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Es gilt als „Blaupause“ für TTIP, das EU-Freihandelsabkommen mit den USA, und ist mindestens ebenso umstritten: Das Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada (Ceta). In der vergangenen Woche nun sorgte das bereits ausgehandelte Abkommen erneut für Streit zwischen EU und Mitgliedstaaten. Auslöser war die Ankündigung des Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, Ceta als reines EU-Abkommen einzustufen. Anders als bei einem „gemischten Abkommen“ wären somit die nationalen Parlamente im Ratifizierungsprozess nicht mitspracheberechtigt. In der Fragestunde des Bundestages am Mittwoch, 6. Juli 2016, will Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke, nun erfahren, wie die Bundesregierung im Europäischen Rat abstimmen wird, sollte Ceta tatsächlich als „EU-only-Abkommen“ behandelt werden. In der Vergangenheit hatte sich die Bundesregierung zwar stets für die Beteiligung der nationalen Parlamente ausgesprochen. Warum er dennoch Zweifel hat, dass die Bundesregierung zu dieser Haltung steht, erklärt der Abgeordnete aus Aachen im Interview:
Herr Hunko, EU-Kommissionschef Juncker hat viel Kritik einstecken müssen: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel nannte das Handeln der Kommission „unglaublich töricht“. Sie selbst sprachen sogar von einem „Affront“ gegen die nationalen Parlamente. Warum?
Dazu muss man zunächst einmal wissen, dass der Europäische Rat – in dem die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten vertreten sind – immer der Auffassung war, dass es sich bei Ceta um ein gemischtes Abkommen handelt, und dass somit neben dem Europäischen Parlament auch die nationalen Volksvertretungen im Ratifizierungsverfahren über den Vertrag abstimmen müssen. Jetzt aber stellt sich die Kommission gegen den Rat und will Ceta als rein europäisches Abkommen einstufen.
Ist es das nicht? Weshalb sollte Ceta stattdessen als gemischtes Abkommen eingestuft werden?
Ceta ist deshalb kein rein europäisches Handelsabkommen, weil es sehr weitreichende Auswirkungen haben wird, die eindeutig nationale Kompetenzen berühren. Der Verbraucherschutz ist dafür nur ein Beispiel. Junckers Ankündigung, die Parlamente in den EU-Mitgliedstaaten ausschließen zu wollen, ist deshalb tatsächlich ein Affront.
Wie kommt es, dass über ein bereits ausgehandeltes Abkommen so unterschiedliche Rechtsauffassungen bestehen, die jetzt zu solch einem Streit führen?
Der Streit zwischen EU-Kommission und den einzelnen Mitgliedstaaten ist nicht neu. Im Gegenteil. Er schwelt schon seit Jahren, ist aber erst jetzt öffentlich geworden. Kein Zufall, wie ich finde. Der Ratifizierungsprozess steht schließlich kurz bevor; im Oktober soll Ceta eigentlich unterzeichnet werden. Die Kommission hat nur das Referendum in Großbritannien abgewartet, um mit ihrer Ankündigung an die Öffentlichkeit zu gehen. Offenbar ist die Sorge groß, dass man das Abkommen anders nicht durchsetzen kann.
Die Bundesregierung hat immer wieder darauf gepocht, die nationalen Parlamente an der Entscheidung zu beteiligen. In der Fragestunde haken Sie nach, wie die Bundesregierung im Europäischen Rat abstimmen wird. Haben Sie Zweifel? Immerhin hat die Kanzlerin versprochen, dass sich der Bundestag mit Ceta befassen soll…
…ja, das schon. Ich befürchte aber, dass hier getrickst wird. Frau Merkel hat zugesagt, dass der Bundestag beteiligt wird. Das heißt: Es gibt eine unverbindliche Debatte, um dem Protest die Wucht zu nehmen. Das ersetzt aber nicht die Ratifizierung! Was das Abstimmungsverhalten im Rat angeht: Die Bundesregierung wird sicherlich zunächst dafür stimmen, dass das Abkommen als gemischtes Abkommen ratifiziert werden soll. Doch wenn der Rat dies nicht einstimmig beschließen kann, befürchte ich, dass sie nicht konsequent sein wird und am Ende Ceta trotzdem zustimmt.
