht Deutschen auf eine Sanktionsliste geraten, mit der Russland insgesamt 89 europäische Politiker mit einem Einreiseverbot belegte. „Damit hat Putin ganz offensichtlich auf Einreiseverbote unter anderem gegen russische Politiker in die EU reagiert “, sagt Wellmann. Diese hatte die Europäische Union infolge der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim gegen Russland verhängt.
Warum ausgerechnet er von solchen Sanktionen betroffen war – Wellmann kann nur mutmaßen: „Ich kann Herrn Putin ja nicht fragen. Aber ich nehme schon an, dass es nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass ich mich für die Interessen der Ukraine einsetze.“ Bis heute besteht das Einreiseverbot. In der Ukraine ist es aufmerksam registriert worden: „Das ein ziemliches Rauschen in den sozialen Medien ausgelöst“, erinnert sich Wellmann. „Aber es hat mir auch eine gewisse Popularität verschafft und mich von dem Verdacht befreit, dass ich zu russlandfreundlich sein könnte.“
Die Parlamentariergruppe, die sich erstmals 1994 mit dem Ziel konstituierte, die Kontakte des Bundestags zu der drei Jahre zuvor unabhängig gewordenen ehemaligen Sowjetrepublik zu pflegen, sieht der Vorsitzende in einer Vermittlerrolle: „Wir sind so etwas wie Lobbyisten – in Deutschland für ukrainische Anliegen und in der Ukraine wiederum für deutsche und europäische Anliegen. Wir können unseren Partnern in der Ukrainisch-Deutschen Freundschaftsgruppe zum Beispiel sagen, welche Voraussetzungen sie erfüllen müssen um dringend benötigte Finanzhilfen zu bekommen.“
Wenn es darum geht, Reformen anzumahnen und Missstände zu kritisieren, wie etwa die weitverbreitete Korruption im Land, sieht Wellmann die Parlamentariergruppe im Vorteil gegenüber der Regierung: „Wir können Dinge in einer Deutlichkeit gegenüber unseren Kollegen im ukrainischen Parlament, oder gegenüber Journalisten ansprechen, wie es zum Beispiel die Kanzlerin nicht tun könnte.“ Zu vermitteln, „was in Deutschland gedacht werde“ sei eine der wichtigsten Aufgabe der Parlamentariergruppe, so der Vorsitzende. Solchen Informationen und Ratschlägen seien die Partner in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, sehr interessiert, betont Wellmann. Diesen Eindruck habe er im Rahmender letzten Delegationsreise in die Ukraine gewonnen.
Gemeinsam mit den stellvertretenden Vorsitzenden Spinrath und Beck sowie den Abgeordneten Jörg Hellmuth, Xaver Jung (beide CDU/CSU) und Christian Petry (SPD) war Wellmann vom 5. bis 9. Oktober 2015 zunächst nach Kiew gereist, um dort unter anderem mit dem Parlamentspräsidenten, mit Mitgliedern der Ukrainisch-Deutschen Parlamentariergruppe sowie Vertretern der Regierung zu zusammenzukommen.
Zentrales Thema der Gespräche seien Reformen gewesen, berichtet Wellmann: „Wir machen uns Sorgen um den Transformationsprozess der Ukraine.“ Bislang gliche die Korruptionsbekämpfung „eher Kosmetik“. Auch die Umsetzung der politischen Vereinbarungen, die in Minsk vor mehr als einem Jahr ausgehandelt wurden, stehe noch aus, kritisiert der CDU-Politiker „Wir haben deshalb sehr darauf gedrungen, das Minsker Abkommen einzuhalten. Schließlich hat die Ukraine es unterschrieben.“
Hoffnung auf Veränderung haben dem Abgeordneten vor allem die Gespräche in Dnipropetrowsk in der zentralöstlichen Ukraine und in Lemberg im Westen des Landes gemacht: Dorthin war die Delegation bewusst als Kontrastprogramm zur Hauptstadt Kiew gereist. „Wir wollten uns einen Eindruck von der Lage und Stimmung in den Regionen verschaffen“, erklärt Wellmann. Das bestimmende Thema hier: Die vom ukrainischen Präsident Petro Poroschenko vorangetriebene Dezentralisierung, die vor allem den von pro-russischen Separatisten besetzten Gebieten Donezk und Luhansk eine Art Autonomiestatus geben soll. In den übrigen Gebieten werde sich ebenfalls einiges ändern: „Sie erhalten sehr viel größere Befugnisse in Sachen Finanzausstattung und regionaler Selbstverwaltung.“
Zwar sei die Reform umstritten, doch in ihren Gesprächen mit Bürgermeistern und Gouverneuren habe die Gruppe eher positive Stimmen vernommen, sagt Wellmann: „Mir schien es, als wenn die Aussicht auf mehr Gestaltungsspielraum etwas ausgelöst hat. Da ist eine Generation jüngerer Politikmanager am Ruder, die etwas bewegen wollen.“ Besonders Andrej Sadowyji, Bürgermeister von Lemberg, hat Wellmann beeindruckt: „Das ist ein ganz interessanter Mann.“ Er werde sich dafür einsetzen, dass mit ihm im Bundestag Folgegespräche geführt würden. „Mit Menschen wie ihm kann man hoffen, Europa zu bauen.“ (sas/20.04.2016)