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Um Kinderarmut in Deutschland wirksam zu bekämpfen, müssen Geldleistungen mit infrastrukturellen Fördermaßnahmen zu einer umfassenden Grundsicherung verbunden werden. Das empfahlen Nina Ohlmeier vom Deutschen Kinderhilfswerk e.V. und Ulrike Gebelein von der Diakonie Deutschland - Evangelischer Bundesverband bei einem öffentlichen Fachgespräch der Kommission des Bundestages zur Wahrnehmung der Belange der Kinder (Kinderkommission, Kiko) am Mittwoch, 27. April 2016. Das Gespräch fand unter Vorsitz von Norbert Müller (Die Linke) statt.
Langfristig müsse eine Kindergrundsicherung geschaffen werden, nach der Lebensmittel, Schulmittagessen und Beförderungen im öffentlichen Personennahverkehr Kindern kostenfrei bereitgestellt werde, argumentierte Nina Ohlmeier. Abgestimmt werden sollen sie mit einer Infrastrukturförderung, die die Beteiligung von Kindern unterstütze. Insbesondere sei es wichtig, die Infrastruktur im direkten Wohnumfeld von Kindern zu stärken. Im Rahmen eines bundesweiten Aktionsplans solle Kinderarmut in den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung aufgenommen werden.
Ulrike Gebelein empfahl, die Leistungen aus Steuer-, Sozial- und Unterhaltsrecht zu einer Maßnahme zusammenzufassen. Der Grundbedarf solle im Falle der Bedürftigkeit, etwa im gesundheitlichen Bereich, ergänzt werden. Gegenseitige Anrechnungsmodalitäten von Kinderregelsatz, Kindergeld und Kinderfreibetrag seien kompliziert. Deswegen solle auch ein Beratungsangebot für Familien geschaffen werden. Monetäre, bedarfsorientierte und infrastrukturelle Förderung müssten ineinandergreifen.
Beide Expertinnen empfahlen zudem die Kinderregelsätze nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch neu zu berechnen und zu erhöhen. Das Deutsche Kinderhilfswerk schätzt, dass eine Erhöhung um mindestens 25 Prozent notwendig sei. Die Vertreterin der Diakonie führte an, dass der Kinderregelsatz bei Kindern unter sechs Jahren 33 Euro zu niedrig sei; bei älteren Kindern sei das Defizit höher.
Die Berechnungsgrundlage sei problematisch, weil sie sich am Verbrauch der einkommensschwachen Gruppen orientiere. Empfehlungen lauteten, eine eigenständige Referenzgruppe zu bilden und die Förderung am tatsächlichen Bedarf auszurichten.
Auch das Bildungs- und Teilhabepaket müsse verändert werden. Das Paket umfasst unter anderem Leistungen und Zuschüsse Klassenfahrten, Kultur und Freizeit. Die Höhe der Zuschüsse sei jedoch nicht ausreichend. Zudem sei die Beantragung kompliziert und mit hohen Bürokratiekosten verbunden, führte Nina Ohlmeyer an.
Als Lösung empfahl Ulrike Gebelein einen bundesweiten Globalantrag, sodass Leistungen für Bildung und Teilhabe bei der Beantragung von Arbeitslosengeld II mit eingereicht werden können. Es gebe bislang keine verlässlichen Daten über die Inanspruchnahme des Pakets, zu den Anspruchsberechtigten sowie über den Zugang von Flüchtlingskindern.
Kürzungen des Arbeitslosengeldes II im Falle von Familien mit Kindern betrachteten beide Expertinnen kritisch. Nach Daten des Statistischen Bundesamtes sei die Zahl der Sanktionierungen von Bedarfsgemeinschaften mit Kindern im Zeitraum 2007 bis 2014 stärker angestiegen als die von Bedarfsgemeinschaften ohne Kinder, argumentierte Nina Ohlmeier.
Unterkunft und Heizung sollen von den Sanktionen ausgenommen und existenzgefährdende zurückgenommen werden, stimmten sie überein. (eb/28.04.2016)