Was fordern Sie stattdessen?
Unsere Position als Linke ist klar: Die Bundesregierung muss, wenn Ceta als rein europäisches Abkommen ratifiziert werden soll, mit Nein stimmen. Dafür braucht es zugegebenermaßen eine qualifizierte Mehrheit im Rat, doch die könnte leicht hergestellt werden: Wenn zum Beispiel neben Deutschland auch Frankreich, Griechenland, Zypern und die Niederlande dagegen stimmen würden, könnte Ceta nicht ratifiziert werden. Allerdings müsste diese Mehrheit hergestellt werden – und ich glaube nicht, dass die Bundesregierung das vorhat. Weil sie um die verbreitete Skepsis in der Bevölkerung weiß, wird sie zwar den Eindruck erwecken wollen, dass sie alles getan hat, um die nationalen Parlamente zu beteiligen. Aber schließlich wird sie einräumen, dass man die Rechtsauffassung der Kommission schlucken muss. Die Folge: Das Abkommen wird angenommen, und die Ceta-Anhänger sind zufrieden. Vielleicht wird es irgendwann Klagen geben und der Europäische Gerichtshof zu dem Ergebnis kommen, dass die Rechtsauffassung der Kommission nicht ganz korrekt war – aber dann ist Ceta ist längst in Kraft.
Sie erkundigen sich, in welchen EU-Staaten die Bundesregierung eine Ratifizierung des Abkommens für unsicher hält. Wieso?
Ich will die Debatte wieder auf den politischen Prozess lenken – und damit auch auf die Frage der Mehrheitsverhältnisse in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten. In Belgien etwa hat ein regionales Parlament, das Parlament der Wallonischen Region, bereits einen Resolutionsvorschlag verabschiedet, der es der belgischen Regierung verbietet, das Handelsabkommen mit Kanada zu unterzeichnen. In Deutschland könnte es ähnlich kommen: Die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat, der bei einer Einstufung von Ceta als gemischtes Abkommen ebenfalls mitzuentscheiden hätte, sind ja bekanntermaßen andere als im Bundestag.
Aber was ist denn so falsch daran, nur das Europäische Parlament über Ceta abstimmen zu lassen – so wie die EU-Kommission es will?
Es wäre einfach nicht ausreichend, weil das Abkommen weitreichende Auswirkungen hat, die auch nationale Zuständigkeiten betreffen. Zudem ist das Europäische Parlament leider noch immer ein recht schwaches Parlament. Vor allem jedoch finde ich problematisch, dass das, was im Europäischen Parlament verhandelt wird, nicht so sehr Gegenstand öffentlicher Debatten ist. Der Prozess der öffentlichen Auseinandersetzung mit einem Thema findet noch immer mehr auf der nationalen Ebene statt. Im Europäischen Parlament würde Ceta daher wahrscheinlich durchgewinkt. Auch deshalb bin ich dafür, auf nationaler Ebene darüber zu entscheiden.
Aber finden Sie nicht, dass – angesichts des Rückschlags, den die EU durch das Brexit-Votum gerade erfahren hat –, eine solche Haltung Europa noch weiter schwächt?
Nein. Das Referendum hat doch das tiefe Misstrauen der Menschen gegenüber der EU und ihren Institutionen deutlich zum Ausdruck gebracht. Die richtige Reaktion der Kommission wäre eine Demokratie-Offensive gewesen – und nicht die Ankündigung, die nationalen Parlamente von der Entscheidung über Ceta auszuschließen! Damit befeuert sie doch gerade die Europa-Skepsis der Menschen. (sas/04.07.2016)