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Das Plakat, das einst für Aufregung sorgte, hängt noch immer an ihrer Bürotür: Darauf ein Po in Jeans, ein nackter Rücken mit aufgeklebtem „Socialist“-Tattoo und der Spruch: „Mit Arsch in der Hose in den Bundestag.“ 2009 zog Halina Wawzyniak so in den Wahlkampf, um dem grünen Lokalmatador Hans-Christian Ströbele das Direktmandat im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg abzujagen. Ungewöhnlich, frech und definitiv ein Hingucker – so wie die Berlinerin selbst. Wie sie in ihrem Sessel lümmelt, mit ihren raspelkurzen Haaren, in Turnschuhen und Top, entspricht sie tatsächlich weniger dem Bild einer Bundestagsabgeordneten denn einer „Autonomen“, wie das Magazin „Cicero“ recht passend Wawzyniak einmal beschrieb.
Medienaufmerksamkeit erregte das Wahlplakat der heutigen rechts- und netzpolitischen Sprecherin der Fraktion Die Linke auch deshalb, weil die CDU-Kontrahentin Vera Lengsfeld auf ihren Plakaten mit tiefausgeschnittenem Dekolleté aufwartete. „Wahl zwischen Po und Busen“, „Wahlkampf bizarr“, „kontroverser Körpereinsatz“, titelten sofort die Hauptstadtzeitungen.
„Lengsfelds Kampagne hat uns ziemlich überrascht“, erinnert sich Wawzyniak. „Aber es war zu spät, um umzusteuern. Meine Plakate waren längst gedruckt.“ Außerdem sei ihr gerade der Spruch wichtig gewesen, sagt sie. „Weil er ausdrücken sollte, dass ich meinen eigenen Weg gehe.“
Und das tut die 42-Jährige: Im Bundestag, in den sie 2009 zwar nicht per Direktmandat, dafür aber über die Landesliste einziehen konnte, und insbesondere in der eigenen Partei und Fraktion fällt die diskussionsfreudige Wawzyniak, die zum Flügel der Reformer in der Partei zählt, schon mal durch ein kesses Mundwerk auf.
So etwa, als Bundespräsident Joachim Gauck als Reaktion auf die Wahl Bodo Ramelows (Die Linke) im November 2014 zum thüringischen Ministerpräsidenten die Regierungsfähigkeit der Linkspartei hinterfragt. Auf ihrem Blog forderte Wawzyniak postwendend die Abschaffung des „überflüssigen“ Präsidentenamtes.
Wawzyniak, in deren Büro Boxsack und -handschuhe hängen, ist wahrlich keine, die vor einem verbalen Schlagabtausch zurückschreckt. Fair und sachlich muss er allerdings sein, darauf legt sie Wert. So machte sie 2012 als stellvertretende Parteivorsitzende ihr Missfallen über den scharfen innerparteilichen Umgangston öffentlich.
Auch Kritik am damaligen Vorsitzenden Klaus Ernst, dem sie vorwarf, mit „anonymen Anschuldigungen“ das Klima zu „vergiften“, hielt sie nicht zurück. Wawzyniak streitet lieber mit offenem Visier als hinter verschlossenen Türen. Doch das gefällt nicht jedem.
Im Juni 2014 etwa tritt sie als stellvertretende parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion zurück – als Reaktion auf ein offenbar aus dem Büro der Parteivorsitzenden Katja Kipping stammendes Strategiepapier aus der Zeit vor der Bundestagswahl 2013 mit dem Titel „Führungspersonal, Prämissen, personelle No-Gos und zu schützende Personen“, in dem sie als eine der Unerwünschten bezeichnet wurde. Wawzyniak sei klug, eigensinnig und mache „ihr Ding“. Sie habe sich nie vereinnahmen lassen, formuliert einer, der sie schon lange kennt.
