Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Der Metallkasten steht ganz unten im Stapel und ist etwas verrostet, das Schild mit dem Namen Werner Schwarz vergilbt. Er ist nur einer von nahezu 5.000 Kästen, die der französische Künstler Christian Boltanski zur Installation „Archiv der Deutschen Abgeordneten“ im Untergeschoss des Reichstagsgebäudes in länglichen Blöcken aufeinandergeschichtet hat. Und doch hat genau dieser Kasten für Dr. Sabine Sütterlin-Waack eine besondere Bedeutung: Er erinnert die CDU-Abgeordnete aus dem Wahlkreis Flensburg-Schleswig an ihren Großvater, der von 1953 bis 1968 Mitglied des Bundestages und sechs Jahre lang Bundeslandwirtschaftsminister im Kabinett Konrad Adenauers war.
Und damit erinnert sie die rostige Box natürlich auch an dessen Sohn – ihren Vater – Henning Schwarz. Dieser war in den Achtzigerjahren unter anderem Justizminister und vorübergehend Ministerpräsident Schleswig-Holsteins. „Gerade in den ersten Wochen hier im Parlament war Boltanskis Installation für mich ein wichtiger Bezugspunkt“, erinnert sich die 58-Jährige. Emotional – und auch ganz praktisch: „Ich habe mich in dem Gewirr der Gänge und Flure anfangs manchmal verlaufen. Aber wenn ich die Metallkästen sah, wusste ich wieder, wo ich war.“
Diese Tage sind vorbei. Längst hat Sütterlin-Waack, die das „Bundestags-Urgestein“ Wolfgang Börnsen nach rund 25 Jahren als Wahlkreisabgeordnete beerbte, ihren Platz gefunden. Eigentlich hatte sie sich für einen Platz im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft eingetragen. Doch dann fehlte im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eine Berichterstatterin für Familienrecht. Die Abgeordnete zögerte nicht und griff zu. Kein Wunder, passt die Aufgabe doch ausgesprochen gut zu der promovierten Juristin und Mutter zweier erwachsener Kinder, die bis zu ihrer Wahl in den Bundestag 2013 als Anwältin für Miet- und Familienrecht tätig war.
Ob die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren oder die Reform des Sexualstrafrechts: Solche teils hitzig diskutierten Themen fallen seither in das Ressort der unaufgeregt und sachlich auftretenden Norddeutschen. Sütterlin-Waack ist alles andere als eine Hardlinerin – Forderungen der Opposition nach einer Gleichstellung von homosexuellen Paaren im Adoptionsrecht hat die Christdemokratin dennoch stets mit dem Hinweis eine Absage erteilt, es gebe kein „Recht auf ein Kind“, einzig das „Kindeswohl“ sei entscheidend.
Eine Argumentation, die Volker Beck von den Grünen einmal offenbar so erboste, dass er die CDU-Politikerin während ihrer Plenarrede im Februar 2015 persönlich mit einem Zwischenruf der „Volksverhetzung“ bezichtigte. Dafür habe er sich später entschuldigt und sei auch vom Bundestagspräsidenten gerügt worden, sagt Sütterlin-Waack.
Der Angriff hat sie dennoch getroffen. Denn persönlich steht sie der Frage der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare offener gegenüber: „Damit halte ich auch nicht hinter dem Berg.“ Fraktionsintern habe sie sich für eine andere Position eingesetzt, die allerdings keine Mehrheit gefunden habe. „Dass ich nun die Entscheidung der CDU/CSU mittrage, ist selbstverständlich“, stellt sie klar. „Schließlich bin ich für die CDU in den Bundestag gewählt worden – und nicht weil ich Sabine Sütterlin-Waack bin.“
Dies ist wohl ein wenig untertrieben. Schließlich handelte der „Tagesspiegel“ die als geradlinig und verantwortungsvoll geltende Politikerin bereits als „Hoffnungsträgerin“ der in den vergangenen Jahren immer wieder durch Affären geplagten „Nord-CDU“. Sie sei konsensorientiert und keine, die sich in den Vordergrund spiele, so beschrieb sich Sütterlin-Waack einmal selbst.