Dass sie ihren eigenen Kopf hat, das beweist sie bereits als 17-Jährige: Anders als so mancher ‚Wendehals‘, der plötzlich mit dem Fall der Mauer auch mit der DDR nichts mehr zu tun gehabt haben will, entscheidet sie sich 1990, Mitglied der SED-Nachfolgepartei PDS zu werden. Aus Solidarität für den Staat, in dem sie groß geworden ist. Und auch aus Trotz, sagt sie. „Weil ich es so daneben fand, wie manche Menschen in meinem Umfeld – Lehrer vor allem – komplett ihre Meinung änderten, als sich der Wind drehte.“
Die allgemeine Wendebegeisterung teilt sie nicht, im Gegenteil: „Ich hatte Angst, dass der Faschismus wiederkommt und nun auch bei uns an den Bahnhöfen die Bettler und Drogentoten liegen. Ich war gut geschult“, setzt sie mit Blick auf ihre politische Sozialisation ironisch hinzu. Aufgewachsen im brandenburgischen Königs Wusterhausen in einem „DDR-treuen Elternhaus“, nimmt sie noch im Oktober 1989 im Blauhemd am Fackelzug der FDJ zum 40. Jahrestag der DDR teil. „Ich war ein Kind der DDR“, erklärt Wawzyniak, „und keine Widerstandskämpferin.“
Ostalgie jedoch liegt der Linken fern. „Die DDR war kein Rechtsstaat“, betont die Juristin, die vor ihrem Einzug in den Bundestag als selbstständige Anwältin und Justiziarin der Linksfraktion tätig war. Weitaus kritischer als andere in der PDS ist sie deshalb mit dem Erbe ihrer Partei ins Gericht gegangen.
Schon als Mitbegründerin der „AG Junge GenossInnen“, bis 1999 Jugendorganisation der PDS, forderte sie die Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit. Gemeinsam mit anderen jungen Genossen überreichte sie 1993 auf dem Parteitag der PDS-Führung leere Mappen mit Fragezeichen – als Denkzettel, weil ihr die Aufarbeitung der eigenen Geschichte ungenügend erschien.
„Uns war klar, dass wenn wir als demokratische Sozialisten politisch eine Zukunft haben wollen, wir uns um unserer selbst Willen hinterfragen müssen“, erklärt Wawzyniak. Die Verantwortung für das SED-Erbe könne auch die heutige Linkspartei nicht so einfach ablegen. Auch wenn manche lieber so tun würden, als ginge sie es nichts an. Über 25 Jahre ist Wawzyniak inzwischen Parteimitglied. Ihr politisches Ziel hat sich im Kern nicht verändert. „Ich kämpfe noch immer für eine Gesellschaft jenseits von DDR und Kapitalismus.“
Das heißt konkret: eine Gesellschaft, die mit den Menschen entwickelt wird und nicht über ihre Köpfe hinweg, die ökologisch nachhaltig und sozial gerecht ist – und in der es ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt. Seit Jahren ist die Linke eine Anhängerin dieser Idee – fast ebenso lang, wie sie zu einer Gruppe junger Politiker aus SPD, den Grünen und der Linken gehört, die Möglichkeiten der Kooperation ausloten. Erst im März 2016 veröffentlichte die Gruppe ein von mehreren Bundestagsabgeordneten aller drei Parteien unterzeichnetes Papier, in dem sie mehr Geld für Kita-Plätze, Wohnungsbau und Rentenaufstockungen fordert.
Noch etwas anderes treibt Wawzyniak an: „Es klingt pathetisch, aber es geht mir darum, die parlamentarische Demokratie zu verbessern und zu verteidigen.“ Es brauche mehr direktdemokratische Elemente und konkrete Initiativen, um sie „wieder zu dem zu machen, was sie sein sollte“.
Als eine solche Initiative ist Wawzyniaks 2015 erschienenes Buch „Demokratie demokratisieren“ zu verstehen: Darin nimmt die Rechtspolitikerin das Abgeordneten-, Wahl- und Parteienrecht ebenso unter die Lupe wie die Geschäftsordnung des Bundestages und entwickelt Ideen, wie die Regelwerke entstaubt und so die parlamentarische Demokratie lebendiger gestaltet werden könnte.
Denn viele Debatten im Bundestag seien „erstarrt“, kritisiert Wawzyniak. Das Verhältnis zwischen Regierungskoalition und Opposition wirke wie ein „festgezurrtes Spiel“. Warum stimmten Koalitionsabgeordnete nie einem Antrag der Opposition zu? Wieso lasse der Koalitionsvertrag den Fraktionen nicht mehr Freiheit? „Man könnte doch gemeinsame Projekte festlegen, aber über alle weiteren Themen das Parlament entscheiden lassen“, argumentiert die Abgeordnete.
Sie wünsche sich mehr Gruppenanträge, mehr Fachdiskussionen. Das käme auch der ursprünglichen Idee des Parlamentarismus näher – und ihrem Traum von Politik: „Ich würde gern wissen, wie es wäre, wenn Entscheidungen allein auf Basis von sachlichen Gründen gefällt würden – und nicht, wie so oft, aufgrund von Parteizugehörigkeit und machtpolitischen Erwägungen.“ (sas/27.06.2016)