Dass sie jedoch durchaus weiß, was sie will, über Nehmerqualitäten verfügt und „ausgesprochen kernig“ ist, wie der frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen 2013 lobte, bewies die Rechtsanwältin bei der kurvenreichen Kandidatenkür im Vorfeld der Bundestagswahl.
Bereits designierte Kandidatin, musste sich Sütterlin-Waack auf Wunsch der Partei im Oktober 2012 einer Kampfabstimmung gegen den damaligen CDU-Landesvorsitzenden Jost de Jager stellen, der nach der verlorenen Landtagswahl ein Bundestagsmandat anstrebte. Zunächst war sie dem Landeschef knapp unterlegen – wurde wenig später dennoch Kandidatin. Völlig überraschend hatte de Jager im Januar 2013 seinen Rückzug aus der aktiven Politik bekannt gegeben.
„Das war ein holpriger Start“, sagt Sütterlin-Waack heute. Die damit verbundene Berg- und Talfahrt der Gefühle habe sie rasch vergessen: „Natürlich hat es mich beschäftigt, dass es mit der Kandidatur erst nicht geklappt hat. Dann habe ich mich einmal geschüttelt, bin für ein paar Tage nach Rügen gefahren und am Montag saß ich wieder an meinen Schreibtisch in der Kanzlei und habe weitergearbeitet.“
Sütterlin-Waack ist keine, die zum Dramatisieren neigt. Sie hat schon ganz andere politische Situationen erlebt: Als Uwe Barschel im September 1987 über die sogenannte „Waterkantgate“-Affäre stolperte und als Ministerpräsident zurücktreten musste, übernahm ihr Vater, Henning Schwarz, kommissarisch die Geschäfte. Bis zur Wahl von Björn Engholm im Mai 1988 führte er die Landesregierung in Kiel.
„Diese Situation hat mich – und die ganze Familie – sehr belastet, weil wir gesehen haben, wie mein Vater darunter gelitten hat. Er war ein sehr loyaler Mensch und konnte sich nicht vorstellen, dass Barschel das alles getan haben sollte“, sagt die Abgeordnete im Hinblick auf die skrupellosen Methoden, mit denen der CDU-Politiker seinen Kontrahenten, den SPD-Spitzenkandidaten Engholm, im Landtagswahlkampf zu diskreditieren versucht hatte.
Die Schattenseiten der Macht hat Sütterlin-Waack früh kennengelernt: „Schlimm war die Hochzeit des RAF-Terrors, als mein Vater ständig unter Personenschutz stand“, erinnert sich Sütterlin-Waack. Aufgrund der Inhaftierung von Angehörigen der Roten Armee Fraktion in der Justizvollzugsanstalt Lübeck-Lauerhof galt der Justizminister des Landes als besonders gefährdet. „Unser Haus wurde überwacht, Kriminalbeamte sind mit uns sogar in den Urlaub gefahren.“
In die Fußstapfen ihres Vaters oder Großvaters zu treten, sei nie ihr Bestreben gewesen, sagt Sütterlin-Waack. Und dennoch wurde sie schon als 18-Jährige CDU-Mitglied und arbeitete nach abgeschlossener Promotion drei Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Unionsfraktion im Hessischen Landtag. Ihr politisches Talent entdeckte Sütterlin-Waack schließlich in Lürschau, ihrem Wohnort, wo sie 2003 zunächst Gemeindevertreterin wurde und seit 2011 das Amt der Bürgermeisterin innehat.
Dass sie die Zügel fest in der Hand halten kann, bewies die leidenschaftliche Hobbyreiterin aber insbesondere als Hauptausschussvorsitzende im Schleswiger Kreistag. „Da habe ich auch gemerkt, wie viel Spaß es macht, politisch etwas zu bewegen.“
Es sei ihr eine Ehre, Mitglied des Bundestages zu sein, betont sie – auch ohne eigenen Kasten im „Archiv der Deutschen Abgeordneten“. „Als Parlamentarier sollen wir doch vor allem Gesetzgeber sein“, sagt sie. Und dabei gehe es im Kern vor allen um eines: „Spielregeln für ein gutes Miteinander zu entwickeln.“ (sas/27.06.2016)